Neuer Fahrplan ab 2022 "Gut vernetzt" – oder doch abgehängt im Landkreis Görlitz?
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20. Oktober 2021, 18:45 Uhr
Im Landkreis Görlitz soll ab Januar der neuer Takt-Fahrplan namens "Gut vernetzt" im Nahverkehr eingeführt werden. In den Linienverkehr ist nunmehr der Schülerverkehr integriert worden. Dagegen laufen Eltern Sturm. Sie sehen zahlreiche Probleme und Unzulänglichkeiten. Im Extremfall verdreifachen sich die Fahrzeiten für einige Kinder auf rund eine Stunde und vierzig Minuten. Der Görlitzer Landrat Bernd Lange will jetzt noch schnell nachsteuern.
Im nördlichen Teil des Landkreises Görlitz brodelt es. Fünf Elterninitiativen haben sich gebildet, Elternräte von Grund- und Oberschulen, Pfarrer, selbst Kommunalpolitiker sind aufgebracht. Der Grund: Sie haben Angst um ihre Schulkinder, wenn im Januar der neue Fahrplan im Öffentlichen Nahverkehr unverändert eingeführt werden sollte.
Dabei soll den Planern zufolge mit dem neuen Taktfahrplan "Gut vernetzt" im Landkreis Görlitz vieles besser werden. Kleine Gemeinden würden demnach eine bessere Anbindung erhalten. Wartezeiten sollen verringert und die Umsteigemöglichkeiten zwischen Bus zu Bahn vereinfacht werden. "Die Lebensqualität der Menschen soll sich verbessern", sagt Hans-Jürgen Pfeiffer Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON). Allerdings hat der Landkreis Görlitz seit Jahren finanzielle Probleme. Deshalb sollen auch beim neuen Taktfahrplan Kosten gespart werden. Die Folge: Ab Januar ist es vorgesehen, dass auch der Schülerverkehr in den neuen Taktfahrplan integriert wird und das sorgt in den Augen der Elterninitiativen für zahlreiche Probleme.
Seit März bekannt – aber vertraulich
Die Schulen haben beim Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) eine Mitwirkungspflicht, die im Gesetz festgeschrieben ist. Sie haben sich beispielsweise beim Schulbeginn am ÖPNV zu orientieren. Im März und im April wurden die Schulen über den neuen Taktfahrplan vom Görlitz Landratsamt informiert, allerdings mit einer Einschränkung. Die Informationen seien vertraulich, hieß es damals. Deshalb gaben die Schulen Informationen nicht an die Elternvertreter weiter und damit wurden die Probleme im Schülerverkehr erst jetzt im Herbst öffentlich. Es hakt offenbar vor allem im nördlichen Teil des Landkreises beim künftigen Schülerverkehr. "Der Schulweg für die Kinder werde in vielen Fällen länger, komplizierter und gefährlicher", sagt Ronald Schmidt von der Elterninitiative Neißeaue.
Die Kinder müssen mit dem Bus eine Stunde eher fahren, schon früh um sechs Uhr! Und dann stehen sie eine oder eineinhalb Stunden irgendwo herum. Die können an schulbegleitenden Angeboten nicht teilnehmen, können weder frühstücken noch am Mittagessen teilnehmen. Denn auch Pausenzeiten werden verkürzt. Die Kinder werden außerdem zum Umsteigen an Bushaltestellen rausgeschmissen, wo sie 40 Minuten auf den nächsten Bus warten müssen.
Dazu kommt, dass Grundschulkinder ab Januar zum Teil bis zu sechs Kilometer lange Fußwege in Kauf nehmen müssen, um ihre Bushaltestelle zu erreichen. In der Winterzeit mit der Dunkelheit am frühen Morgen ein Unding für Ronald Schmidt. Nicht nur der Vater aus Deschka ist deshalb sauer. Als Pfleger kann er seine Arbeitszeiten nicht so verändern, dass er seine Kindern selbst zur Schule bringen kann.
Schulbus wieder auf dem Abstellgleis
Ronald Schmidt vertritt als Sprecher nicht nur fünf Elterninitiativen, die sich gegen den neuen Taktfahrplan in Stellung gebracht haben, sondern auch zahlreiche Elternräte, beispielsweise aus Kunnersdorf, Ebersbach, Markersdorf, Zodel sowie Rothenburg. Auch Schulfördervereine teilen die Kritik am neuen Taktfahrplan: "Die Schulwegsicherheit ist überhaupt nicht gegeben, wenn die Kinder genötigt werden, zum Umsteigen über gefährliche Bundesstraßen zu gehen. Da gibt es vielerorts keine Überwege, keine Wartehäuschen, keine Busausbuchtungen und erst recht keine Signalanlagen", fasst der Sprecher der Elterninitiativen die Probleme zusammen. Deshalb sollen schon mehr als 100 Eltern ihre Schüler-Abo-Karten gekündigt haben. Sie wollen ihre Kinder künftig wieder selbst mit dem Auto in die Schule bringen.
Statt wie geplant, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten, passiert ab Januar das Gegenteil. Viele Oberlausitzer werden wieder auf das Auto umsteigen.
In einem offenen Brief an alle Fraktionen des Kreistages heißt es wörtlich: "Viele Eltern fühlen sich derzeit übergangen und verlieren das Zutrauen in demokratische Werte." Diesen offenen Brief haben nicht nur Eltern unterschrieben, sondern beispielsweise auch der Gemeindekirchenrat in Markersdorf, der Heimat- und Kulturverein Zentendorf sowie der Radau e.V. Herwigsdorf.
100 Minuten bis zur Schule
Vom neuen Taktbussystem werden nach Angaben der Elterinitativen etwa 5.200 Schüler sowie 60 Schulen betroffen sein. Schmidt fordert deshalb im Namen vieler Eltern, dass der neue Fahrplan ausgesetzt und zugunsten der Kinder überarbeitet wird.
Der neue Taktfahrplan muss verschoben werden. Wir denken, dass bis Dezember alle Korrekturen nur notdürftige Flickschusterei wären. Wenn der neue Fahrplan im Januar gelten würde, würden wir und unsere Probleme in Vergessenheit geraten.
Nach dem neuen Fahrplan erhöht sich ab Januar die Fahrzeit von Zodel nach Kodersdorf auf eine über eine Stunde, aufgrund einer Wartezeit beim Umsteigen in Lodenau. Beide Gemeinden liegen nur gut 12 Kilometer auseinander. Manche Kinder müssen künftig sogar mehr als 100 Minuten Fahrzeit einplanen, wenn sie beispielsweise aus Zodel die Oberschule in Mücka erreichen wollen.
Zusätzliche Schul-Busse als Problemlöser
Einige Kreisräte und Kommunalpolitiker sehen die Problem beim neuen ÖPNV sehr gelassen und äußern sich sinngemäß: "Erst mal den neuen Fahrplan samt Schülerverkehr ausprobieren und dann nachjustieren und verbessern!" Andere Kreisräte wiederum wollen den neuen Taktfahrplan erst einführen, wenn die dringendsten Probleme beim Schülerverkehr gelöst sind.
Einige Kreisräte fordern sogar einen Sonderkreistag zu dem Problem. Das lehnt der Görlitzer Landrat Bernd Lange ab, weil ein Sonderkreistag keine Lösungen erarbeiten könne. Das können seiner Ansicht nach nur die Verwaltung gemeinsam mit Eltern und Schulen: "Wir müssen nach vorne schauen, wir werden uns der Probleme annehmen. Dann werden wir sehen, ob wir gemeinsam eine Lösung bis Dezember hinbekommen." Der Landrat gibt sich optimistisch, dass ihm das gelingen wird. Dafür scheue er auch keine zusätzlichen Kosten und denke über zusätzliche Schul-Busse nach.
Wir werden nicht ohne Parallelverkehr in der Sache auskommen. Das wird natürlich für uns etwas teurer werden. Aber eine Verschiebung des Taktfahrplanes wäre noch teurer. Deshalb will ich eine Lösung erarbeiten, die verträglich für alle Beteiligten ist.
Bereits in der nächsten Woche will sich der Görlitzer Landrat mit den Elterninitiativen treffen: "Die Eltern wollen eine Verschiebung des Fahrplans und wissen genau, warum. Vielleicht kenne ich noch nicht alle Probleme. Deshalb sind ja diese Gespräche so notwendig." Der Bürgermeister von Schöpstal Bernd Kalkbrenner (FDP) unterstützt die Eltern und hält ihre Kritik für gerechtfertigt. Er findet den Zeitplan von Lange sehr sportlich - aber er hält ihn nicht für unmöglich.
Quelle: MDR/uwa