Nach dem Studium Sachsen-Anhalt: Warum junge Menschen gehen – und manche wiederkommen

21. Januar 2023, 17:41 Uhr

Stephanie Kauert ist sowohl aus Sachsen-Anhalt in andere Bundesländer "ausgewandert", als auch wieder zurückgezogen. Sie wollte wissen, ob es da noch mehr gibt, als nur das Jerichower Land. Zurückgebracht hat sie aber der Job und die Familie – zwei Dinge, die ausschlaggebend sind, um junge Menschen anzulocken.

Maximilian Fürstenberg
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

In ihrem geräumigen Büro wird sich ausgetauscht, denn in nächster Zeit steht eine Messe an. Die Firma will sich präsentieren und junge Menschen für sich gewinnen.

Stephanie Kauert diskutiert Ideen in ihrem kleinen Team. Sie ist seit 2017 Leiterin der Personalabteilung bei Octapharma in Dessau-Roßlau – einem Unternehmen, das Medikamente für Pateinten mit lebensbedrohlichen Krankheiten herstellt. Der Job war ihre Möglichkeit, zurück in ihre Heimat nach Sachsen-Anhalt zu kommen. Einige Jahre zuvor sah das noch ganz anders aus.

Sachsen-Anhalt ist nicht die große Welt

Kauert ist im Jerichower Land aufgewachsen. Nach dem Abitur wollte sie raus aus ihrer Heimat – raus aus Sachsen-Anhalt und verbrachte ein Jahr lang in den USA. "Ich habe mir dann dort Gedanken gemacht, was ich danach machen möchte. In welchen Regionen möchte ich danach gerne meine Zeit an der Uni verbringen und bin dann nach Göttingen gekommen", erzählt sie.

Ich hatte immer das Gefühl, es gibt auch noch etwas anderes als Sachsen-Anhalt. Und das war mir einfach wichtig, um dann für mich sortieren zu können, was ist die beste Region für mich.

Stephanie Kauert Personalleiterin Octapharma

In Niedersachsen ist sie dann auch nach dem Studium geblieben. Sie hat in der Nähe von Hannover einen Job in der Firma gefunden, in der sie jetzt auch noch arbeitet. "Ich hatte immer das Gefühl, es gibt auch noch etwas anderes als Sachsen-Anhalt. Und das war mir einfach wichtig, um dann für mich sortieren zu können, was ist die beste Region für mich", so Kauert.

Zu- und Abwanderung junger Menschen fast gleich

Damit, dass die junge Frau ihre Heimat verließ, ist sie nicht allein: Laut Statistischem Landesamt verlassen von den 18- bis 25-Jährigen knapp 8.300 Sachsen-Anhalt jedes Jahr in andere Bundesländer. Umgekehrt ziehen rund 7.000 junge Erwachsene desselben Alters nach Sachsen-Anhalt. Damit verlassen etwas mehr Menschen Sachsen-Anhalt, als hierher kommen.

Und wohin zieht es die jungen Menschen? Die meisten Menschen sind den Zahlen zufolge nach Sachsen gezogen. Insgesamt waren das im Jahr 2021 rund 2.000 Personen. An zweiter Stelle steht Niedersachsen: Im vergangenen Jahr zogen knapp 1.270 Personen junge Frauen und Männer ins Nachbarbundesland.

Umgekehrt dasselbe: Aus den beiden Bundesländern kamen auch die meisten 18- bis 25-Jährigen nach Sachsen-Anhalt: Aus Sachsen waren es 1.500 und aus Niedersachsen rund 1.080. Am offenbar wenigsten attraktiv ist das Saarland: Von und nach dort gab es kaum Bewegungen.

Heimat verlassen, um zu wissen, wo die Heimat ist

Stephanie Kauert machte den Sprung wieder zurück über die Landesgrenze in ihre Heimat. Für sie war das ein Prozess, der ihr ein sogenanntes "Heimatgefühl" vermittelt hat, erklärt sie: "Ich hätte das gar nicht so empfunden, wenn ich nicht wüsste, wie es woanders ist. Ich habe schon relativ früh, auch am Anfang meiner Berufszeit gemerkt, dass ich eigentlich auch irgendwann wieder zurück nach Sachsen-Anhalt möchte."

Ich hätte das gar nicht so empfunden, wenn ich nicht wüsste, wie es woanders ist.

Stephanie Kauert Personalleiterin Octapharma

Gesagt, getan: Als Kauerts erstes Kind geboren wurde, änderten sich die Prioritäten in ihrem Leben. Für sie war es nun wichtig, ihre Eltern in der Großelternrolle um sich zu haben. Wirklich ausschlaggebend für den Rückzug war allerdings ihr Job.

Denn mit diesem identifiziert sich die Personalleiterin so sehr, dass sie ihn ungern aufgegeben hätte. "Wir stellen Medikamente für Patienten her, die lebensbedrohliche Krankheiten haben. Das ist für mich immer wichtig, dass ich in einer Firma arbeite, die Produkte herstellt, die für mich sinnstiftend sind." Wie es der Zufall wollte, ist in Dessau-Roßlau eine Stelle freigeworden. Der Rest ist Geschichte.

Firmen und Universitäten müssen zusammenarbeiten

Ähnlich wie Kauert wird es vielen gehen. Ob junge Menschen bleiben oder wegziehen, liegt dann doch meist an Firmen und Jobangeboten vor Ort. Das sieht auch Philipp Pohlenz so. Er arbeitet an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und beschäftigt sich als Hochschulforscher mit der Qualität der Studiengänge.

"Das Wichtigste sind Jobs. Jobs stehen über allem. Es nützt der schönste Studienabschluss nichts, wenn ich damit keine adäquate Beschäftigung finde in einem Umfeld, in dem ich gerne lebe und in dem ich eine gute Infrastruktur vorfinde", erklärt Pohlenz MDR SACHSEN-ANHALT.

Ihmzufolge hat Sachsen-Anhalt eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur, in der nur wenige große Konzerne ihr Hauptquartier in Magdeburg oder Halle haben. Damit Sachsen-Anhalt junge Menschen gewinnt, so der Hochschulforscher, müssen die Universitäten und Hochschulen in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen dafür sorgen, die Wirtschaftsstruktur im Land zu stärken.

Das Wichtigste sind Jobs. Jobs stehen über allem. Es nützt der schönste Studienabschluss nichts, wenn ich damit keine adäquate Beschäftigung finde in einem Umfeld, in dem ich gerne lebe.

Philipp Pohlenz Otto-von-Guericke-Universität

Pohlenz freut sich in diesem Zusammenhang über die geplante Ansiedlung des US-Chipriesen Intel in Magdeburg. Denn für die Universitäten und Hochschulen ist das eine Chance. Jetzt liegt es an den Universitäten und Hochschulen Sachsen-Anhalts, diese zu nutzen und Studiengänge anzubieten, die zukunftsfähige Studienabschlüsse vermitteln, sagt er.

Sachsen-Anhalt ist für junge Menschen attraktiv geworden

Zurück in Kauerts Büro: Kauert hat ihren Traumjob gefunden, auch wenn das bedeutet, dass sie jetzt zwischen dem Jerichower Land und Dessau-Roßlau pendeln muss. Und da gibt es ein Problem: Für sie hat Sachsen-Anhalt allerdings kein gutes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie bemängelt: "In vielen Regionen wurden Bahnhöfe geschlossen. Das Busnetz ist sehr ausbaubedürftig, wenn man in der Region außerhalb der größeren Städte wohnt. Ich glaube, dass es wichtig gerade für jüngere Leute ist, das weiter auszubauen, dass man nicht unbedingt auf ein Auto angewiesen ist."

Doch das Land hat auch viele gute Seiten, die vor allem auch für junge Menschen attraktiv sind, findet sie. Die Ansiedlung spannender Firmen gehöre dazu – und, das sagt Kauert als Mutter: dass das Land eine gute Kinderbetreuung anbietet und dass man im Vergleich zu anderen Bundesländern "relativ günstig wohnen kann".

Ich glaube, wir stellen unser Licht ein bisschen unter den Scheffel.

Stephanie Kauert Rückkehrerin nach Sachsen-Anhalt

Für sie verändert sich Sachsen-Anhalt im Allgemeinen zum Positiven: "Ich glaube, wir stellen unser Licht ein bisschen unter den Scheffel. Wir sollten uns dessen immer wieder bewusst werden, wie facettenreich und vielfältig das Land ist."

MDR (Maximilian Fürstenberg, Engin Haupt)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. Januar 2023 | 19:00 Uhr

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