Eine Frau sitzt mit ihrem Ehemann und sohn auf der couch. Alle drei lachen und scheinen sich gut zu verstehen.
Drei, die sich verstehen und zusammenhalten: Iris Wittke (Mi.) mit ihrem Mann Hubert (re.) und Sohn Lukas. Bildrechte: MDR/Konstantin Henss

Leben als Spastikerin Ganz oben auf der Wunschliste: Barfuß an der Ostsee laufen

29. Dezember 2024, 14:02 Uhr

Ihr ganzes Leben lang hat Iris Wittke Muskelverspannungen und Schmerzen. Als Spastikerin konnte sie nie ohne Hilfsmittel gehen und wurde zuletzt immer krummer. Doch 2023 wagte sie eine große Operation an beiden Beinen und Füßen. Nun erobert sie sich Stück für Stück Bewegungsfreiheit zurück: selbstständig und aufrecht. Was aus ihren Plänen für 2024 geworden ist und warum Aufgeben gar nichts für sie ist, hat sie MDR SACHSEN erzählt.

Neujahrswünsche hegen viele. Aber setzen sie die auch um? Vor genau einem Jahr sagte Iris Wittke aus Crossen bei Zwickau im Gespräch mit MDR SACHSEN: "Ich will wieder auf die Beine kommen". Die heute 53 Jahre alte Sächsin ist von klein auf Spastikerin und wollte nach schweren und schmerzhaften Bein- und Fußoperationen wieder laufen lernen. Ihre zwei Herzenswünsche für 2024 hießen: "An der Ostsee alleine im Sand laufen". Und: "Ich will wieder arbeiten gehen."

Ein Jahr nach diesem Gespräch trifft MDR SACHSEN Iris Wittke wieder. Sie öffnet die Wohnungstür und geht mit einer Gehhilfe voran ins Wohnzimmer. Vor einem Jahr hatte sie mit zwei Unterschenkeln in Gips überwiegend im Rollstuhl gesessen. Da lagen die OPs mit geplanten Oberschenkelbrüchen und Drähten in jedem einzelnen Zeh ein halbes Jahr hinter ihr.

Iris Wittke kann auf Krücken mittlerweile gut laufen. 3 min
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3 min

Iris Wittke hat es sich im vorigen Jahr zum Ziel gesetzt, wieder laufen zu können. Das kann sie mittlerweile - den Umständen entsprechend gut. Doch manches geht ihr nicht schnell genug.

MDR FERNSEHEN Do 05.12.2024 19:18Uhr 02:44 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/chemnitz/zwickau/video-behinderung-inklusion-spastik-crossen-102.html

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Ein "zauberhafter" Spezialanzug

Nun steht die zierliche 1,52-Meter große Frau möglichst gerade und zeigt freudestrahlend auf eine Art Hometrainer und einen schwarzen Anzug. Der erinnert an einen Taucheranzug. "Das ist mein Mollii Suit, ein Laufanzug für Spastiker", erklärt Iris Wittke. Sie braucht zwar zehn, 15 Minuten, bis sie den anhat. Alle zwei Tage trägt sie den hautengen Anzug, in dem mehr als 50 Elektroden stecken, die mit Strom ihre Muskeln stimulieren. Die durch die Spastik angespannten Muskeln entspannen sich dadurch und die Patientin kann schmerzärmer laufen.

"Der Anzug ist zauberhaft. Meine Muskulatur ist dadurch locker, ich kann leichter laufen und abends ganz wunderbar schlafen. Das ist herrlich, weil mein Alltag schon sehr anstrengend ist." Sie ist dem Verein "Lukas Stern" und der Firma DB Schenker für das Sponsoring des 9.000-Euro-Anzugs "unendlich dankbar, dass sie mir das ermöglicht haben". Denn die Anfertigung ist keine Kassenleistung in Deutschland.

Eine Frau steht in einem Spezialanzug in ihrem Flut und versucht damit und mit Gehhilfen zu laufen.
Im Spezialanzug übt Iris Wittke regelmäig das Laufen und traniert damit auch ihre Muskeln. Bildrechte: privat

Vor einigen Wochen hat sich Iris Wittke ein E-Mobil gekauft, mit dem sie mit 25 Stundenkilometern in die Stadt fahren kann, um Einkäufe zu erledigen oder Leute zu treffen. "Das Fahrzeug hat mir Lebensfreude zurückgegeben, dass ich auch mal auf einen Kaffee raus komme. Ich habe auch neue Freunde kennengelernt", erzählt Iris Wittke.

Ich habe unheimlich viel geschafft in diesem Jahr. Ich kann richtig schön gerade stehen und in der Physiotherapie teils schon freihändig laufen. Mehr als 50 Jahre bin ich ja krumm gelaufen.

Iris Wittke nach einem Jahr ambulanter Therapie

Wenn Ungeduld Dankbarkeit überlagert

Sie beschreibt sich als ungeduldige Frau, der immer wieder Mitmenschen sagten, sie solle doch dankbarer sein, geduldiger und sich freuen, was sie alles in einem Jahr geschafft habe. "Ich weiß, ich sollte zufriedener sein. Mir geht vieles nicht schnell genug." Denn dass Iris Wittke im Alltag immerzu auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen ist, nicht nur beim An- und Auspellen aus dem Spezialanzug, sondern auch morgens beim Aufstehen, Anziehen, Einsteigen ins Auto, "das nervt mich, weil ich gern Sachen alleine mache".

Diese Art Trotz und Ungeduld kennt Ehemann Hubert Wittke nach Rückschlägen und schaut seine Ehefrau lächelnd an: "Typisch. Dabei gehört es doch zu einer guten Ehe dazu, dass wir einander helfen und die kleinen Macken des anderen aushalten." Das Helfen sei ihm "in Fleisch und Blut übergegangen".

Ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass er mit mir alles durchgehalten hat.

Iris Wittke 35 Jahre mit Mann Hubertus verheiratet

Wunsch nach Bürojob bleibt

Rückschläge habe es 2024 auch gegeben. Die gelernte Wirtschaftskauffrau wünscht sich einen Mini-Job in einem Büro oder Supermarkt. In einem ortsnahen Markt hätte das auch fast geklappt, künftige Kolleginnen hätten sich schon gefreut. Aber: "Dann kam die Bereichsleiterin und lehnte ab, weil ich an Stützen gehe. Ich könnte ja wegrutschen. Und die Berufsgenossenschaft bezahle so etwas nicht, wurde mir da erzählt", ärgert sich Iris Wittke über die Ablehnung.

Sie empfindet die als "dermaßen diskriminierend". Denn ihr Leben lang sei sie an Stützen gegangen und habe gearbeitet. 2025 will sie weiter einen Minijob im Büro suchen. "Es muss doch etwas Vernünftiges geben", sagt sie trotzig.

Auch der Wunsch, selbstständig und ohne Hilfsmittel barfuß durch Ostseesand zu spazieren, bleibt für 2025 auf ihrer Liste oben stehen. Denn 2024 sei so ein Urlaub nicht drin gewesen. Iris Wittkes Mann hegt dagegen einen größeren Urlaubswunsch als einen Ostseebesuch. Er will mit ihr noch einmal eine Kreuzfahrt unternehmen, möglichst ohne Rollstuhl und Hilfsmittel. "Wenn sie die Kraft hat, weitere Strecken alleine zu laufen, dann machen wir das mit dem Schiff!"

Ein Ehemann und seine Frau laufen über Kopfsteinpflaster. Die Frau geht an zwei Gehhilfen.
Die Wittkes reisten vor 2023 gern. So wie hier 2017 nach Brügge. 2024 hat Iris Wittkes (li.) Wunsch sich noch nicht erfüllt, aber 2025 soll es klappen: Allein und aufrecht ein Stück barfuß am Ostseestrand entlanglaufen. Bildrechte: privat

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