Vorschulpädagogik Kita bangt um Erhalt von Eltern-Kind-Angeboten in Zwickauer Problemviertel
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01. Juli 2023, 14:00 Uhr
Zwickau-Eckersbach hat einen dramatischen Wandel erlebt. Hunderte Wohnungen in dem Plattenbauviertel wurden abgerissen. Zurückgeblieben sind vor allem arme Menschen mit vielen Nöten. Das integrative AWO-Kinderhaus "Kuschelkiste" hat Angebote für Eltern geschaffen, die sich in der Schuldenfalle befinden oder mit ihren Kindern überfordert sind. Doch die Einrichtung bangt nun um den Erhalt der Hilfsangebote.
Es summt wild durcheinander. Doch nicht die Bienen sind hier los im AWO-Kinderhaus "Kuschelkiste" in Zwickau-Eckersbach. "Worüber haben wir letztes Mal gesprochen?", fragt Erzieherin Maria. "Welche verschiedenen Bienen es gibt", ruft Djamal. "Richtig. Und welche unterschiedlichen Bienen hat ein Bienenvolk?" Bruno meldet sich und sagt: "Soldatenbienen". "Und es gibt noch Wächterbienen", ruft Arina. Dann stimmt Erzieher Marcel die Gitarre an, die Kinder klopfen sich auf die Schenkel und klatschen in die Hände.
Viktorija und Ana schauen genau auf die anderen Kinder und machen dann mit. "Die beiden kommen aus der Ukraine. Sie verstehen schon viel, aber können selbst noch nicht Deutsch sprechen", erklärt Maria. Die Kinder in der integrativen Kita kommen aus zwanzig verschiedenen Nationen, wie die Erzieherin sagt. Insgesamt 25 Kita-Kräfte betreuen hier knapp 190 Kinder.
Extremsituationen als Alltag
Während Marcel die Gitarrensaite zupft, schwirren und summen die Bienchen im Raum kreuz und quer. "Da ist heute ein ruhiger Tag", sagt Maria gelassen. Einige Kinder kämen aus schwierigem Elternhaus oder mit anderen Problemen in die Kita. Ein Junge etwa lebe im Kinderheim und "crashe häufig den Rahmen" im Kindergarten, erklärt Maria. "Er wirft uns schon mal Stühle entgegen oder zieht Kolleginnen an den Haaren." Bei einem solchen Wutanfall helfe es nur, dass ein Einzelner den Jungen aus der Situation nimmt und beruhigt.
Familien in der Schuldenfalle
Am Eingang des Kindergartens spricht Nancy Seltmann mit einer alleinerziehenden Mutter. Rund um das Eingangstor wächst viel Gras und es herrscht gähnende Leere. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist ein Großteil des Plattenbauviertels in Eckersbach abgerissen worden.
Seit 2018 ist Seltmann Sozialpädagogin im integrativen AWO-Kinderhaus. Sie zählt die ganze Bandbreite des Zwickauer Problemviertels auf: arme Familien, ein Migrationsanteil von 25 bis 30 Prozent, Sprachbarrieren, viele überforderte und alleinerziehende Eltern.
Ein Riesenthema sind die Finanzen. Damit sich Schulden nicht häufen und deswegen der Kita-Platz gekündigt wird, helfe ich den Eltern.
"Ein Riesenthema sind die Finanzen. Damit sich Schulden nicht häufen und deswegen der Kita-Platz gekündigt wird, helfe ich den Eltern", erklärt Seltmann. Sie helfe durch Schuldnerberatung aber auch bei Anträgen etwa für Sprachtherapien für beeinträchtigte Kinder. Doch der Bedarf bei den Eltern sei größer, als Seltmann leisten könne. Bis 2020 habe es zwei Sozialarbeiterinnen an der Kita gegeben. Seitdem stünde sie alleine da, sagt sie: "Ich bin eigentlich nur der Feuerlöscher."
Kinder mit Traumata und sprachlichen Rückständen
Viel Getobe, Lachen und Geschrei herrscht im großen Gartenbereich der Kindertagesstätte. Manche Kinder jagen sich, ein paar Mädchen bauen Figuren aus Knete an einem Tisch. Auf einmal kommt ein Junge zu Susann Gläßer gelaufen. Er spricht nicht, zeigt auf sein Gesicht, seine Brille fehlt - er muss sie irgendwo verloren haben. "Er hat eine massiv eingeschränkte und verzögerte Sprache", erklärt Gläßer, die die Angebote im Eltern-Kind-Zentrum organisiert sowie das Kita-Team koordiniert. Das Faszinierende aus ihrer Sicht: Der Junge habe zusammen mit seinem Bruder eine eigene Sprache entwickelt, um sich zu verständigen.
Wir verschließen uns vor keinen Kindern.
Auch ein Kind aus der Ukraine redet nicht. "Der Junge saß in einem Flüchtlingskonvoi, der bombadiert wurde", sagt Gläßer. Ob Kinder mit Traumata oder Entwicklungsrückstanden, "wir verschließen uns vor keinem Kindern", fügt Erzieher Alexander hinzu. Er organisiert auch die Teamplanung und kommt ins Jonglieren, wenn Erzieher krank werden. "Meine Aufgabe ist es auch, eine Reizüberflutung bei den Erziehern zu vermeiden", sagt er.
Hilfsangebote für Eltern stehen auf der Kippe
Susann Gläßer öffnet eine Tür zu einem großen Versammlungsraum. Dieser befindet sich in einem Neubau direkt neben der Kita. Seit 2016 ist hier ein Eltern-Kind-Zentrum entstanden, das regelmäßige Veranstaltungen und Beratungen beispielsweise zum Thema Baby und Kleinkind, einen Ukraine-Treff und eine Schuldnerberatung anbietet.
"Wir konnten bei den Eltern durch diese Angebote Ängste vor Ämtern oder Hürden wegen einer Lese- und Rechtschreibschwäche abbauen", sagt Gläßer. Das Eltern-Kind-Zentrum wolle dabei den geschützten Raum der Kindergartenkinder auch auf die Eltern ausdehnen, von denen rund 70 Prozent auf Sozialhilfe angewiesen seien.
Es werden Projekte gekürzt und keiner denkt daran, wie die Angebote weitergeführt werden.
Doch die Zukunft des zusätzlichen Angebots für Eltern und Kinder steht auf der Kippe. Bis Ende 2022 wurde die Anlaufstelle für Eltern und Kinder durch das EKiZ-Projekt gefördert. Mit dem Modellprojekt wurden von 2016 bis 2022 Eltern-Kind-Zentren in Sachsen finanziell unterstützt. Danach war das Programm ausgelaufen. Seitdem führt die AWO Veranstaltungen und Beratungen in Eigenregie weiter und hofft, dass sich Kommune und Landkreis über die Finanzierung einig werden. "Es werden Projekte gekürzt und keiner denkt daran, wie die Angebote weitergeführt werden", kritisiert Gläßer.
Kita hofft auf Förderung durch Landkreis
Das Eingangstor zum Kinderhaus "Kuschelkiste" klickt im Takt auf und zu. Die Eltern holen am Nachmittag ihre Kinder ab. Jens Kluge steht an einem Stehtisch und sammelt Unterschriften. Möglichst viele sollen dafür unterschreiben, das die zerstörten Bänke vor der Kita repariert werden und die Stadt Gelder dafür aus dem Bürgerhaushalt freigibt, sagt der Kita-Leiter. "Wir wollen weiter in diesen Sozialraum hineinwirken. Die Kita kann gesellschaftliche Verantwortung übernehmen - das kann ineinander gehen, wie bei einer großen Familie." Voraussetzung sei natürlich, dass das Eltern-Kind-Zentrum mit seinem Angebot erhalten werden kann.
Die Kita kann gesellschaftliche Verantwortung übernehmen - das kann ineinander gehen, wie bei einer großen Familie.
Kluge habe dazu jüngst einen Antrag beim Landkreis Zwickau gestellt, damit das bisherige Eltern-Kind-Angebot ab kommendem Jahr in einem Stadtteil- und Familienzentrum fortgeführt werden kann. Die Stadt Zwickau habe bei der Finanzierung bereits grünes Licht gegeben, die Entscheidung durch den Landkreis steht noch aus.
Eltern würden Wegfall von Austausch bedauern
Ramona Pfuhl aus Zwickau-Pölbitz unterschreibt auf der Unterschriftenliste von Kita-Leiter Jens Kluge. Die Mutter hat zwei Kinder im AWO-Kinderhaus "Kuschelkiste". Sie habe die Angebote des Eltern-Kind-Zentrums vom Kinderschminken bis zur Infoveranstaltung zur Sommerhitze gerne genutzt. "Es ist schade, wenn es das nicht mehr gibt. Es gab da auch viele Angebote, dass die motorischen Arbeiten bei den Kindern entwickelt."
Der Austausch auch der Eltern untereinander würde komplett wegfallen.
"Der Austausch auch der Eltern untereinander würde komplett wegfallen", sagt Jessica Herfurth aus Zwickau-Marienthal. Auch die Beratungen durch Pädagogen würden fehlen, um etwa speziellere Fragen zu ADHS oder LRS zu stellen. "Durch den Kontakt und die Angebote wurde Druck herausgenommen. Als Kind und Mutter soll man in der Gesellschaft doch funktionieren."
Anm. d. Red.: Die Namen der Kinder wurden geändert.