Abschied aus dem Landtag Jürgen Barth – Zwischen Aufbruchsstimmung und dem Schatten der Sparpolitik
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22. Mai 2021, 15:09 Uhr
Wenn gewählt wird, dann sorgt das im Parlament für Veränderungen, nicht selten verbunden mit einem Generationswechsel. Nach der Landtagswahl am 6. Juni wird auch Jürgen Barth Tschüss sagen. Für die SPD saß er 20 Jahre im Parlament. Im ersten Teil einer Reihe über den Abschied vom Landtag erzählt MDR SACHSEN-ANHALT die Geschichte eines Mannes, der sich um das Ansehen des Parlaments sorgt.
Kartons stapeln sich vor dem Büro von Jürgen Barth. Es ist überwiegend Papier, das sich in rund 21 Jahren seiner Parlamentsmitgliedschaft angesammelt hat. Altes Wahlkampfmaterial, Broschüren, Prospekte, Faltblätter und jede Menge Drucksachen in Aktenordnern oder Ablagen, das meiste davon kaum vergilbt, weil offenbar noch ziemlich aktuell. Politik besteht in Deutschland zu großen Teilen auf dem Austausch von Papier.
Sensationssieg 1998
Jürgen Barth war vor allem im Ausschuss für Landwirtschaft aktiv, was nicht verwundert, denn der der studierte Agrarökonom hat seinen Wahlkreis in der Region Gardelegen-Klötze. Erstmalig wurde er im Jahr 1998 in den Landtag gewählt. Damals holten Sachsen-Anhalts Sozialdemokraten einen Sensationssieg, erinnert sich Barth: "Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, aber wir gewannen alle Direktmandate bis auf eines und unsere Fraktion hatte damals 47 Mitglieder. Zu jener Zeit war ja Gerhard Schröder der große Hoffnungsträger für die SPD und das hat auch uns geholfen."
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Politische Achterbahn in Sachsen-Anhalt
Allerdings verflog die Hoffnung auf ein großes Jahrzehnt der Sozialdemokraten ziemlich rasch, denn schon mit der nächsten Landtagswahl halbierten sich die Sitze der SPD und Jürgen Barth musste sein Landtagsbüro erstmal wieder räumen. Der Minderheitsregierung von Reinhard Höppner, die von der PDS, also der heutigen Linkspartei, toleriert wurde war, kein großes Glück beschieden. Statt in Halle baute VW sein neues Werk in Leipzig und alsbald galt Sachsen-Anhalt als Land der Roten Laterne in Deutschland.
Eine Stammwählerschaft wie man sie in den alten Bundesländern kennt, so einen sozialdemokratischen Sockel, den gibt es hier nicht.
Keine leichte Zeit, erinnert sich Jürgen Barth: "Damals hatten wir noch immer Arbeitslosenraten, die deutlich zweistellig waren. Man bekam deshalb natürlich auch viel Gegenwind. Aber bei der BMW-Ansiedlung muss man eben auch sagen, dass Höppner das falsche Parteibuch hatte." Welche Rolle das Parteibuch des Ministerpräsidenten tatsächlich spielte, ist umstritten. Letztendlich blieb aber die Ansiedlungsfläche, die man extra für BMW aufgehübscht hatte, leer und Jürgen Barth kehrte zunächst in die Wirtschaft zurück. Vier Jahre kümmerte er sich in der Altmark um die Entwicklung von regionalem Kreisläufen.
Lange Schatten der Sparpolitk
2006, nach den nächsten Landtagswahlen, kehrte er als Parlamentarier zurück in die Berufspolitik und hatte eine wichtige Lektion gelernt. An der Wahlurne reagiert der Sachsen-Anhalter außerordentlich spontan. Parteien können hier steil aufsteigen und tief fallen: "Eine Stammwählerschaft wie man sie in den alten Bundesländern kennt, so einen sozialdemokratischen Sockel, den gibt es hier nicht. Auch wenn sich das in den alten Ländern nun ebenfalls ändert, so dramatisch wie hier ist es dort nicht."
Für Jürgen Barth gibt es zwei Namen, die mit dieser schwierigen Situation eng verbunden sind: Gerhard Schröder und Jens Bullerjahn. Schröders Hartz-IV-Reformen haben den Osten ungleich härter getroffen als den Westen und die Sparpolitik des SPD-Finanzministers Bullerjahn hat die Situation für die Sozialdemokraten nicht einfacher gemacht. "Das war ja damals ein rigider Sparkurs, nicht immer im Interesse auch unserer Fraktion."
Aber: Bullerjahn habe sich durchgesetzt, erzählt Barth. "Übrigens unterstützt auch von der CDU. Aber vor allem die Einsparungen beim Personal, also bei den Lehrern und bei den Polizisten, das fällt uns ja jetzt auf die Füße. Dieses Image sind wir bis heute nicht losgeworden. Wenn wir heute mehr Lehrer fordern, dann sagen die Leute, ihr habt damals doch den Sparkurs mitgetragen."
Der Ton ist rauer
Das Ansehen des Parlaments in den vergangenen Jahren habe gelitten, sagt Barth. Das liege auch an den raueren Umgangsformen, verursacht durch den Einzug der AfD in den Landtag. Das habe die Debattenkultur nachhaltig verändert, so Jürgen Barth: "Die parlamentarische Arbeit ist eine andere geworden. Meistens kommt es von der AfD, dass unter der Gürtellinie agiert wird. Es wird gestört und gebrüllt, wenn andere reden, so was kannte ich bislang nicht. Natürlich belebt ein Zwischenruf auch mal die Debatte, aber es kommt eben auf die Art und Weise an. Und wenn dann kollektiv mit den Füßen gestampft wird, dann wirkt das durchaus abstoßend."
Allerdings sind es ja gerade Videos von solchen Parlamentsauftritten, die sich im Netz besonders gut verbreiten. Deshalb würden solche Auftritte ganz bewusst inszeniert, glaubt Jürgen Barth. Den Landtag verlässt der Sozialdemokrat, ohne sich jedoch politisch selbst zu verrenten, denn in der Kommunalpolitik bleibt er weiter aktiv.
Über den Autor Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie. Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und kommentiert die politische Entwicklung in Sachsen-Anhalt.
MDR/Uli Wittstock, Oliver Leiste
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. Mai 2021 | 12:00 Uhr
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