Ein Justizbeamter steht vor einer Sicherheitsschleuse. 37 min
Bildrechte: MDR/Max Schörm

Podcast "Extrem rechts" Zum Nachlesen: Folge 2, Recht oder Gerechtigkeit

30. Mai 2023, 10:31 Uhr

Bevor es losgeht, ein Hinweis. In diesem Podcast geht es um rassistische, islamophobe, teils sexualisierte Anfeindungen. Wir zitieren an einigen Stellen solche Aussagen, weil sie notwendig sind, um das Problem zu verstehen. Die Betroffenen sind damit einverstanden. Wenn ihr euch damit nicht wohl fühlt, hört euch diesen Podcast bitte nicht oder nicht allein an.

Sprecherin und Sprecher: Jana Merkel und Thomas Vorreyer

00:35
Wer hier rein will, muss seine Taschen leeren, den Ausweis vorlegen, dann geht es durch den Metalldetektor. Danach tasten Justizbeamte jeden Besucher noch einmal ab und scannen die Kleidung mit einem Handscanner.

00:49
Wir sind am Landgericht Halle. Einlasskontrollen gibt es hier oft, aber heute kontrollieren nicht nur zwei Beamte die Taschen. Heute müssen wir durch eine Sicherheitsschleuse. Die wurde direkt vor dem Gerichtssaal aufgebaut. Wie am Flughafen. An der Treppe stehen drei Justizbeamte, in der Schleuse noch mal vier. Das Landgericht in Halle hat die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Denn hier steht heute ein bekannter Rechtsextremist vor Gericht: Sven Liebich.

01:23
Er sitzt schon im Saal und bespricht sich mit seinem Anwalt. Mit uns sprechen will er nicht. 

01:29
Sven Liebich: "Ich rede doch nicht mit der Lügenpresse. Das wissen Sie doch."

01:33
Sven Liebich – der Mann, der seit Jahren im Netz und auf der Straße Hetze verbreitet, und das schier ungehindert. Der Mann, der hunderte Male angezeigt wurde. Für ihn geht es heute womöglich um die erste Freiheitsstrafe seines Lebens. 

01:55
Ihr hört: “Extrem rechts - Der Hass-Händler und der Staat.” Ein Podcast des Mitteldeutschen Rundfunks.


Folge 2: Recht oder Gerechtigkeit 

02:18
In der ersten Folge haben wir euch Menschen vorgestellt, die das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben. Weil die Behörden immer wieder Verfahren gegen den Rechtsextremisten Sven Liebich einstellen. Weil er immer weitermachen kann mit seiner Hetze. 

02:35
In dieser zweiten Folge gehen wir einem Vorwurf nach, einem sehr schweren Vorwurf. Einem, der genau genommen an den Grundfesten unserer Gesellschaft rüttelt. Es geht um die Frage, ob der Rechtsstaat wirklich alle gleich behandelt. Ob er für alle Betroffenen gleichermaßen für Gerechtigkeit sorgt. Und ob er jene, die ihn abschaffen wollen, sogar noch schont.

03:04
Ich bin Jana Merkel -

03:05
und ich bin Thomas Vorreyer. Und zusammen mit unserem Kollegen Tim Schulz haben wir recherchiert, dass es inzwischen hunderte Strafanzeigen gegen Sven Liebich gibt. Und zumindest ein paar dieser Anzeigen werden im Herbst 2022 vor dem Landgericht in Halle verhandelt.

03:25
Sven Liebich kommt nicht allein zum Prozess, er hat Unterstützung dabei. Und zwar nicht nur seinen Verteidiger, sondern Leute, die wir zum Teil auch von seinen Demos kennen. Und einige von ihnen bringen Unruhe rein: sie stören, diskutieren und beschäftigen die Beamten. Das fängt bei der Sicherheitskontrolle an. Da hat einer von ihnen seinen Ausweis nicht dabei und verwickelt die Beamten in eine Debatte.

03:52
Im Gerichtssaal stehen Bänke für Zuschauer und Journalisten. Dort nehmen die Fans von Sven Liebich Platz - und auch wir setzen uns dorthin, verfolgen den Prozess, machen uns Notizen. Während der Verhandlung redet immer wieder ein Mann aus Liebichs Tross dazwischen, macht laute Bemerkungen und stört. Der Richter ermahnt ihn mehrfach – lässt ihn aber nicht rauswerfen. 

04:13
So etwas passiert nicht das erste Mal. Schon beim ersten Prozess haben Liebich und seine Leute versucht, aus dem Verfahren eine Show zu machen. Damals sogar noch viel extremer. Dazu müssen wir erklären: Das Verfahren am Landgericht ist die zweite Instanz. Der erste Prozess lief zwei Jahre vorher am Amtsgericht in Halle. 

04:34
Damals kam auch ein ganzer Tross von Leuten mit ihm zur Verhandlung. Liebich hat dort immer wieder versucht, das Gericht als Bühne für seine Selbstinszenierung zu nutzen. Am ersten Prozesstag hatte er zum Beispiel ein gestreiftes Hemd an, mit einem roten Stoffdreieck auf der Brust. Das ist ein Symbol aus der NS-Zeit. Mit diesem roten Winkel wurden im Dritten Reich politische Häftlinge in Konzentrationslagern gekennzeichnet. 

05:04
Zur Urteilsverkündung tauchte Liebich im Sommer 2020 komplett in Orange auf. Und zog sich draußen vor dem Gericht noch eine Art schwarzen Beutel über den Kopf und kniete sich an den Straßenrand. Optisch erinnerte das alles an Guantanamo-Häftlinge. Liebich hat die Aktion gefilmt und ins Netz gestellt, wie er das meistens tut. Er inszeniert sich als eine Art politisch Verfolgter. Der zuständige Richter hat letztlich angeordnet, dass Liebich den Gerichtssaal nur in neutraler Kleidung betreten darf. 

05:40
Diese Aktionen beim ersten Prozess bestätigen einen Eindruck, den wir während dieser Recherche immer wieder haben: Offenbar geht es Sven Liebich vor allem um Aufmerksamkeit. Und bevor wir weitermachen, müssen wir an dieser Stelle kurz darüber reden, warum wir das hier eigentlich machen, diesen Podcast. Hier stecken wir als Journalisten in einer Zwickmühle. 

06:02
Denn eigentlich geben wir Sven Liebich mit diesem Podcast genau das, was er will. Wir wissen, dass jede Berichterstattung über ihn dazu führt, dass Liebich bekannter wird. Das ist ein Dilemma, aus dem wir nur schlecht herauskommen. Denn nach unserer Erfahrung nutzt er jede Aufmerksamkeit der Medien im Zweifel für sich. Aber auf der anderen Seite ist es unser Job, Probleme aufzuzeigen, zu analysieren und kritisch zu hinterfragen. Und der Umgang von Staat und Gesellschaft mit Sven Liebich ist ein Problem, so sehen es viele der Menschen, mit denen wir für diese Recherche gesprochen haben. 

06:35
Und wir alle wissen: Sven Liebich ist längst nicht der einzige rechtsextreme Hetzer. Hasskriminalität ist etwas, woran sich unser Rechtsstaat seit Jahren abarbeitet. Und weil das so ist, weil der Fall ein Schlaglicht wirft auf die Schwächen des demokratischen Rechtsstaats - deshalb haben wir uns entschieden, diese Geschichte zu erzählen. 

07:00
Im Sommer 2020, fällt in der ersten Instanz am Amtsgericht Halle ein Urteil: 

07:05
Sprecherin: "Damit hat Sven Liebich wohl nicht gerechnet. Die Richter am Amtsgericht Halle haben ihn zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt."
Quelle: MDR um vier, 14.09.2020

07:14
Elf Monate Haft auf Bewährung, doch das Urteil wird nicht rechtskräftig, denn Liebich legt Berufung ein. Es dauert zwei Jahre, bis die Berufungsverhandlung am Landgericht beginnt. Und da sind wir nun. 

07:27
Bei den Taten, die Liebich vorgeworfen werden, geht es um sogenannte Äußerungsdelikte. Das heißt, jemand hat etwas Strafbares gesagt oder eine strafbare Äußerung z.B. im Internet verbreitet. Und hier bei Sven Liebich geht es nicht nur um Dinge, die er gesagt oder im Netz verbreitet hat, sondern auch um Dinge, die er verkauft hat: Angeklagt sind Motive aus einem Online-Shop, den er betreibt. Die werden dort zum Beispiel als Aufkleber verkauft. 

07:52
Zwei besonders drastische Motive, die sind als Volksverhetzung angeklagt. Auf die Details verzichten wir an dieser Stelle. Wir können aber erzählen, dass es um extrem abwertende Darstellungen von Geflüchteten und People of Colour geht. Für ein weiteres Motiv wird ihm die Beschimpfung religiöser Bekenntnisse vorgeworfen, das ist auch eine Straftat.

08:11
Außerdem werden zwei Beleidigungen verhandelt und ein weiterer Straftatbestand, der einen recht sperrigen Namen hat. Nämlich: "Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Verleumdung". Für die anderen Vorwürfe könnten Geldstrafen verhängt werden, aber für die Verleumdung von politischen Persönlichkeiten sieht das Strafgesetzbuch in jedem Fall eine Haftstrafe vor. Sechs Monate bis zu fünf Jahre können das sein. 

08:36
Bevor wir uns anschauen, wie das Berufungsverfahren gegen Sven Liebich ausgeht, müssen wir aber erst mal nach Berlin. 

08:51
Sprecher 1: "so etwas sollte man für Experimente freigeben.." 
Sprecher 2: "oder auf den Scheiterhaufen..."
Sprecher 3: "Drecks-Votze"
Sprecher 4: "Schlampe"

08:58
Das sind Hasskommentare aus dem Netz. Sie richten sich gegen Renate Künast. Die Grünen-Politikerin wird vor ein paar Jahren in sozialen Netzwerken massiv angegriffen, verleumdet und beschimpft. Ihr habt davon bestimmt schon mal in den Nachrichten gehört. Das ging durch alle Medien: Eine Welle von Hass wälzt sich durch das Netz – und Renate Künast wehrt sich. Sie klagt gegen Facebook, zieht bis vors Bundesverfassungsgericht. Es geht um die Frage, was sich eine Politikerin in Deutschland gefallen lassen muss. Und ob Facebook die Daten von Nutzern herausgeben muss, die Künast wüst beschimpft haben. 

09:44
Ich bin auf dem Weg nach Berlin, in den Bundestag, um Renate Künast zu treffen.

09:50
Was viele vielleicht nicht wissen: Einen erheblichen Anteil an der Welle von Hasskommentaren gegen Künast hatte Sven Liebich. Er hat im Netz ein Foto von Künast veröffentlicht, und dazu einen Satz in fett gedruckten Buchstaben. Das wirkt wie ein wörtliches Zitat von Renate Künast. Und es liest sich so, als hätte sie sexuelle Gewalt an Kindern verharmlost. Und genau um dieses Sharepic geht es in dem Berufungsverfahren am Landgericht Halle. Es ist als Verleumdung angeklagt. Und dafür droht Sven Liebich nun vielleicht eine Freiheitsstrafe. 

10:26
Renate Künast: "Sind wir hier? Guten Tag!"
Jana Merkel: "Guten Tag Frau Künast. Jana Merkel ist mein Name. Vielen, vielen Dank für die Zeit."

10:31
Liebich hat Renate Künast in seinem Post ein Zitat untergeschoben, das sie nie gesagt hatte. 

10:37
Renate Künast: "Ja, wissen Sie, es war am Ende gar nicht das Falschzitat selber, sondern etwas, was Ihnen ja mit jedem Falschzitat passieren kann. Dieses Gefühl, dass da jemand etwas Falsches über dich in die Welt setzt, wo du einfach merkst, dass du das irgendwie nicht wieder loswerden kannst. Ja. Diese Gefahr, die da drin ist." 

10:56
Renate Künast: "Und heute wissen wir noch mehr, gibt es auch viel Forschung dazu, die einem ja sehr klar zeigt, wie damit Meinung gemacht wird. Wenn sie was fünf, sechs Mal gehört haben, ist es in ihrem Kopf festgesetzt, ja? Ich kann irgendeine Unterstellung über Sie, eine Behauptung in die Welt setzen, und Sie werden es nicht los. Du merkst, dass es jetzt so eine Wegscheide ist, die dich nicht nur persönlich betrifft, sondern das ganze Land. Wie verteidigst du Demokratie? Und das musst du sehen."

11:20
Renate Künast geht es nicht nur um Sven Liebich, sondern um alle, die ähnliche Dinge tun wie er. Und darum, in welchem gesellschaftlichen Klima wir leben. Deshalb hat sie so ziemlich jeden rechtlichen Hebel genutzt, den der Rechtsstaat bietet: Sie hat Sven Liebich wegen Verleumdung angezeigt. Das wäre eine Straftat und für die Verfolgung von Straftaten ist der Staat zuständig. Also Staatsanwaltschaft und Strafgerichte. Und Künast ist parallel dazu auch noch vor ein Zivilgericht gezogen, hat Sven Liebich privat verklagt und wollte eine Entschädigung. Das Verfahren dort hat sie gewonnen. 

11:58
Renate Künast: "Das war eigentlich mein Motiv. Es muss andere Rechtsprechung geben. Sie müssen sich in den Gerichten, beim Bundesgerichtshof, beim Verfassungsgericht, müssen sie sich mit der Frage auseinandersetzen, dass es jetzt einen organisierten Rechtsextremismus gibt, also auch ein Netzwerk, was deren Ziele sind und mit welchen Werkzeugen, die das betreiben und dass die Digitalisierung das zu einer anderen Wirkung bringt als früher, wenn am Stammtisch sechs Leute schlecht geredet haben. Und das, was Leute wie Sven Liebich machen, ist ja sozusagen, Menschen zu versuchen, in den Rückzug zu schieben. Das ist ja das. Digital Druck zu machen, Shitstorms zu machen, richtige, aber auch analog. sodass am Ende sich viele gar nicht mehr trauen sollen, für Ämter zu kandidieren."

12:45
Renate Künast hat nicht nur Sven Liebich verklagt, sondern – wie gesagt – auch Facebook. Sie wollte die Daten der Nutzer, die sie nach Liebichs Post massiv beschimpft hatten. Um sie anzeigen zu können. Gerichte in Berlin haben ihr das verweigert. Es hieß, sie müsse als Politikerin solche Beleidigungen aushalten. 

13:05
Daraufhin brachte Künast die Sache bis vor das Bundesverfassungsgericht. Und das gab ihr Recht: Es stellte klar, dass gewählte Politiker:innen Hass und Beleidigungen im Netz nicht hinnehmen müssen. Dass der Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte wichtig ist, in einer Demokratie. Weil sich nämlich sonst immer weniger Menschen in Ämter wählen lassen. Und genau davon lebt eine Demokratie: von der Mitwirkung und dem Engagement.

13:31
Das macht die Tragweite klar. Und angesichts dieser Tragweite ärgert sich Renate Künast darüber, dass die Justiz in Halle für das Strafverfahren gegen Sven Liebich so lange braucht. Denn ihre Anzeige stammt aus dem Jahr 2017.

13:46
Renate Künast: "Und ich habe auch ehrlich gesagt, immer das Gefühl gehabt, dass da bei dem Gericht in Halle auch nicht so ganz wahrgenommen wird, welche Bedeutung das eigentlich hat. Man musste viel Druck machen und immer wieder nachfragen, bis es dann endlich überhaupt zur ersten Runde kam."

14:02
In erster Instanz wurde 2020 verhandelt, drei Jahre nach ihrer Anzeige.

14:07
Renate Künast: "Das ist einer der Teile, wo man sagen kann äh, in den Gerichten wird nicht wirklich, in den Staatsanwaltschaften und Gerichten wird oder wurde nicht wirklich wahrgenommen, um was es da geht. Das ist keine banale Kriminalität, ja,? Das hat mich schon sehr geärgert. Und das ist ein Grund mehr, darüber öffentlich zu reden, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, weil du musst dazu kommen, dass sich Leute, auch Justizminister oder Generalstaatsanwälte dafür rechtfertigen müssen, dass das so ewig lange dauert, ja."

14:29
Hier klingt etwas Wichtiges an: Renate Künast hat nämlich etwas, das viele andere Betroffene nicht haben: Ressourcen. Zum Beispiel Geld für einen Anwalt, der dann auch beim Prozess mit im Gericht sitzt, als Anwalt der Nebenklage. Sie kann es sich leisten, jahrelange Verfahren durchzufechten. Und sie hat einen prominenten Namen  – und dadurch die Aufmerksamkeit der Medien.

14:53
Jana Merkel: "Glauben Sie, wenn Sie ein ganz normaler Mensch wären, wäre das vielleicht nicht so ausgegangen?"
Renate Künast: "Ich bin natürlich normal." (beide lachen)
Jana Merkel: (leise) "Naja, Sie wissen, was ich meine."
Renate Künast: "Ähm, ja, ich weiß, was Sie meinen. Äh Ja, ich fürchte, ja. (...) ich glaub, denke auch. Das ist auch das ewige Nachfragen und wieder Akteneinsicht und die Öffentlichkeitsarbeit. Dass natürlich - irgendwann musste man das mal terminieren. (…) Also, ich kann nur sagen, wer da Anzeigen erstattet und Einstellungen kriegt oder so, soll sie mir gerne schicken, ja? Ich mache gerne daran weiter Öffentlichkeitsarbeit, weil das nicht geht. Und weil die Region Halle Besseres verdient hat, als quasi der Ort zu sein, den man dann erinnert, als einen Ort, an dem Sven Liebich und andere Rechtsextreme Menschen aufhetzen."

15:35
Dass es so viel Nachdruck braucht, so viel Öffentlichkeit, so viel Zeit und Einsatz – damit eine Straftat als solche verfolgt wird – sollte das in einem Rechtsstaat so laufen? Und was ist mit Menschen, die diese Ressourcen nicht haben? Haben die dann schlechtere Chancen auf Gerechtigkeit im Rechtsstaat?

16:08
Torsten Hahnel: "Also: Linksterroristen, Terroristen, steuerfinanzierte Linksmaden, gewaltbereit, vermummt, Linksmaden, steuerfinanzierte Zecken, in Klammern mit Erklärungen, dass es Zecken, Schaben, Ungeziefer und Schädlinge sind, noch mal Linksmaden, Schaben-Demo, Schaben, Linksextreme Terrorschaben, Geisteskranke Typen, total Geisteskranke. Die Hälfte nimmt harte Drogen. Kriminelle und Asoziale, Terrorschaben aus Dresden und Leipzig, Schwuchteln, bezahlte SPD, Grüne, Linke, Schaben und den Strichern ist alles zuzutrauen."

16:48
Das ist die Stimme von Torsten Hahnel. Mein Kollege Thomas Vorreyer und ich sitzen mit ihm in einem Café in Halle. Was Torsten Hahnel da vorliest, das sind nicht seine Worte. Sondern die von Sven Liebich. So hat Sven Liebich vor einigen Jahren Demonstranten beschimpft. Torsten Hahnel war damals auch auf der Demo, es war ein Protest gegen einen rechtsextremen Aufmarsch. Er hat Liebich danach wegen Beleidigung angezeigt. Auch die wird gerade vor dem Landgericht verhandelt, in demselben Berufungsverfahren wie der Künast-Fall. In der ersten Instanz wurde Liebich für die Beleidigungen verurteilt. 

17:24
Torsten Hahnel: "Und es war wohltuend, als äh Betroffener damals zu hören, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Richter gesagt haben: Das sind Straftaten."

17:31
Und wenn ihr jetzt denkt: Na bitte, klappt doch mit dem Rechtsstaat und der Gerechtigkeit: Falsch gedacht. Wir treffen Torsten Hahnel nämlich hier, weil das Landgericht heute – am zweiten Prozesstag im Berufungsprozess – etwas verkündet hat: Vier Anklagepunkte sind eingestellt, werden also nicht weiter verfolgt. Drei davon betreffen Torsten Hahnel. Die Beleidigungen, die ihr eben gehört habt, sind auch darunter. 

17:59
Um das noch mal klarzumachen: Für genau diese Taten war Sven Liebich schon verurteilt, in erster Instanz. Und jetzt in zweiter Instanz, im Berufungsverfahren fallen sie quasi unter den Tisch. 

18:12
Torsten Hahnel: "Und das macht ratlos. Das macht wütend, das äh - Man fragt sich, ob äh die Justiz in der Lage, willens oder bereit ist, das zu tun, was nötig ist, also Straftaten zu verfolgen. (...) Der Schritt heute war dann wieder: Nee, Es ist doch nicht so. Also, er kann das doch tun. Es ist doch nicht strafbar, mich zu beleidigen. Es ist doch nicht strafbar, irgendwelche Geschichten über mich zu erzählen, die frei erfunden sind. Das ist nicht schön als Betroffener - erst recht nach so langer Zeit."

18:44
Torsten Hahnel zeigt uns seine Unterlagen: Er schrieb eine Anzeige, die Staatsanwaltschaft einen Einstellungsbescheid. Er nahm sich einen Anwalt, der schrieb eine Beschwerde, die wurde angenommen, der Fall neu geprüft, letztlich angeklagt und in erster Instanz sogar verurteilt. Von der Tat bis zu unserem Treffen im Café sind fünf Jahre vergangen. Das ganze Prozedere hat Torsten Hahnel Zeit, Nerven und Geld gekostet. Und er hat nicht so viele Ressourcen wie Politikerin Renate Künast. Und am Ende steht unterm Strich für Torsten Hahnel: nichts. 

19:19
Torsten Hahnel: "Und das Ergebnis ist dann nach so einer langen Zeit, okay, äh es wird jetzt eingestellt. Er wird jetzt nicht mehr dafür belangt. Und das ist äh, ja, es ist nicht hinnehmbar. Das ist äh, das ist nicht das, was ich von einem demokratischen Rechtsstaat erwarte. Und erwarten kann oder sollte. Also, es ist wirklich nicht zu verstehen. Und es macht äh, ratlos."

19:41
Unter unseren Gesprächspartnern ist Torsten Hahnel wohl derjenige, der Sven Liebich am längsten kennt. Er engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus - privat und beruflich. Torsten Hahnel arbeitet nämlich für den Miteinander e.V. Der Verein klärt über Rechtsextremismus auf und berät alle, die Hilfe im Umgang mit Akteuren aus der Szene brauchen, zum Beispiel Gemeinden. Torsten Hahnel und sein Team kümmern sich auch um Opfer von extrem rechten Übergriffen. Darunter auch viele Betroffene von Sven Liebich. Eigentlich rät Torsten Hahnel ihnen immer zu einer Strafanzeige. Eigentlich. 

20:20
Torsten Hahnel: "Natürlich ist es richtig, eine Straftat anzuzeigen und natürlich ist es richtig, als Betroffener oder Betroffene einer Straftat davon auszugehen, dass der Rechtsstaat in der Lage ist, erst recht, wenn der Täter bekannt ist und es immer wieder tut, dafür zu sorgen, dass der Täter es nicht mehr tut. Gleichzeitig weiß ich aus der Erfahrung der letzten Jahre, dass genau das nicht passiert. Warum also, warum soll ich ihnen raten, das zu tun? Die Frage stellt sich ganz, ganz massiv. Die Frage ist nur, was soll ich denn sonst raten? Ich weiß es gerade nicht. Nochmal, diese Erfahrung als Betroffener im Prinzip nach so langer Zeit gesagt zu bekommen, Nee, das interessiert uns nicht als Staat. Das heißt das im Endeffekt: Du wirst kein Recht bekommen und der Täter kann weitermachen. Das ist das Resultat, ist so frustrierend, dass ich, dass man wirklich überlegen muss, was ist die Alternative? Was soll man Leuten noch raten? Ich kann es im Moment nicht beantworten, tatsächlich nicht."

21:12
Es ist ihm deutlich anzumerken: Vertrauen hat er keins mehr. Torsten Hahnel glaubt, die Behörden, die Justiz nehmen das Problem Liebich nicht ernst genug. Als wäre der nur irgendein nerviger Störenfried.

21:26
Torsten Hahnel: "Das ist im Prinzip eine permanente Arbeitsverweigerung. Also irgendwie haben sie keine Lust darauf. Und das zieht sich eben so durch. Von der Versammlungsbehörde bis zu den Richtern über die Staatsanwaltschaft und alle, die dafür irgendwie zuständig sind."

21:39
Heute steht für Torsten Hahnel unterm Strich: Liebich wird nicht dafür bestraft, dass er ihn und andere als “Maden” und “Schaben” bezeichnet hat. Die Justiz lässt Liebich damit davonkommen. Denn dieser Teil des Verfahrens ist eingestellt.

22:05
Die juristische Begründung dafür ist der Paragraph 154 in der Strafprozessordnung. Klingt sperrig. Ist es auch. Das müssen wir mal kurz erklären. 

22:16
Es gibt Fälle, in denen Strafverfahren eingestellt werden, obwohl die Staatsanwaltschaft eine Strafbarkeit sieht. Das kann noch während der Ermittlungen passieren oder auch erst während eines Prozesses – wie in unserem Beispiel. Das klingt erst mal absurd: Einstellen, obwohl die Staatsanwaltschaft überzeugt ist, dass eine Straftat vorliegt. Aber dafür gibt es eine Rechtsvorschrift: den Paragraphen 154 in der Strafprozessordnung. Im Kern steht da Folgendes drin: Wenn die Strafe, die im Falle einer Verurteilung zu erwarten ist, neben einer anderen Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt, dann kann die weniger schwerwiegende Tat eingestellt werden. 

22:52
Im Fall von Torsten Hahnel ist es so: In diesem Verfahren werden neben der Beleidigung gegen Hahnel auch weitere Taten verhandelt, für die am Ende höhere Strafen drohen. Die Strafe für die Beleidigung würde sich am Ende kaum auf die Gesamtstrafe auswirken.

23:08
Und in so einem Verfahren mit mehreren Tatvorwürfen wird am Ende immer eine Gesamtstrafe gebildet. Und die wird vor allem durch die schwerwiegendste Tat bestimmt. Die kleineren Sachen fallen da weniger ins Gewicht. So hat die Staatsanwaltschaft die Einstellung von Torsten Hahnels Beleidigung begründet. 

23:26
Die Einstellung erfolgt dann nicht wegen Unschuld oder weil die Beweise nicht reichen. Sondern sozusagen, um den Aufwand im Verfahren zu reduzieren. Denn je weniger Tatvorwürfe verhandelt werden müssen, desto weniger Zeugen müssen vernommen werden, desto weniger Schreibarbeit fällt an, umso schneller läuft der Prozess. Es geht da letztlich um effizientes Arbeiten der Justiz. Das ist durchaus üblich. Betroffene wie Torsten Hahnel haben dagegen auch keine Rechtsmittel. Sie müssen das hinnehmen. 

24:01
Das ist alles ziemlich kompliziert - und wir kommen auf all diese juristischen Feinheiten in einer späteren Folge noch einmal zurück. Um besser zu verstehen, wie der Rechtsstaat arbeitet und funktioniert. Aber jetzt ist erstmal wichtig, wie der Prozess gegen Sven Liebich weitergeht. Denn da sind ja noch die anderen Anklagepunkte. An einem Montag Ende Oktober 2022 soll das Urteil im Berufungsprozess fallen. 

24:30
Thomas und ich sind im Landgericht dabei. Wieder Metalldetektor, wieder erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, wieder sind Anhänger von Sven Liebich mit im Gerichtssaal. 

24:47
Im Saal verkündet der Richter das Urteil: In allen verbliebenen Anklagepunkten wird Liebich schuldig gesprochen. Wegen Volksverhetzung, wegen der Beschimpfung religiöser Bekenntnisse und wegen der Verleumdung von Personen des politischen Lebens. Das betrifft Renate Künast und übrigens auch Martin Schulz, den ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten. Der Richter ist in der Urteilsbegründung sehr deutlich: 

25:13
Er sagt, was Liebich getan hat, hat nichts mit Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit zu tun, wie er selbst immer wieder behauptet hat. Der Richter stellt fest, dass Liebich mit den rassistischen Aufkleber-Motiven, die er verkauft hat, zu - Zitat -“Rassenhass aufstachelt”. Renate Künast und Martin Schulz wollte Liebich nach Ansicht des Richters herabsetzen und diskreditieren. Er vergleicht Liebichs Agieren damit, dass jemand ein Streichholz im Wald anzündet und sich dann für den entstehenden Flächenbrand als unschuldig hinstellt. Und er sagt, dass Liebichs Hetze gegen den Islam an die Ausschreitungen gegen Andersgläubige im Dritten Reich erinnert. Liebichs Argument, das sei doch alles lustig gemeint, lässt der Richter nicht gelten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie zivilisierte Mitglieder einer toleranten Gesellschaft solche Schmähungen lustig finden könnten. Und der Richter nennt Liebich einen "Überzeugungstäter" - Und lässt keinen Zweifel daran, dass Liebich Gesetze bricht und gezielt Hass verbreitet. 

26:09
Und dann wird das Strafmaß verkündet: Zehn Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Und der Richter sagt einen entscheidenden Satz. Der steht auch im schriftlichen Urteil. Zitat: 

26:22
Die Vollstreckung dieser Gesamtstrafe musste wegen des Verschlechterungsverbots zur Bewährung ausgesetzt werden. 
Quelle: Urteil Landgericht Halle, 24. Oktober 2022

26:28
Liebich hätte also womöglich keine Bewährung bekommen. Aber dem stand das sogenannte Verschlechterungsverbot entgegen. Was ist das und warum gibt es das? Das lassen wir uns vom Gerichtssprecher Wolfgang Ehm erklären. 

26:42
Wolfgang Ehm, Gerichtssprecher: "Wenn beide Seiten, also Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung einlegen, dann hat die Kammer alle Möglichkeiten, eine neue Strafe zu finden. Hat aber, wie hier, nur der Angeklagte Berufung eingelegt, dann kann das Urteil nicht schlechter ausfallen, für ihn schlechter, als das amtsgerichtliche Urteil."

26:58
Jana Merkel: "Heißt das, das ist so zu verstehen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung nicht zurückgezogen hätte, dass es ein härteres Urteil gegeben hätte womöglich?"

27:04
Wolfgang Ehm: "Die Andeutung des Vorsitzenden in der mündlichen Urteilsbegründung lassen erahnen, dass es möglicherweise zu einer schwereren Bestrafung gekommen wäre, wenn die Kammer alle Möglichkeiten gehabt hätte. Der Vorsitzende sprach davon, dass er ein Überzeugungstäter sei. Ähm Und deswegen, so mochte man seine Worte verstehen, hatte die Kammer durchaus auch Bedenken, äh die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen."

27:25
Das müssen wir, glaube ich, noch mal erklären. Wir reden hier ja von einem Berufungsprozess. Ihr erinnert euch: Es gab einen ersten Prozess und ein Urteil am Amtsgericht - dagegen hat Liebich Berufung eingelegt. Und die Staatsanwaltschaft zunächst auch. Aber dann hat sie ihre Berufung wieder zurückgezogen. Wir haben euch in Folge 1 schon erzählt, dass uns die Staatsanwaltschaft kein Interview gibt, um über die Kritik an ihrem Vorgehen zu sprechen. Aber am Rande des Prozesses im Herbst 2022 hat der zuständige Staatsanwalt zumindest die Frage beantwortet, warum die Staatsanwaltschaft ihre Berufung zurückgezogen hat. Staatsanwalt Ulf Lenzner begründet das so: 

28:07
Ulf Lenzner, Staatsanwaltschaft Halle: "Die Staatsanwaltschaft Halle hat ihre ursprünglich eingelegte Berufung dann zurückgenommen, nachdem die schriftlichen Urteilsgründe vorlagen, des Amtsgerichts Halle. Diese schriftlichen Urteilsgründe waren für uns gut nachvollziehbar. Im Übrigen gab es eine fast vollständige Übereinstimmung zwischen dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft und der Entscheidung des Amtsgerichts. In solchen Fällen ist es üblich, nach einer Prüfung der schriftlichen Urteilsgründe die Berufung dann nicht weiter fortzusetzen."

28:38
Staatsanwalt Lenzner hatte damals vor dem Amtsgericht zwölf Monate auf Bewährung gefordert, verhängt wurden elf Monate. Das war aus Sicht der Staatsanwaltschaft kein so großer Unterschied. Deshalb hat sie ihre Berufung zurückgezogen.

28:52
Und wenn nur der Angeklagte ein Urteil anfechtet, dann darf ihm daraus kein Nachteil entstehen. Für Liebich hat es sogar einen Vorteil. Im ersten Urteil waren es nämlich elf Monate, jetzt sind es noch zehn Monate Haft auf Bewährung. Dass die Strafe nicht höher ausfallen durfte, haben wir ja inzwischen verstanden, aber warum ist sie denn nun auch noch geringer? Das haben wir den Gerichtssprecher Wolfgang Ehm gefragt:

29:18
Gerichtssprecher Wolfgang Ehm: "Die Freiheitsstrafe ist letztlich um einen Monat verringert worden. Das liegt schlicht daran, dass vier Taten nicht mehr Gegenstand der Verurteilung waren. Dieses Verfahren war insoweit eingestellt worden, und das wirkt sich dann letztlich auch bei der Gesamtfreiheitsstrafe aus. Also, es ist nicht so, dass die Kammer die Taten als weniger schwerwiegend angesehen hätte oder so, sondern die Verringerung der Gesamtfreiheitsstrafe hatte ihren Grund einfach darin, dass weniger Einzelstrafen eingeflossen sind in die Gesamtfreiheitsstrafe."

29:45
Der Grund für die geringere Strafe ist also, dass unter anderem die Beleidigungen gegen Torsten Hahnel im Prozess eingestellt wurden. Ihr erinnert euch? Dabei wurden die Beleidigungen doch eingestellt, weil man davon ausging, dass sie sich am Ende nicht auf das Strafmaß auswirken würden. 

30:01
Dass sie sich nicht "beträchtlich" auswirken würden. Und Worte wie "beträchtlich" oder "erheblich" sind hier wohl das Entscheidende. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft liegt zwischen zehn und elf Monaten eben kein beträchtlicher Unterschied. 

30:17
Für Betroffene macht das aber durchaus einen Unterschied. Auf der einen Seite die juristischen Feinheiten – auf der anderen Seite das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen – das will hier nicht so richtig zusammenpassen. 

30:31
Torsten Hahnel schüttelt den Kopf.

30:33
Torsten Hahnel: "Der Effekt ist natürlich der, dass er sich immer wieder ermutigt fühlt und noch einen Schritt weiter geht und noch verrückter wird, noch durchgedrehter und die Öffentlichkeit noch mehr vorführt. Das ist das, was dabei rauskommt. Also ich finde es ganz wichtig, auch zu sagen ich, ich habe vor diesem Menschen keine Angst. Das ist aber eine Ausnahme."

30:53
Torsten Hahnel ist nicht nur selbst Betroffener, er berät auch Betroffene.

30:57
Torsten Hahnel: "Aber ich weiß, dass es viele Menschen gibt, denen er Angst macht. Ganz klar. So. Und deshalb gibt es überhaupt keinen Grund, das irgendwie kleinzureden oder zu verharmlosen oder so. Nur weil ich damit umgehen kann, weil es aber auch mein Job ist, weil ich, ja, mich im Prinzip mit diesen Abgründen ja fast rund um die Uhr beschäftige, bin ich eher die Ausnahme als die Regel. Er, sein Umfeld, seine Dauerpräsenz im öffentlichen Raum macht Menschen Angst und schränkt die Bewegungsfreiheit vieler Menschen ein. Und ich glaube, dieses Fazit müssten sich die Verantwortlichen Stellen bei Justiz, Staatsanwaltschaft, äh, äh Versammlungsbehörde tatsächlich irgendwann mal klarmachen, um zu wissen, dass ihr Handeln, oder in dem Falle meistens Nichthandeln, tatsächlich Folgen hat für viele Menschen."

31:48
Fassen wir mal zusammen, was wir bis jetzt verstanden haben. An diesem einen Gerichtsverfahren können wir nämlich ganz gut sehen, dass der Rechtsstaat eine ziemlich komplizierte Angelegenheit ist. Und dass es viele juristische Feinheiten gibt, die am Ende dazu führen, dass jemand wie Sven Liebich weniger hart oder gar nicht bestraft wird:

32:09
Zunächst mal werden viele Anzeigen eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft keine Strafbarkeit sieht. Betroffene können dagegen Beschwerde einlegen – das braucht aber Zeit und Nerven und oft auch einen Anwalt. Und wenn die Fälle dann doch zur Anklage kommen, dann oft mehrere Taten gebündelt. Davon werden vor Gericht dann wieder einige eingestellt, weil sie sich nur geringfügig auf das Strafmaß auswirken. Und die Verfahren dauern oft viele Jahre, ehe es zu einem Urteil kommt. Und das kann dann wiederum angefochten werden, durch eine Berufung. Wieder vergehen im Zweifel Jahre bis zur nächsten Instanz.

32:45
Und dann liegen die Taten 4, 5, 6 Jahre zurück. Und genau das wirkt sich mildernd auf das Strafmaß aus. Je länger eine Tat her ist, desto milder wird sie nämlich bestraft. Das habe ich auch mit Renate Künast besprochen. 

32:59
Sie ist selbst Juristin und sieht die Sache mit den strafmildernden Umständen für Täter wie Sven Liebich sehr kritisch. Dass er nicht abgestritten hat, die Sharepics und Aufklebermotive verbreitet zu haben – auch das wurde strafmildernd berücksichtigt. 

33:13
Renate Künast: "Das ist ja einfach eine, sage ich mal, anwaltliche Methode. So nach dem Motto: Es ist sowieso bewiesen. Es macht gar keinen Sinn, was abzustreiten. Das würde bei der Strafzumessung auch negativ sein. Und sagen Sie doch einfach, ja, das habe ich gemacht. Aber das ist doch eigentlich absurd, so jemandem, der das so systematisch betreibt, dann noch sozusagen ein Teilgeständnis von, von Tatsachen, die von der Beweislage her außer Frage stehen, dem das irgendwie zugute zu halten, ja. Ich muss mal sagen, das, das ist naiv, absolut naiv, was da gemacht wird. Und ich hoffe und erwarte, dass Gerichte an so einer Stelle auch wirklich mal recherchieren und gucken, mit wem sie zu tun haben."

33:53
Ob das Berufungsurteil überhaupt rechtskräftig wird, das bleibt zunächst offen. Denn Liebich legt Revision ein – will das Urteil also in einer höheren Instanz prüfen lassen. 

34:05
Renate Künast hat gerade einen Punkt angesprochen, der für unsere Recherche extrem wichtig ist. "Mit wem die Justiz es im Fall Liebich zu tun hat." – Dass er heute ein Rechtsextremist ist, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird – das wissen wir jetzt.

34:23
Aber wie ist er eigentlich der Hass-Händler und Hetzer geworden? 

34:29
Um das zu verstehen, müssen wir zurückgehen, fast 30 Jahre zurück, bis in die 90er, die viele heute die Baseballschlägerjahre nennen. Dorthin führt uns die nächste Folge. Denn schon in den 90ern fing Sven Liebich an, mit Hass Geld zu verdienen. Er war ein Neonazi. Und nicht irgendein Mitläufer – er war Führungskader in einer militanten und international vernetzten Neonazi-Organisation: Blood and Honour. 

MDR

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