Frauen im Landtag Die CDU und ihr niedriger Frauenanteil: "Natürlich auch eine Machtgeschichte"
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10. März 2021, 18:57 Uhr
Über keine Aufstellung der Landesliste wurde in den vergangenen Wochen so laut gestritten wie bei der der CDU. Und das hatte etwas mit dem Frauenanteil zu tun. Im vierten Teil der Reihe über Frauen im Landtag blickt MDR SACHSEN-ANHALT auf die Debatte zurück – und lässt eine Frau zu Wort kommen, die ihre Partei schon mal fortschrittlicher aufgestellt sah.
Mit vier Frauen zog 2016 die CDU in den Landtag ein. Mittlerweile sind es nur noch zwei. Edwina Koch-Kupfer verzichtete kurz nach der Wahl auf ihr Mandat und wurde Staatssekretärin im Bildungsministerium. Zwei Jahre später wurde sie wegen Ungereimtheiten in der Amtsführung in den Ruhestand versetzt, der Posten der Staatssekretärin mit Eva Feußner neu besetzt. Erstmal ein positives Signal. Auf Frau folgte Frau. Nur bedeutete der Aufstieg von Eva Feußner auch: Wieder verließ eine Frau die CDU-Fraktion. Wieder rückte ein Mann nach. In Zahlen ausgedrückt: Frauen machen hier derzeit nur noch knapp sieben Prozent aus.
Ähnlich niedrig war der Frauenanteil nur zwischen 1990 und 1994, hat Carmen Niebergall nachgerechnet. Bereits zu DDR-Zeiten trat sie in die CDU ein. Kurz nach der Wende wurde sie zur Staatssekretärin für Gleichstellung und Frauen ernannt. Acht weitere Jahre saß sie als Abgeordnete im Landtag, bis 2002. Acht Jahre, in denen die CDU nicht regierte, sondern in die Opposition musste. Spannend: In der dritten Legislatur, den letzten vier Oppositionsjahren, war der Frauenanteil in der Fraktion mit 28 Prozent so hoch wie nie. Mit dem Wechsel in die Regierung 2002 änderte sich das.
Wir wollen euch, wir brauchen euch
Doch warum ist das so? Gerade im Osten, wo Frauen schon immer Familie und Beruf miteinander vereinbaren musste, sollte es auch da nicht mehr Frauen in der Politik geben – auch aus der CDU? Carmen Niebergall führt die Entwicklung einerseits auf einen Mentalitätswandel seit der Wende zurück. Sie kritisiert, dass ihre Partei gerade in Sachsen-Anhalt Frauen nicht ausreichend willkommen heiße. Dabei gebe es genug kompetente Frauen. "Wir wollen euch, wir brauchen euch, wir wollen diese Themen besetzen. Haben Sie das schon mal gehört? Also ich nicht so richtig."
Ein anderer Grund ist für sie, dass ihre Partei bisher nur eine Soll-Bestimmung für die Aufstellung von Frauen in der Satzung stehen hat, keine Verpflichtung.
Bei der Aufstellung von Listen für Kommunal- und Landtagswahlen, für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament soll das vorschlagsberechtigte Gremium unter drei aufeinanderfolgenden Listenplätzen jeweils mindestens eine Frau vorschlagen. Wahlkreiskandidatinnen sollen dabei vorrangig berücksichtigt werden.
Eingehalten hat die Partei diese Soll-Bestimmung bei der Aufstellung der Landesliste für die Landtagswahl nicht. Auf den ersten 20 Listenplätzen finden sich gerade einmal drei Frauen. Die Debatte innerhalb der CDU ist auch deshalb aktueller denn je. Die vergangenen Wochen haben das gezeigt. Erst vor wenigen Tagen verkündete die stellvertretende Landesvorsitzende der Frauen Union, Kerstin Rinke, ihren Austritt aus der CDU – in erster Linie wegen der politischen Entwicklung der Partei, wie zuerst die Volksstimme berichtete. Rinke beklagt ein Abdriften der CDU nach Rechts. In ihrem Parteiaustrittsschreiben, das MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt, hatte sie aber auch den "sehr despektierlichen Umgang mit der Frauenquote" angemahnt – und von "Männerzirkeln" berichtet, die Personalien im stillen Kämmerlein absprächen und verteilten.
Ich musste erleben, dass sämtliche Bemühungen, engagierte und kompetente Frauen stärker in verantwortliche Positionen zu bekommen, die nicht nur im Ehrenamt ausgeführt werden, gescheitert sind. Die Liste zur Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt war die frauenfeindlichste Liste, die die CDU Sachsen-Anhalt jemals aufgestellt hat. Alle Gespräche im Vorfeld waren verlorene Zeit.
Dieser Konflikt brodelt in der Partei schon länger. Das neue Jahr war erst wenige Wochen alt, als Ex-Landeschef und -Innenminister Holger Stahlknecht seinen aussichtsreichen zweiten Platz auf der Landesliste zugunsten einer "Frau mit Zukunft" zur Verfügung gestellt und manchen in der Partei damit ganz offenbar überrumpelt hatte. Die Börde-CDU nominierte daraufhin Kreisschatzmeisterin Eileen Koch für das Amt. Der Landesvorstand der CDU entschied sich gegen die 32-Jährige, schlug für den zweiten Listenplatz stattdessen Sandra Hietel aus Gardelegen vor. Hietel ist seit vielen Jahren Pressesprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Anders als Koch hat sie sich in den vergangenen bis zur Direktkandidatin in ihrem Wahlkreis hochgearbeitet. Eine wichtige Voraussetzung, um in der CDU aussichtsreiche Chancen für die Landesliste zu haben. Zuletzt betonte Sandra Hietel im Deutschlandfunk, die Frauen Union spreche ihrer Ansicht nach nicht für alle Frauen in der Partei.
Deutlich wurde das auch beim Listenparteitag der Christdemokraten vor wenigen Wochen in Dessau-Roßlau. Den hatte die Partei wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben – und mit ihm die Kür der Listenkandidatinnen und Listenkandidaten für Landtag und Bundestag. Damit waren der innerparteilichen Diskussion über die Besetzung der Liste über Wochen Tür und Tor geöffnet. Über eine mögliche Revolte der Frauen war im Vorfeld der Versammlung gemutmaßt worden – darüber, dass die langjährige CDU-Landtagsabgeordnete und heutige Bildungsstaatssekretärin Eva Feußner womöglich eine Kampfkandidatur um Listenplatz 3 anstrebe. Beides blieb aus. Feußner wurde zwar auf den für sie angedachten Listenplatz 24 gewählt – fuhr aber eines der schlechtesten Ergebnisse überhaupt auf dem Parteitag ein.
Auf Platz 3 kam wie angedacht Fraktionsvize Lars-Jörn Zimmer – jener Abgeordnete, der gemeinsam mit seinem Kollegen Ulrich Thomas (Listenplatz 4) vor knapp zwei Jahren in einer "Denkschrift" forderte, "das Soziale wieder mit dem Nationalen versöhnen". Zur Wahrheit gehört: Auch Zimmer und Thomas fuhren in Dessau vergleichsweise schwache Ergebnisse ein.
Chefin der Frauen Union auf Listenparteitag durchgefallen
Und doch bleibt eine mögliche Interpretation für Außenstehende: Offen mit Rechts flirten – kein Problem in der CDU. Offensiv für mehr Frauen werben – nicht so gern gesehen. Ist es das, was Sabine Wölfer, die Vorsitzende der Frauen Union in Sachsen-Anhalt, erlebt hat? Beim Listenparteitag kandidierte Wölfer für den zehnten Platz auf der Landesliste für die Bundestagswahl – und fiel durch. Stattdessen wählten die Delegierten die Landesvorsitzende der Jungen Union, Anna Kreye, seit wenigen Wochen auch Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Auch Anna Kreye sei Mitglied der Frauen Union, entgegnete der designierte CDU-Landeschef Sven Schulze Kritikern bei Twitter.
Doch es lohnt ein Blick auf die Personalie Wölfer: Schließlich war es Sabine Wölfer, die in ihrer Rolle als Chefin der Frauen Union wenige Tage vor dem Listenparteitag öffentlichkeitswirksam eine alternative Landesliste präsentiert hatte – mit deutlich mehr Frauen auf vorderen Plätzen. In einer Pressemitteilung hatte Wölfer seinerzeit beklagt, in keinem anderen CDU-Landesverband sei der Kampf um die Besetzung von Frauen so kräftezehrend wie in Sachsen-Anhalt. Ein Zufall, dass ausgerechnet sie durchfiel? Schwer vorstellbar.
Quote für die CDU?
Auch Carmen Niebergall hat die Diskussion verfolgt und laut ihre Meinung gesagt. Sie bezeichnet die Landesliste als "frauenfeindlichste", die es ja in Sachsen-Anhalt gegeben hat. Sie freut sich aber auch über neun Direktkandidatinnen, die aufgestellt wurden. Denn, das muss auch gesagt werden: So viele hat die CDU Sachsen-Anhalt noch nie ins Rennen geschickt. Traditionell sichert sich die CDU als stärkste Partei im Land ihre Plätze im Landtag über Direktmandate. Doch mit der Landtagswahl 2016 und dem Einzug der AfD hat sich hier einiges verändert. Sicher kann die CDU nicht mehr davon ausgehen, die meisten Direktmandate zu holen.
"Natürlich ist es auch eine Machtgeschichte. Die Männer wollen natürlich auch ihre Macht behalten", sagt Carmen Niebergall. Die Erzählung, dass über die Direktmandate alle Frauen reinkommen und sie deshalb auf der Landesliste nicht so zahlreich vertreten sein müssen, glaubt sie nicht. "Offensichtlich gibt es bei den Männern mehr Bedenken und Ängste, dass Direktmandat nicht zu gewinnnen und dann abgesichert zu sein über die Liste."
Weil Sollbestimmungen nicht funktionieren, fordert sie langfristig eine verbindliche Frauenquote. Damit ist sie in ihrer Partei nicht mehr allein. Bereits zum letzten Bundesparteitag im Januar sollte über eine entsprechende Änderung der Satzung abgestimmt wurden. Corona-bedingt wurde dieser Punkt verschoben. Parteien wie Grüne, die SPD oder Linke setzen bereits seit Jahren auf eine solche Regelung, in unterschiedlicher Ausprägung.
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Im fünften Teil der Reihe über Frauen im Landtag wird MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag berichten, woran der geringe Frauenanteil nach Ansicht der Landtagsabgeordneten liegt – und was sie vorschlagen, um das zu ändern.
Über Marie-Kristin Landes Marie-Kristin Landes ist in Dessau-Roßlau geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur zog es sie für ein Politikstudium erst nach Dresden, dann für den Master Journalistik nach Leipzig. Praktische Erfahrungen sammelte sie bei der Sächsischen Zeitung, dem ZDF-Auslandsstudio Wien und als freie Mitarbeiterin für das Onlineradio detektor.fm. Nach ihrem Volontariat beim Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet sie jetzt vor allem für MDR Kultur und das Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt. Wenn sie nicht gerade für den MDR unterwegs ist, ist sie am liebsten einfach draußen. Zwischen Meer oder Berge kann sie sich dabei genauso wenig wie zwischen Hund oder Katze entscheiden.
Über Luca Deutschländer Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.
MDR/Marie-Kristin Landes, Luca Deutschländer
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 07. März 2021 | 19:00 Uhr
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