Interview Gefangenengewerkschaft: Mindestlohn für Arbeit von Häftlingen nötig
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von Katharina Gebauer, MDR SACHSEN-ANHALT
29. Oktober 2023, 19:59 Uhr
Manuel Matzke ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Organisation. Er saß selbst im Gefängnis und setzt sich nun mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern für die Arbeitsrechte der Gefangenen in Deutschland ein. Er kritisiert den derzeitigen Resozialisierungsanspruch der Justiz und fordert unter anderem den gesetzlichen Mindestlohn für Gefangene.
- Derzeit diskutieren die Bundesländer, wie sie den Gefangenenlohn künftig anheben und überarbeiten ihre Resozialisierungskonzepte. Damit folgen Sie einem Urteil von Ende Juni, der die Gefangenenvergütung in den Ländern Bayern und Nordrhein-Westfalen als verfassungswidrig einstufte.
- Sachsen-Anhalt befindet sich dazu im Austausch mit den anderen Bundesländern, bisher ohne Ergebnisse. Die Bundesländer haben bis Mitte 2025 Zeit, eine neue Gesetzgebung vorzugeben.
- Die Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Organisation fordert unter anderem Mindestlohn für Gefangene und die Einzahlung in die gesetzlichen Kranken- und Rentenkasse.
MDR SACHSEN-ANHALT: Warum ist Arbeit für Gefangene wichtig?
Manuel Matzke: Arbeit im Vollzug ist wichtig, denn das Leben im Vollzug kostet auch Geld. Für Kaffee, Zigaretten und zum Telefonieren braucht man Geld. Telefonieren etwa läuft über einen einzigen Anbieter, Telio, der den Gefangenen das Geld aus der Tasche zieht, die Justiz trägt das stillschweigend mit. Durch den Lohn ist es dem Gefangenen möglich, Opfer zu entschädigen oder die Familie zu unterstützen. Arbeit ist auch wichtig, um Struktur zu erfahren, seine Fertigkeiten zu schulen und um einfach aus der Zelle rauszukommen.
Ende Juni entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Resozialisierungsaufgabe mit Blick auf die jetzige Bezahlung von Gefangenen in NRW und Bayern rechtswidrig ist. Nun müssen alle 16 Bundesländer nachjustieren, denn Arbeit muss sich laut Urteilsspruch lohnen. Wie fördert eine Beschäftigung aus Ihrer Sicht die Resozialisierung eines Gefangenen?
Wir als Gefangenengewerkschaft waren selbst als Sachverständige bei der zweitägigen Verhandlung dabei. Da haben wir vor allem eins wahrgenommen: Arbeit ist für die Justiz einer der wichtigsten Faktoren der Resozialisierung. Für uns ist das, was derzeit in Justizvollzugsanstalten bei der Gefangenenbeschäftigung praktiziert wird, keine Resozialisierung. Das System vermittelt genau eins: Ehrliche Arbeit zahlt sich nicht aus.
Ehrliche Arbeit muss adäquat vergütet werden.
Wir müssen davon ausgehen, dass bundesweit 80 Prozent der Gefangenen für externe Dienstleister produzieren. Da kann es nicht sein, diese Gefangenen mit 1,50 Euro pro Stunde zu entlohnen. Damit vermittelt man: "Bleib' kriminell" und "Du bist nichts wert". Ehrliche Arbeit muss adäquat vergütet werden. Es kann nicht sein, dass die Justiz der freien Wirtschaft sozialabgabenfreie Inhaftierte zur Verfügung stellt.
Welche Rolle spielt denn die Bezahlung für die Gefangenen? Sind viele nicht vor allem froh, einer Beschäftigung nachgehen zu können?
Es ist ein riesengroßes Thema. Wir bekommen dazu jeden Tag Schreiben, auch von Menschen, die kurz vor der Haftentlassung stehen und jahrelang im Gefängnis gearbeitet haben. Da ist der Lohn eine Sache, aber auch die Einbeziehung in die sozialen Leistungssysteme, z.B. in die Rentenversicherung. Wenn jemand 15 Jahre in Haft sitzt und arbeitet, kann er keine Rentenpunkte sammeln. Damit ist er später stark armutsgefährdet.
Was fordert die Gefangenengewerkschaft konkret für die Menschen in Haft?
Wir fordern den gesetzlichen Mindestlohn für arbeitende Inhaftierte und die Einbeziehung in die Sozialsysteme, besonders Renten- und Krankenversicherung. Eine weitere Forderung von uns ist Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, damit im arbeitsrechtlichen Kampf auch die Gefangenen in den Streik gehen können.
Sehr realistisch ist die Umsetzung eines Mindestlohns derzeit allerdings nicht.
Es wird wahrscheinlich ein Stückchen weg vom Mindestlohn sein. Wir hoffen, dass es sich irgendwo in der Mitte einpendelt. Das Urteil hat da Freiraum geschaffen und es gibt auch Möglichkeiten der nichtmonetären Vergütung, wie etwa Freistellungstage.
Einige der Beschäftigungen, denen Gefangene nachgehen, sind unter anderem arbeitstherapeutische Maßnahmen und Arbeitstraining. Ist da diese Forderung nach etwa Mindestlohn gerechtfertigt?
Ja, ist sie. Innerhalb einer Justizvollzugsanstalt kann man auch Ausbildungen machen. Neben dem Mindestlohn gibt es ja auch Mindestausbildungsvergütungen, die hier anzuwenden sind. Arbeitstherapeutische Maßnahmen müssen sich dann nicht unbedingt nach dem gesetzlichen Mindestlohn richten, aber nach vergleichbaren Mindestvergütungen.
Wie sehen Sie eine mögliche Haftkostenbeteiligung der Gefangenen? Hat der Gefangene davon am Ende überhaupt etwas, wenn mehr Lohn für Haftkosten verwendet werden?
Manche Inhaftierte beteiligen sich ja bereits an einigen Kosten und zwar die, die im Offenen Vollzug in einem freien Beschäftigungsverhältnis sind und außerhalb der Justizvollzugsanstalt arbeiten dürfen. Diese Gefangenen sind dann auch gesetzlich krankenversichert. Anteilig an dem, was sie verdienen, werden Haftkosten gezahlt. Als ich im Gefängnis saß und extern gearbeitet habe, hatte ich bei dieser Art der Haftkostenbeteiligung 400 bis 500 Euro pro Monat zur Verfügung.
Derzeit befinden in Sachsen-Anhalt laut Justizministerium nur 44 von 1.551 Inhaftierten im Offenen Vollzug. 11 davon arbeiten in einem freien Beschäftigungsverhältnis.
Es heißt oft von der Justiz, es seien nicht alle Gefangenen geeignet, aber der Offene Vollzug sollte immer voll sein. (Anm. d. Red.: Nur im Offenen Vollzug ist es bei Eignung des Gefangenen möglich, extern und außerhalb des Gefängnisses zu arbeiten). Das ist eine Vorstufe in die Gesellschaft und viele haben diese Möglichkeit nicht. Dort sollten mehr Gefangenen dabei unterstützt werden, eine externe Arbeit zu finden, da bräuchte es viel mehr Kompetenzen.
Das Urteil lässt offen, wie die Länder ihr Resozialisierungskonzept mit Blick auf Entlohnung nun überarbeiten. Eine Möglichkeit könnte künftig auch unentgeltliche Entlohnung sein. Halten Sie das für sinnvoll?
Viele Länder nutzen da Freistellungstage, wie etwa nach 40 Tagen Arbeit ein Tag Hafterlass. Die werden allerdings oft ausgezahlt und sind dadurch aus unserer Erfahrung oftmals sinnlos. Sinnvoll könnten eher mögliche Lockerungen für den arbeitenden Gefangenen sein, wenn es um nichtmonetäre Vergütung geht. Der Fokus sollte allerdings auf monetärer Vergütung liegen, denn das ist die wichtigste Anerkennung der arbeitenden Menschen in Haft.
Die Bundesländer sind derzeit im Austausch und beraten sich. Aus Sachsen-Anhalt gibt es noch keine konkreten Pläne. Welche Herausforderungen sehen Sie bei der gesetzlichen Umsetzung?
Derzeit ist es in den Bundesländern total unterschiedlich in der Bezahlung von Gefangenen. Wir haben Bundesländer, dort gibt es Vergütungsstufen von 1 bis 5, andere wiederum von 1 bis 6. Ein Inhaftierter in Berlin hat in der Vergütungsstufe 3 zum Beispiel so etwas mehr Geld als etwa einer aus Sachsen-Anhalt. Wir fordern eine einheitliche Regelung bei der Vergütung, es sollte kein Flickenteppich werden.
Das Interview führte Katharina Gebauer.
MDR (Katharina Gebauer, Kevin Poweska)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Oktober 2023 | 19:00 Uhr
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