Hohe Arbeitsbelastung "Ein Drittel der Tierärzte hat ein erhöhtes Selbstmordrisiko"
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14. August 2022, 20:22 Uhr
Tierärzte kommen im Arbeitsalltag häufig an ihre Belastungsgrenzen. Welche Folgen das hat und wie es um die psychische Gesundheit der Tiermediziner in Deutschland steht, hat Psychologin Lena Spangenberg von der Universität Leipzig untersucht.
- Eine Studie von Wissenschaftlerinnen der Freien Universität Berlin und der Universität Leipzig zeigt, dass Tierärzte häufig psychische Probleme haben.
- Die Gründe für die mentale Belastung der Veterinäre sind vielfältig.
- Spezifische Hilfsangebote für Tiermediziner, um ihre mentale Gesundheit zu verbessern, sind in Deutschland noch nicht verbreitet.
MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Spangenberg, Sie haben in einer Studie die psychische Gesundheit von Tierärztinnen und Tierärzten in Deutschland untersucht. Was waren die Ergebnisse?
Dr. Lena Spangenberg: Wir haben mit einer Online-Befragung rund 15 Prozent der in Deutschland tätigen Tierärzte, die über die Tierärztekammern organisiert sind, erreicht. Etwa 20 Prozent der mehr als 3.100 Teilnehmenden berichteten von Suizidgedanken in der jüngsten Vergangenheit. Mehr als ein Viertel hat klinisch auffällige Depressivitätswerte, ein Drittel ein erhöhtes Selbstmordrisiko. Das sind Werte, die vier- bis sechsmal höher liegen als in der Gesamtbevölkerung.
Wir waren sehr überrascht über die Ergebnisse und haben mehrfach nachgerechnet, weil die Zahlen so hoch sind. Unsere Studienteilnehmenden sind zwar tendenziell etwas jünger und weiblicher als der Durchschnitt der in Deutschland tätigen Tierärzte. Die Ergebnisse könnten daher leicht verzerrt sein. Trotzdem gehen wir davon aus, dass das in etwa den Belastungsgrad darstellt, weil es in Einklang mit internationalen Studien ist.
Zur Person: Lena Spangenberg
Lena Spangenberg ist promovierte Psychologin. Sie ist die Leiterin des Forschungsbereichs Suizidalitätsforschung an der Universität Leipzig.
Sind Tierärzte die Berufsgruppe mit dem höchsten Suizidrisiko?
Was Deutschland angeht, ist das schwer zu bestimmen, weil hierzulande in der Todesursachenstatistik nicht nach Berufsgruppen differenziert wird. Aber unsere Ergebnisse sind durchaus im Einklang mit internationalen Studien, die zeigen, dass ein paar Berufsgruppen ein deutlich höheres Suizidrisiko aufweisen als andere: Humanmediziner, Apotheker und Veterinäre, aber auch Bauern.
Woran liegt es, dass Tierärzte, die einen vermeintlichen Traumberuf ausüben, psychisch so belastet sind?
Dieses überraschende Ergebnis wird in der Literatur und in internationalen Studien häufig auf einen Mix an Risikofaktoren zurückgeführt. Einerseits, dass es vielleicht persönliche Merkmale sind, die Tierärztinnen und Tierärzte auszeichnen: hoher Idealismus und hohe Leistungsorientierung zum Beispiel. Das fängt schon im Studium an. Tiermedizin ist ein sehr nachgefragtes Fach. Das heißt, man muss schon von vornherein sehr gute Noten erzielen, um überhaupt in das Studium zu gelangen.
Gleichzeitig werden immer wieder die Arbeitsbedingungen und auch die Bedingungen im Studium angeführt als Risikofaktoren für so eine Belastung. Es gibt schon im Studium einen ziemlich hohen Workload, viele Prüfungen, sehr viele Fächer, sehr viele Themengebiete, die da gelehrt werden. Was ich aus der Literatur weiß und was die Arbeitsbedingungen angeht, gibt es eine große Zahl an Rufbereitschaften und Nachtdiensten, dafür aber eine relativ geringe Entlohnung.
Welche Rolle spielen Euthanasie, also die Einschläferung von Tieren, und mögliche Konflikte mit den Besitzerinnen oder Besitzern der Tiere für die psychische Belastung der Tiermediziner?
Im Umgang mit Tierbesitzern entstehen manchmal Konflikte durch Dilemmata, wenn es vielleicht eine Behandlungsmethode gibt, die aber zu teuer ist, um sie vom Halter bezahlen zu lassen. Es wird auf jeden Fall diskutiert, dass solche Themen sehr belastend sind und das auch Einschläferungen, die man mit kleinen Tieren oder Großtieren durchführt, insgesamt sehr belastend sind. Viele Menschen ergreifen den Beruf ja aus einer idealistischen Tierliebe heraus.
Wir waren sehr überrascht über die Ergebnisse und haben mehrfach nachgerechnet, weil die Zahlen so hoch sind.
Inwiefern gibt es bereits Beratungsangebote für Tierärzte, die psychische Probleme durch ihre Arbeit haben?
Mir sind keine spezifischen Hilfsangebote für Tiermediziner in Deutschland bekannt. In Studien wird immer wieder diskutiert, dass es eine Möglichkeit ist, noch mal Prävention einzubinden, in dem man zum Beispiel spezifische Hotlines schafft für Tierärzte. International gibt es sowas schon. In Deutschland gibt es die normalen Notfallnummern: etwa die Telefonseelsorge, die 24 Stunden am Tag erreichbar ist. Sie können auch jederzeit den Rettungsdienst rufen bei einer suizidalen Krise oder sich in der Psychiatrie vorstellen.
Aber bevor man tatsächlich spezifische Präventions- oder Behandlungsangebote entwickelt, wäre es gut, eine Reihe an weiteren Studien zu dem Thema zu machen. Sonst streut man vielleicht im Gießkannenprinzip irgendwas aus, was nicht wirksam ist, weil es nicht an den richtigen Ursachen ansetzt.
Was müsste sich ändern, etwa in der Ausbildung, damit Tiermediziner weniger unter psychischen Problemen leiden?
Grundsätzlich ist es sicher nicht verkehrt, Stressmanagement und Problemlösung mehr zu etablieren, auch Konfliktkompetenz oder kommunikative Kompetenz im Zusammenhang mit Tierhaltern noch mal zu etablieren und generell für das Thema zu sensibilisieren. Wenn alle wissen, da gibt es eine Problemlage oder das tritt häufig auf, ist vielleicht dieses vermeintliche Tabu, über solche Themen zu sprechen, ein bisschen gemindert.
Die Fragen stellte Lucas Riemer.
Sie haben suizidale Gedanken oder eine persönliche Krise?
Die Telefonseelsorge hilft Ihnen! Sie können jederzeit kostenlos anrufen: 08001110111 ; 08001110222 oder 0800116123.
Auf der Website www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, etwa per E-Mail oder im Chat.
MDR (Lucas Riemer, Jolina Schlaß)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. August 2022 | 19:00 Uhr
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