![Auf der Wochenstation an der Universitätsklinik und Poliklinik für Geburtshilfe in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) liegen die Neugeborenen Moritz, Michel, Samuele, Lotta und Emilio (l-r) für ein Foto nebeneinander, aufgenommen am 02.03.2017. | Bildrechte: picture alliance / Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/ZB | Waltraud Grubitzsch Auf der Wochenstation an der Universitätsklinik und Poliklinik für Geburtshilfe in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) liegen die Neugeborenen Moritz, Michel, Samuele, Lotta und Emilio (l-r) für ein Foto nebeneinander, aufgenommen am 02.03.2017.](https://www.mdr.de/index-transparent_h-154_w-512_zc-a2199725.gif)
Bevölkerungsentwicklung Nach "Sex-Aufruf" des Bürgermeisters: Kommt jetzt der Babyboom in Oberlungwitz?
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09. Februar 2025, 19:00 Uhr
Mit einem augenzwinkernden Appell an die Menschen in Oberlungwitz, sorgte der Bürgermeister zu Silvester für Aufsehen. Hinter dem Aufruf, statt mit Raketen zu knallen, es lieber im Schlafzimmer "knallen" zu lassen, steckt jedoch ein ernstes Anliegen - in der sächsischen Stadt wird Nachwuchs dringend benötigt.
- Der Oberlungwitzer Bürgermeister Thomas Hetzel macht mit einem humorvollem Sex-Aufruf auf ein ernstes Problem aufmerksam.
- Top Five: Im Jahr 2023 kamen, gemessen an der Einwohnerzahl, die meisten Babys in der Gemeinde Crostwitz zur Welt; die wenigsten im Kurort Rathen und in Schöneberg - hier wurde gar kein Baby geboren.
- Oberlungwitz will mit familienfreundlichem Umfeld potenzielle Eltern überzeugen.
"Im vergangenen Jahr gab es nur 15 Geburten, bei über 100 Sterbefällen", fasst Thomas Hetzel, Bürgermeister von Oberlungwitz (parteilos), das Problem zusammen. 2023 waren es noch 29, 2020 37 Babys. Über die Social-Media-Kanäle seiner Stadtverwaltung appellierte er daher zum Jahreswechsel: "Und wenn ihr es heute Nacht schon richtig knallen lassen wollt, dann lieber in euren Schlafzimmern, um dem demographischen Wandel entgegenzuwirken."
Ohne Kinder kein Oberlungwitz mehr
Das Problem sei ein deutschlandweites, sagte Thomas Hetzel MDR SACHSEN. Mit Blick auf die Geburtenrate seiner Gemeinde vermutet Hetzel einige Ursachen in der Nachwendezeit. Im Jahr 1994 wurden gerade mal 24 Kinder geboren: "Rechnet man das mal 30 Jahre weiter, könnten hier die Frauen fehlen, die heute Kinder auf die Welt bringen könnten."
Dass der Aufruf solche Reaktionen nach sich zieht, hat uns schon überrascht. Aber das zeigt auch, dass es sich nicht nur um ein Problem bei uns handelt.
Hetzel hält Kinder neben Gewerbetreibenden und Steuerzahlern für das Wichtigste in der Gemeinde: "Denn das ist der Nachwuchs. Wenn wir keine Kinder mehr hätten, gibt's auch irgendwann Oberlungwitz nicht mehr in der Form." Doch Schulen, Vereine, Feuerwehr, sprich der ganze Ort brauche Nachwuchs.
Wendezeit und Angst vor Krisen als Ursache
Auch der Wegzug nach der Wende spiele seiner Meinung nach eine Rolle: "Da uns hier gefühlt eine ganze Generation fehlt, die jetzt Eltern werden oder sein könnten." Für die jüngere Vergangenheit vermutet er auch Ängste vor "Krisenzeiten" als Ursache dafür, dass ein Kinderwunsch aufgeschoben wird.
Auch andere sächsische Gemeinden betroffen
Die Gemeinde im Landkreis Zwickau steht beispielhaft für andere Gemeinden in Sachsen. Laut Landesamt für Statistik werden in Sachsen immer weniger Babys geboren - ein bundesweiter Trend, der seit 2016 anhält. Dem Bevölkerungsmonitor Sachsen zufolge sank die Zahl der Geburten jährlich um durchschnittlich rund 1.000 Lebendgeborene, 2022 und 2023 wurden sogar jeweils rund 3.000 Kinder weniger geboren als im Vorjahr. Mit 26.200 Lebendgeborenen 2023 nähern sich die Geburtenzahlen damit dem Geburtentief Mitte der 1990er Jahre an. Damit sei laut statistischen Bundesamt bundesweit in Sachsen der stärkste Rückgang registriert worden.
Laut Bevölkerungsmonitor Sachsen veränderte sich durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Neuorientierung ab 1990 das Geburtenverhalten in Sachsen stark. Es kam zu einem rasanten Geburtenrückgang, der 1994 seinen Tiefpunkt hatte. Doch bereits vor der Wiedervereinigung war demnach eine rückläufige Entwicklung erkennbar.
Top Five: Die meisten und die wenigsten Geburten in Sachsen
In der interaktiven Grafik sehen Sie die Zahlen der vergangenen Jahre in punkto Geburten und Sterbefälle: Die Gemeinden, wo die meisten Babys zur Welt gekommen sind, gemessen an ihrer Einwohnerzahl, waren im Jahr 2023:
- Crostwitz (14 Lebendgeburten bzw. 13,46 Geburten pro 1.000 Einwohner)
- Ralbitz-Rosenthal (19 Lebendgeburten bzw. 10,5 Geburten pro 1.000 Einwohner)
- Steina (18 Lebendgeburten bzw. 10,88 Geburten pro 1.000 Einwohner)
- Mücka (9 Lebendgeburten bzw. 9,39 Geburten pro 1.000 Einwohner)
- Werda (14 Lebendgeburten bzw. 9,37 Geburten pro 1.000 Einwohner).
Die Gemeinden mit den wenigsten Geburten in Sachsen waren 2023:
- Kurort Rathen und Schöneberg, wo gar kein Baby zur Welt kam
- Rathmannsdorf (1 Lebendgeburt bzw. 1,11 Geburten pro 1000 Einwohner)
- Triebel im Vogtland (2 Lebendgeburten bzw. 1,75 Geburten pro 1000 Einwohner)
- und Bad Brambach (3 Lebendgeburten bzw. 1,87 Geburten pro 1000 Einwohner).
Das Wichtigste ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Familien wohl fühlen.
Argumente für Oberlungwitzer Babyboom
"Wir machen uns nichts vor, der Aufruf allein wird nicht dazu beitragen, dass es mehr Kinder geben wird. Da müssen auch die gesamten Rahmenbedingungen stehen. Und daher versuchen wir, in die Infrastruktur zu investieren und hier ein Wohn- und Arbeitsumfeld zu schaffen, was Leute dazu anhält, sich für Kinder zu entscheiden. Hetzel findet viele Argumente für potenzielle Eltern, sich auf das "Abenteuer Baby" einzulassen und legt eine lange Liste mit Argumenten vor, die potenzielle Eltern für ein Baby in Oberlungwitz überzeugen sollen.
Das bietet Oberlungwitz Familien
- "Babytreffen" mit Eltern und Neugeborenen mit gemeinsamen Kaffeetrinken und kleinen Geschenken
- modernisierte und digitalisierte Grund- und Oberschule, zwei Kitas, eine Tagespflegemutter
- drei Hausärzte, drei Zahnarztpraxen, zwei Gynäkologen und eine Kinderarztpraxis
- gut erreichbare Nahversorger
- Nähe zu den Städten Chemnitz und Zwickau
- aktives Vereinswesen mit vielen Angeboten für Kinder, diese können die Einrichtungen der Stadt kostenfrei nutzen
- vier Spielplätze und ein Stadtpark mit Spielmöglichkeiten
- ein eigenes kleines Freibad sowie moderne Sportanlagen
- zahlreiche Veranstaltungen und Feste mit kostenfreien Angeboten
- Jugendbeirat kümmert sich um die Belange der Kinder und Jugendlichen
Die Gemeinde habe schon viel in eine familienfreundliche Infrastruktur investiert und strenge sich an, die Elternbeiträge für die Kitas im Ort und für den Hort der Grundschule so gering wie möglich zu halten, erzählt der Bürgermeister. Vor fünf Jahren wurde der Ort als "familienfreundlichste Stadt im Verlagsgebiet der Freien Presse" ausgezeichnet. "Das Wichtigste ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Familien wohl fühlen", sagt Thomas Hetzel MDR SACHSEN.
Aufruf kam gut an in der Strumpfstadt
In der "Strumpfstadt am Sachsenring" kam der humorvolle Aufruf des Bürgermeisters gut an. Franziska Höfer, Einwohnerin von Oberlungwitz sagte: "Wir kennen ja unseren Bürgermeister und wissen, wie wir ihn zu nehmen haben und, dass er da auch relativ locker ist. Von daher fand ich das lustig und passend." Ebenso sieht es die Oberlungwitzerin Lisa Grießbach, auch wenn sie sich eigenen Angaben zufolge bislang nicht an den Aufruf gehalten habe: "Das ist jetzt in näherer Zeit nicht in Planung", sagte sie.
Wir freuen uns, dass es im Januar schon wieder fünf Geburten gab. Das heißt, ein Drittel dessen, was wir 2024 hatten. Und wenn sich das so fortsetzt, wäre das ein gutes Zeichen.
Jessica: Schon "an der Sache" beteiligt
Gut kam der Aufruf auch bei der Oberlungwitzerin Jessica an: "Da wirklich wenig Kinder in Oberlungwitz geboren wurden, obwohl es auch viele Angebote gibt". Sie zählt als Beispiele die beiden Kindergärten und die Tagesmutter im Ort auf. Sie selbst habe sich an "der Sache" bereits beteiligt, erzählt sie: "Wir haben letztes Jahr Nachwuchs bekommen. Ich finde es eigentlich echt wichtig, dass für Nachwuchs gesorgt wird, gerade auch für die Sportvereine und generell für die Schulen, dass das alles am Laufen bleibt."
Ob weitere Paare in Oberlungwitz ihrem Beispiel folgen werden, wird sich zeigen. Bürgermeister Hetzel ist aber optimistisch: "Wir freuen uns, dass es im Januar schon wieder fünf Geburten gab. Das heißt, ein Drittel dessen, was wir 2024 hatten. Und wenn sich das so fortsetzt, wäre das ein gutes Zeichen."
MDR (kav,tomi), dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR UM 2 | 09. Februar 2025 | 16:00 Uhr