Von Haft zu Hoffnung Kaßberg-Gefängnis in Chemnitz ist neuer Lern- und Gedenkort
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20. Oktober 2023, 15:12 Uhr
Im ehemaligen Kaßberg-Gefängnis in Chemnitz ist ein neuer Lern- und Gedenkort entstanden. Schwerpunkt ist der Häftlingsfreikauf in der DDR. In der neuen Dauerausstellung wird aber auch an Haftschicksale während der NS-Zeit und der Zeit des sowjetischen Geheimdienstes erinnert. Am Freitag ist sie eröffnet worden.
- Zwischen 1962 und 1989 wurden politische Gefangene der DDR aus dem Kaßberg-Gefängnis freigekauft.
- Die Ausstellung setzt den Fokus auf das Vorstellen starker Persönlichkeiten, deren Geschichten unter anderem durch Collagen erzählt werden.
- Auch Schicksale aus der NS-Zeit und Zeit des sowjetischen Geheimdienstes werden in der neuen Dauerausstellung vorgestellt.
An ein Gefängnis erinnert heute an dem Gebäudeensemble auf dem Kaßberg in Chemnitz nur noch wenig. Ein Großteil wurde und wird zu modernen Wohnungen umgebaut. Lediglich im ehemaligen Hafttrakt haben sich im Inneren die einstigen Strukturen erhalten: Die typischen Freitreppen etwa, die sich über drei Etagen ziehen sowie die darum angeordneten Zellen für die Gefangenen.
Erinnerungsort für DDR-Unrecht und deutsche Teilung
Noch bis 2010 diente das Gebäude, das 1876/77 als Königlich-Sächsische Gefangenenanstalt errichtet wurde, als Justizvollzugsanstalt (JVA). Nach deren Schließung machte sich der 2011 gegründete Verein Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e. V. dafür stark, dass die Geschichte dieses Ortes nicht in Vergessenheit gerät. Hier sollte künftig an den Häftlingsfreikauf in der DDR erinnert werden.
Aus sämtlichen Haftanstalten der DDR waren politische Gefangene in das Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Karl-Marx-Stadt verbracht worden, die von der Bundesrepublik zwischen 1962/63 und 1989 freigekauft wurden. Es war die letzte Station für mehr als 33.000 Frauen und Männer, bevor es für sie schließlich in die Freiheit ging. Insofern wird mit dem jetzt entstandenen Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis nicht nur DDR-Unrecht thematisiert, es ist auch ein deutsch-deutscher Erinnerungsort. Ermöglicht wurde der Umbau und die neue Dauerausstellung durch die Unterstützung vom Bund, dem Freistaat Sachsen, der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und der Stadt Chemnitz. Sie stellten dafür 4,6 Millionen Euro bereit.
Geschichtenerzählung durch Collagen: Schicksale im Fokus
Wichtigstes Anliegen bei der Konzeption der Dauerausstellung war es, starke Persönlichkeiten in den Fokus zu rücken. Davon leben die Inszenierungen in den ehemaligen Zellen. In jeder von ihnen wird das Schicksal einer oder eines Inhaftierten erzählt.
Uns war wichtig, dass man über starke Menschen spricht. Die 'Nein' gesagt haben gegen eine Diktatur und dann die Diktatur erfahren haben.
Die Inszenierung in den ehemaligen Gefängniszellen folgt einem bestimmten Muster. Portraitfotos der Inhaftierten, die aus der Zeit vor ihrer Verhaftung stammen, hängen als große Banner vis-a-vis der Zellentür, verdecken die Fenster. An den seitlichen Wänden wird anhand von Dokumenten, Objekten und zum Teil privaten Fotos erzählt, warum die jeweiligen Frauen und Männer inhaftiert wurden. Besucherinnen und Besucher erfahren auch etwas über ihre Haftgeschichte und ihren weiteren Weg in der Bundesrepublik, nachdem sie freigekauft wurden.
Es sind detailreiche Collagen, die zusätzlich anhand von Bildern und Texten mit historischen und politischen Kontexten hinterlegt werden. Im Fall von Falk Mrázek, der hier vom 7. bis zum 20. Juni 1979 eingesperrt war, wird etwa die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa thematisiert. Bei Dietrich Gerloff wiederum, 1963 einer der ersten "Freigekauften", geht es um die Jungen Gemeinden, die in der DDR als konterrevolutionäre Kräfte verurteilt wurden.
Durch die Nutzung als JVA zwischen 1990 und 2010 ist von der ursprünglichen Ausstattung der 70er- und 80er-Jahre kaum etwas erhalten. Um dennoch eine gewisse Authentizität zu schaffen, wurden zudem so genannte "Fenster in die Vergangenheit" eingerichtet, durch die man in extra Schauzellen die Haftsituationen rekonstruiert hat. Außerdem werden in einem extra Ausstellungsbreich die historischen Kontexte erläutert.
Von der NS-Zeit bis zur DDR: Geschichten, Führungen und Zeitzeugengespräche
Nicht nur in der Zeit der DDR war das Kaßberg-Gefängnis ein Ort des Unrechts. Bereits im Nationalsozialismus wurden hier Menschen unrechtmäßig eingesperrt: Kommunisten, Juden, aber auch Zwangsarbeiter. Ihr Leidensweg nahm hier meist erst seinen Anfang und führte oftmals in Konzentrations- und Vernichtungslager, in den Tod.
Auch ihre Schicksale werden künftig anhand ausgewählter Persönlichkeiten erzählt - zum Beispiel das des prominenten Chemnitzers Walter Janka oder Haftschicksale aus der Zeit des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Während sie auf der zweiten und dritten Etage zu finden sind, werden die Geschichten der aus der DDR freigekauften Frauen und Männer in der ersten - ausführlich und eindringlich - unter anderem mit Zeitzeugeninterviews erzählt. Im Erdgeschoss wiederum befinden sich Seminarräume. Sie bilden den Ausgangspunkt in der jetzt startenden Bildungsarbeit, bei der Führungen, Workshops und Zeitzeugengespräche im Zentrum stehen.
Jürgen Renz, Vorsitzender des Lern- und Gedenkorts Kaßberg-Gefängnis e.V., betont: "Wer sich auf diesen Ort einlässt, kann begreifen, wie wertvoll die Freiheit ist, und was wir verlieren, wenn sie nicht mehr da ist." Das auserkorene Ziel sei, dass sich Generationen von Schülerinnen und Schülern im Lernort kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzen - und dann die Demokratie stärken.
Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis
Kaßbergstr. 16c, 09112 Chemnitz
Mittwoch bis Sonntag von jeweils 10 bis 17 Uhr geöffent.
Redaktionelle Bearbeitung: as
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Oktober 2023 | 12:30 Uhr