Bundesweiter Aktionstag Eine Woche nach dem Apotheken-Streik: Was hat er gebracht?
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21. Juni 2023, 15:07 Uhr
Eine Woche ist es her, dass viele Apotheken geschlossen blieben – um auf eine zu geringe Entlohnung für Apothekenleistungen hinzuweisen. Was hat der Protesttag bisher gebracht? Im Interview dazu Göran Donner, der Vizepräsident der Sächsischen Landesapothekerkammer. Auch das Bundesgesundheitsamt hat sich in einer Stellungnahme geäußert.
Inhalt des Artikels:
- Wie haben die Kunden und Kundinnen auf den Streik reagiert?
- Wie haben die Angestellten in den Apotheken den Streiktag wahrgenommen?
- Wie viele Apotheken sind durch wirtschaftliche Engpässe von einer Schließung bedroht?
- Welche Medikamente sind jetzt besonders rar?
- Was sagen Sie zu den Reaktionen aus der Politik auf den Aktionstag?
- Womit hätten Sie gerechnet? Was hätten Sie sich mindestens erhofft?
- Sind weitere Aktionen der Apotheken geplant? Was hat der Streiktag am 14. Juni die Apotheken gekostet?
- Reaktion des Bundesgesundheistministeriums
Wie haben die Kunden und Kundinnen auf den Streik reagiert?
Göran Donner: Es gab absolut keine Anti-Reaktion. Das liegt sicher einerseits an der guten Berichterstattung im Vorfeld. Andererseits haben viele Leute inzwischen mitbekommen, wie eng die Situation in Sachen Lieferfähigkeit von Arzneimitteln inzwischen ist. Einhellige Meinung: Gut, dass ihr endlich mal auf den Tisch haut.
Wie haben die Angestellten in den Apotheken den Streiktag wahrgenommen?
Alle haben mitgezogen. Wir hatten selbst einen Stand vor der Apotheke, um unseren Kunden die aktuelle Situation zu erklären.
Wie viele Apotheken sind durch wirtschaftliche Engpässe von einer Schließung bedroht?
Das lässt sich leider ganz schwer einschätzen. Apotheken sind Gewerbebetriebe, die ihre Zahlen nicht offenlegen müssen. Ich denke aber, dass es deutschlandweit 20 Prozent oder mehr sind.
Welche Medikamente sind jetzt besonders rar?
Aktuell ist vor allem das Penicillin-Problem virulent. Darüber hinaus sind es verschiedene Mittel gegen Bluthochdruck, Neuroleptika und weitere. Allerdings ist die Situation nirgends so kompliziert wie beim Penicillin.
Wie kompensieren Sie das?
Durch Ausweichen auf andere Wirkstoffe innerhalb der Wirkstoffgruppe, Versuche, über unsere persönlichen Netzwerke Ware zu bekommen, Arztrückprachen. Das kostet alles unglaublich viel Zeit und Nerven.
Welche Medikamenten-Engpässe befürchten Sie als nächstes?
Da im Moment keine große Infektionswelle rollt, ist die Situation nicht so extrem wie im Frühjahr. Ich bin überzeugt davon, dass die aktuellen Maßnahmen (insbesondere die geplante Gesetzgebung des Bundes mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz – kurz ALBVVG, Anm. d. Red.) nicht ansatzweise geeignet sind, die Probleme wirklich an der Wurzel zu packen. Wenn es nicht gelingt, auf eigene Kapazitäten zurückzugreifen, wenn Lieferanten beispielsweise in Asien ausfallen, bleibt die Situation, wie sie ist. Ich will nicht daran denken, was im Herbst passieren könnte. Die nächste Infektionswelle kommt definitiv.
Ich will nicht daran denken, was im Herbst passieren könnte. Die nächste Infektionswelle kommt definitiv.
Was sagen Sie zu den Reaktionen aus der Politik auf den Aktionstag?
Es waren die erwarteten Reaktionen, wobei mich das Verhalten unseres Bundesgesundheitsministers schon enttäuscht hat. Im Bundesland Sachsen haben sowohl Sozialministerin Petra Köpping (SPD) als auch Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) Apotheken besucht und sich solidarisch erklärt.
Womit hätten Sie gerechnet? Was hätten Sie sich mindestens erhofft?
Offen gestanden hatte ich selbst nicht mit einer sofortigen Reaktion gerechnet. Ich erwarte allerdings, dass wir spätestens nach der Sommerpause ein Signal aus der Politik bekommen. Außerdem hoffe ich, dass die unverschämten 50 Cent pro Packung bei Nichtverfügbarkeit an den wahren Aufwand angepasst werden. Denn der tatsächliche Aufwand beim Management der Lieferengpässe beträgt laut Bundesvereinigung der Deutschen Apothekerverbände (ABDA) 21 Euro pro Packung.
Sind weitere Aktionen der Apotheken geplant? Was hat der Streiktag am 14. Juni die Apotheken gekostet?
Zunächst sind meines Wissens keine weiteren Aktionen geplant. Die Kosten lassen sich schwer beziffern. Allerdings gehe ich von nur wenigen Einbußen aus.
Reaktion des Bundesgesundheistministeriums
Auf MDR-Anfrage, wie das Bundesgesundheitsministerium nach dem Streiktag zu den Forderungen der Apotheken steht, verwies ein Sprecher des Ministeriums darauf, dass sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dazu bereits vor dem Streik in der "Bild am Sonntag" geäußert habe mit den Worten: "Die gesetzlichen Krankenkassen klagen über Finanzprobleme, der Finanzminister kürzt die Mittel. Unter diesen Umständen ist für höhere Honorare der Apotheker im Moment kein Raum." Das geplante Lieferengpassgesetz solle den Apotheken jedoch mehr Spielraum bei der "Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel" einräumen. Für die Mehrarbeit sei ein Zusatzhonorar geplant. (*Anmerkung der Redaktion: Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Lieferengpässen wurde im April 2023 beschlossen.)
Die gesetzlichen Krankenkassen klagen über Finanzprobleme, der Finanzminister kürzt die Mittel. Unter diesen Umständen ist für höhere Honorare der Apotheker im Moment kein Raum.
Wir fragten auch, wie viele Apotheken das Ministerium in den kommenden Jahren durch Fachkräftemangel und Mehraufwand wegen Medikamentenmangels von einer Schließung bedroht sieht. "Nach Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit ist die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln derzeit gewährleistet", so der Sprecher des Ministeriums. Dies lege eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2020 nahe. Die Apotheken-Standortwahl müsse mit Blick auf die in Deutschland herrschende Niederlassungsfreiheit betrachtet werden. Diese sei "im Einzelfall zunächst unternehmerischer Art". Die Entwicklung der Apothekendichte werde aber aufmerksam beobachtet.
MDR (cbr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 20. Juni 2023 | 20:15 Uhr