Rückblich auf Landtagswahl 2019 Warum die AfD in der Gemeinde Neißeaue so erfolgreich war

04. September 2019, 13:06 Uhr

In der Oberlausitz hat die AfD bei der Wahl zum Landtag in fünf der insgesamt neun Wahlkreise die Mehrheit geholt, sowohl bei den Direktmandaten als auch bei den Zweitstimmen. In einigen Gemeinden setzte sogar fast jeder zweite Wahlberechtigte sein Kreuz bei AfD. Die Regierungspartei CDU hat das Vertrauen der Wähler verloren und auch auf die falschen Kandidaten gesetzt, wie unser Reporter Uwe Walter bei seiner Reise durch den Wahlkreis erfahren hat.

Die Sonne scheint zwei Tage nach der Landtagswahl über dem Gemeindeverband Neißeaue. Knapp 2.000 Oberlausitzer leben in der östlichsten Gemeinde Deutschlands und den dazugehörigen acht Ortschaften. Windräder drehen sich auf den Feldern, Kiefernwälder reichen scheinbar bis zum Horizont. Gepflegte Vorgärten, gemähte Wiesen und viele sanierte Einfamilienhäuser oder kleine Bauernhöfe säumen die Straßen. Die Neiße schlängelt sich durch eine wildromantische Auenlandschaft und ist zugleich deutsch-polnischer Grenzfluss.

Schwarz-rot-goldener Grenzstein auf Neißeaue im Muskauer Faltenbogen
Wunderschön und wildromatisch ist die Auenlandschaft an der Neiße. Bildrechte: imago/Rainer Weisflog

Unsere Geduld ist zu Ende

Viele Radtouristen genießen die Abgeschiedenheit der Landschaft, wenn sie auf dem gut ausgebauten Oder-Neißeradweg unterwegs sind, auf der Neiße paddeln oder mit ihren Kindern durch die Kulturinsel Einsiedel toben. Doch viele Einheimische sind seit Jahren genervt. Schnelles Internet nicht vorhanden. Fehlender Mobilfunk behindert sogar die Rettungskräfte. Selbst das Absetzen von Notrufen wird zum Problem. Bei Hochwasser auf der Neiße sind deshalb die Deichläufer über weite Strecken nicht erreichbar, bei Waldbränden hat die Feuerwehr oft keinen Funkkontakt. Der öffentliche Nahverkehr ist nach Aussagen eines Anwohners eine Katastrophe. Seit Jahren sind die Probleme bekannt, sagt ein Mann aus Kaltwasser.

Die CDU hatte genug Zeit die Probleme anzufassen, unsere Geduld ist zu Ende. Wir haben keine Lust mehr, das Abstellgleis von Sachsen zu sein.

AfD-Wähler Kaltwasser

Dieser Oberlausitzer in Kaltwasser ist kein Einzelfall. Fast jede zweite Stimme konnte die AfD im Gemeindeverband erringen. Nett und freundlich ist der Rentner und strahlt dabei mit der Sonne um die Wette. "Ich habe mir die Wahlprogramme von CDU und AfD genau angesehen. So große Unterschiede gibt es da gar nicht."

Enttäuscht von der Regierungspartei

Protestschild gegen den Abbau von Kupfer
Das Protestschild gegen den Abbau von Kupfer steht bis heute in Deschka. Bildrechte: Uwe Walter

Im Gemeindeverband köcheln seit einigen Jahren einige Probleme vor sich hin. Vor Jahren sorgte ein möglicher Kupferabbau und die Probebohrung dazu für Aufregung. Gerüchte brodelten. Eine Bürgerinitiative gründete sich, die Emotionen kochten hoch. Doch die sächsische Staatsregierung samt Bergamt duckten sich ab, heißt es und hätten Bügermeisterin und Gemeindevertreter allein gelassen. "Das empört mich bis heute, sagt ein Mann aus Deschka und stellt seinen Rasenmäher aus. "Die CDU ließ sich damals auch nicht blicken, nur die AfD hat uns zumindest moralisch unterstützt."


Aufgrund der Weltmarktpreise ist derzeit der Kupferabbau in rund 2.000 Meter Tiefe nicht rentabel und das polnisch-amerikanische Bergbauunternehmen hat sich zurückgezogen.

Pro und Kontra Neißebrücke

Auch eine Fußgängerbrücke sorgt seit Jahren für Streit in Neißeaue. Anwohner sprechen deshalb nicht mehr miteinander. Es geht um die Grenzkriminalität und die Befahrbarkeit der Brücke. Selbst ein Bürgerentscheid vor vier Jahren sorgte nicht für Entspannung. Polnische Eltern bringen über die Fußgängerbrücke ihre Kinder mit dem Auto in die deutsche Kita. Doch auch Ganoven nutzen angeblich die Brücke und deshalb wollen einige Bürger das Passieren der Brücke zumindest erschweren. Einige dieser "besorgten" Bürger sympathisieren natürlich mit der AfD: "Wir sind hier auf uns allein gestellt." Andere Anwohner können damit nichts anfangen. Laut Polizeistatistik ist die Zahl der Diebstähle in der Grenzregion rückläufig.

Polnischer PKW fährt über die Fußgängerbrücke in Deschka
Die Fußgängerbrücke in Deschka ist bis heute umstritten. Ein polnischer Pkw rollt darüber! Bildrechte: Uwe Walter

Nicht nur bei uns wird geklaut, auch bei meinen polnischen Freunden gegenüber. Einer hat mittlerweile fünf Schlösser an seiner Garage und dazu noch so einen Riesenköter als Wachhund!

Anwohner Deschka

Der Mann aus Deschka war sehr skeptisch, als die Brücke über die Neiße gebaut wurde. Dank der Brücke hat er polnische Freunde gewonnen und möchte sie nicht mehr missen. Die Fronten im Ort seien verhärtet. Das wurde im Januar bei einem Besuch von Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer deutlich sichtbar. In der proppevollen Turnhalle in Zodel verschränkte etwa ein Drittel aller Anwesenden die Arme, die Mienen versteinert. "Das ist der harte AfD-Block", flüsterte ein Anwesender. Nur bei Kritik an der Staatsregierung, beispielsweise beim Umgang mit dem Wolf, wurde applaudiert.

"Geschenke" punkten nicht

Der Gemeindeverband Neißeaue wird von Finanzproblemen geplagt. Deshalb konnte die mehr als 40 Jahre Jahre alte Turnhalle in Zodel lange nicht saniert werden. Als bei der Europawahl die AfD im Gemeindeverband, zu dem auch Zodel gehört, 45,5 Prozent erzielte, sorgte das in Dresden und Berlin für Aufsehen.

Marode Turnhalle in Zodel
Jahrelang konnte die Sanierung der Turnhalle nicht finanziert werden. Doch vor der Landtagswahl stellte der Bund 1,5 Millionen Euro zur Verfügung - zur Verwunderung der Anwohner. Bildrechte: Uwe Walter

Kurz vor der Landtagswahl dann die Meldung: Der Bund unterstützt mit 1,5 Millionen Euro Millionen Euro die Sanierung. "Was soll der Quatsch mit den Wahlgeschenken der CDU! Halten die uns für bekloppt, wollten die uns kaufen?" schimpft ein Groß Krauschaer. Der Rentner hat die AfD gewählt, damit sich im Land etwas ändert, gerade bei der Finanzierung der Gemeinden. "Gucken Sie sich um. Die Gemeinden können Freibäder nicht mehr bezahlen, Schulen wurden geschlossen und jetzt müssen sogar Schulcontainer aufgestellt werden. Alles Baustellen der CDU!"

Klar kann die AfD nicht alles, aber es ist ein Versuch und wenn es nichts bringt, dann wählen wir in fünf Jahren eben wieder anders.

AfD-Wähler Groß Krauscha

Neue Kandidaten zum falschen Zeitpunkt

Hat die CDU den Verlust von Direktmandaten in der Oberlausitz selbst verursacht, weil sie die Potenzial der AfD unterschätzte? "Alte in der Region bekannte Haudegen von der CDU treten nicht mehr an und wurden durch unbekannte Newcomer ersetzt," grinst ein Traktorfahrer aus Zodel und zeigt fragend auf ein CDU-Plakat mit Tilmann Havenstein: "Wer ist denn das?" Der Landwirt kennt aber auch den AfD-Kandidaten Roberto Kuhnert nicht. "Ab und zu müssen eben die alten Seilschaften abgelöst werden und das ganze Umweltgedöns, was jetzt auch von der CDU kommt...na ja, deshalb AfD!" Eine Frau mittleren Alter hängt sich in das Gespräch und meint: "Braunkohle, die spinnen doch alle in Dresden und Berlin. Was soll aus uns werden?"

Sorge um die Pflege

Sehr aufmerksam haben die Bewohner der Grenzregion vernommen, dass die AfD immer auch von Niederschlesien spricht. Die Neißeaue mit ihren acht Ortsteilen gehört dazu. "Es ist und bleibt die Niederschlesische Oberlausitz", grummelt ein Mann am Einkaufsmarkt in Zodel. Er bezeichnet sich als Vorruheständler. Niederschlesien, Heimat, das habe die CDU aufgegeben: "Stattdessen wird immer Ostsachsen gesagt und Heimat als Begriff der Rechten verunglimpft. So ein Unsinn!"

"Mir geht es gut, ich habe eigentlich nichts zu meckern, aber die CDU, die verteilt Geld immer an die Falschen!", sagt etwas später ein Bauarbeiter, während er an seinem Kaffeebecher nippt. "Aber guck dir die Pflege an."

Die Flüchtlinge kriegen alles und für uns bleibt nichts übrig. Mein Nachbar weiß nicht mehr, wie er den Pflegeplatz für seine Mutter finanzieren soll, bei seinem mageren Gehalt im Osten.

Bauarbeiter

"Die da oben schleppen fette Gehälter nach Hause, der kleine Mann interessiert die da oben schon lange nicht mehr". Deshalb hat der Bauarbeiter erneut seine Kreuze bei der AfD gemacht, so wie 48,4 Prozent der Wahlberechtigten im Gemeindeverband Neißeaue.

Den gesamten Wahlkreis 57, zu dem auch Neißeaue gehört, verlor die CDU bei der Landtagswahl an die AfD, sowohl beim Direktmandat als auch bei den Zweitstimmen.

Quelle: MDR /uwa

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 02.09.2019 | 14:30 Uhr im Regionalreport

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