Eine kleine Straße mit Bäumen und kleinen Häusern
In Blankenheim in Mansfeld-Südharz sind die Menschen unterschiedlich zufrieden mit dem Ergebnis der Kommunalwahl. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT/Alisa Sonntag

Nach Kommunalwahl in Mansfeld-Südharz "Ich bin gespannt, welche Welle da auf uns zurollt"

11. Juni 2024, 17:11 Uhr

Im Landkreis Mansfeld-Südharz ist die AfD stärkste Kraft geworden, die CDU mit Abstand Zweiter. Was die Menschen vor Ort davon halten und wie die CDU mit der AfD zusammenarbeiten will.

Eine Frau schaut in die Kamera
Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT

Mansfeld-Südharz, das ist: Bergbau-Halden, die über Feldern in den Himmel ragen. Es ist ländlicher Raum, in dem die Busse streckenweise nur alle zwei Stunden fahren. Und seit Sonntag sind es auch: 31,4 Prozent Stimmen für die AfD bei der Kreistagswahl. Damit ist die AfD in Mansfeld-Südharz stärkste Kraft, wenn sie auch in anderen Kreisen Sachsen-Anhalts noch erfolgreicher war. Die CDU bleibt mit deutlichem Abstand und 21,4 Prozent der Wählerstimmen zweitstärkste Kraft im Landkreis. Wahl-Verlierer sind vor allem die Parteien, die derzeit die Bundesregierung stellen: SPD, Grüne und FDP.

Was die Bundesregierung damit zu tun haben könnte

"Da muss sich in Berlin wirklich jemand fragen, was da passiert ist", sagt André Schröder, CDU-Politiker und aktueller Landrat des Landkreises Mansfeld-Südharz. Schröder betont, dass die CDU in Mansfeld-Südharz seit der letzten Landtagswahl insgesamt zugelegt habe. Die Verantwortung für die Erstarkung der AfD sieht er bei den Parteien der aktuellen Bundesregierung. Ähnlich sieht das ein Mann aus Blankenheim:

"Die Menschen sind unzufrieden, weil die in der Regierung immer nur reden, reden, reden", meint er, während er die Auffahrt zu seinem Haus aufräumt. Die Entscheidungen der Bundespolitik seien weit weg von den Problemen und Themen der Menschen im Land.

Die Menschen sind unzufrieden, weil die in der Regierung immer nur reden, reden, reden.

Anwohner in Blankenheim in Mansfeld-Südharz

Der Mann ist einer von 1.144 Menschen, die in dem kleinen Örtchen zwischen Lutherstadt Eisleben und Sangerhausen leben. Über den hohen Stimmenanteil der AfD in der Region ist er bestürzt. Das mache ihm Sorgen, sagt er. Seinen Namen und sein Gesicht will er allerdings lieber nicht veröffentlicht wissen. Wie er zu den Wahlergebnissen stehe, müsse ja nicht jeder im Ort wissen. Blankenheim sei schließlich klein. Und die Wahrscheinlichkeit, dass einige seiner Nachbarn AfD gewählt haben, hoch.

Wählerwanderung lässt sich nicht genau nachverfolgen

Auf Kreisebene haben bei der Kommunalwahl in Mansfeld-Südharz sowohl AfD als auch CDU dazugewinnen können: Die CDU etwa zwei Prozentpunkte der Stimmen, die AfD etwa 12 Prozentpunkte.

Andere Parteien in Mansfeld-Südharz können das nicht von sich behaupten. So hat beispielsweise Die Linke seit der Kommunalwahl 2019 etwa acht Prozentpunkte der Stimmen auf kommunaler Ebene verloren. SPD, Grüne und FDP haben jeweils etwa zwei Prozentpunkte weniger Wählerstimmen erhalten als bei der vergangenen Kommunalwahl vor fünf Jahren.

Tatsächlich liegen auch die fünf Orte, in denen die Grünen bei der Kommunalwahl ihre landesweit schlechtesten Ergebnisse eingefahren haben, alle in Mansfeld-Südharz. Eine Frau in Blankenheim erklärt sich das so: "Die Politik, die die machen wollen, ist auf dem Land eine Katastrophe. In der Stadt mag das funktionieren mit E-Mobilität und ÖPNV. Hier ist man mit dem Zug ein bisschen erschossen." In der Region ist man ihrer Wahrnehmung nach schlecht auf die Grünen zu sprechen.

Welche Wählenrinnen und Wähler 2024 ihr Kreuz an einer anderen Stelle gesetzt haben als 2019, ist leider unklar. Denn anders als zum Beispiel bei Bundestagswahlen gibt es bei Kommunalwahlen keine Nachbefragung, bei der zusätzliche Daten erfasst werden. Eine Möglichkeit ist, dass sich einige Menschen, die in der Vergangenheit links gewählt haben, in diesem Jahr für die AfD entschieden haben. Davon gehen manche Expertinnen und Experten aus. Ihre Begründung: Die AfD habe der Linken den Status als Protestpartei abgelaufen.

Die AfD als Protestpartei?

Das vermutet auch eine junge Mutter aus einem Nachbarort von Blankenheim, die wie alle anderen Befragten anonym bleiben möchte. Über den hohen Stimmenanteil der AfD sei sie nicht überrascht, aber "sehr entsetzt" gewesen, erzählt sie. Ihr höfliches Lächeln bleibt in den Mundwinkeln stecken, als sie hinzufügt: "Eigentlich hatte ich mir von meinem Land etwas anderes erhofft." Von der Politik, sagt sie, wünsche sie sich vor allem "etwas für die Familien". Als junge Mutter spüre sie besonders stark, wie wenige Möglichkeiten es für Kinder vor allem im ländlichen Raum gebe.

Das bekräftigt eine andere Mutter, die in Blankenheim arbeitet und gerade auf dem Sprung ist: "Der Opa braucht seine Augentropfen" erklärt sie mit einem entschuldigenden Lächeln. Ihrem Eindruck nach würden Familien in der Region teilweise Steine in den Weg gelegt. So sei in ihrem Fall beispielsweise ein großer bürokratischer Aufwand nötig gewesen, um das ÖPNV-Ticket ihres Kindes für den Schulweg finanziert zu bekommen. Gerade für Familien, in denen die Elternteile arbeiteten, die aber dennoch nur wenig Einkommen hätten, wünsche sie sich mehr Unterstützung.

Was sie von dem Wahlergebnis halte,  wisse sie noch nicht so recht, sagt sie, eine Hand auf der offenen Fahrertür: "Ob diese Protest-Wahlen uns etwas bringen – keine Ahnung. Letztlich wurden wahrscheinlich in den Jahren davor schon so viele Fehler gemacht, dass sich das so schnell eh nicht aufholen lässt." Die Zeit würde zeigen, ob die AfD die richtige Partei sei, um das Land zu führen: "Ich bin gespannt, welche Welle da auf uns zurollt. Jetzt müssen wir da durch."

Die Mär von der Protestpartei ist langsam nicht mehr zutreffend.

René Meiss AfD Mansfelder Land

Von dem Begriff der Protest-Wahl möchte René Meiss von der AfD Mansfelder Land sich abgrenzen. "Die Mär von der Protestpartei ist langsam nicht mehr zutreffend." Die Menschen in seiner Region hätten ihn gewählt, weil sie ihn kennen und "anscheinend nicht ganz unzufrieden mit meiner Arbeit der letzten fünf Jahre war." Die Partei habe Zulauf aus der gesamten Bandbreite der Bevölkerung. In der vergangenen Zeit habe man besonders viele junge Mitglieder begrüßt.

Junge Menschen und die AfD

Ähnlich klingt es auch bei der Mutter in Blankenheim: Ihrer Wahrnehmung nach sind es vor allem junge Menschen gewesen, die die AfD gewählt haben. "Wenn man sich da mal mit ein paar Menschen unterhält, habe ich das von einigen so gehört", erzählt sie. "Und manchmal habe ich auch das Gefühl, dass sie sich eigentlich mit dem Parteiprogramm an sich gar nicht so richtig beschäftigt haben." Welche Altersgruppen tatsächlich AfD gewählt haben, lässt sich nicht überprüfen, denn ohne die Nachbefragung, die bei der Kommunalwahl ausbleibt, fehlen die nötigen Daten.

Ich will, dass sich etwas ändert. Und ich habe die Hoffnung, dass das mit dem Wahlergebnis auch etwas werden könnte.

20-Jähriger aus Blankenheim in Mansfeld-Südharz

Allerdings passt zu der Vermutung, was ein 20-Jähriger in Blankenheim erzählt: Er sei sehr zufrieden mit dem Wahlergebnis, erzählt er, während er seine Sachen aus dem gerade abgestellten Auto sammelt: "Ich will, dass sich etwas ändert. Und ich habe die Hoffnung, dass das mit dem Wahlergebnis auch etwas werden könnte." Auf die Frage, welche Veränderung er sich erhoffe, sagt er, es solle den Menschen besser gehen: "Es ist alles so teuer geworden, in den Supermärkten, in den Tankstellen. Das funktioniert so nicht mehr." Auch der politische Umgang mit Geflüchteten spiele für ihn eine Rolle: "Ich habe ja nichts gegen die. Aber wer faul ist und nicht arbeitet, kann das ja auch woanders tun."

Eine 19-Jährige aus Blankenheim, die sich wie die anderen Befragten wünscht, anonym zu bleiben, teilt dieses Argument. Gut, sagt sie mit leichtem Akzent, fühle es sich trotzdem nicht an, dass die AfD so viele Wählerstimmen eingefahren habe: "Ich bin ja eigentlich aus Griechenland. Und die wollen doch Ausländer wegschicken, oder?" Gewählt habe sie nicht. Sie habe nicht das Gefühl, sich in der politischen Landschaft genug auszukennen. Schnell eilt sie zum leeren Blankenheimer Bahnhof.

Die Rolle des demographischen Wandels

Dr. Katja Salomo ist Soziologin und beschäftigt sich viel mit den Themen Stadt und Land, demographischer Wandel und politischer Extremismus. Sie erklärt: "Es sind nicht unbedingt die älteren Menschen, die rechtsextrem wählen. Sondern es sind die jungen Menschen – in den Gebieten mit einer großen Überalterung." Das trifft laut Prognosen auch auf Mansfeld-Südharz zu. Zusätzlich wählten im Schnitt Männer häufiger konservativ als Frauen. Wenn man sich frage, wer die Wählerinnen und Wähler rechtsextremer und populistischer Parteien seien, dann sei allerdings aus statistischer Sicht der wichtigste Faktor der Wohnort. "Am entscheidendsten ist nicht das Alter, nicht die Einkommens-Situation, nicht mal der Bildungsstand, sondern der Wohnort."

Probleme in Ostdeutschland: Wegzug, Frauen-Mangel, Überalterung

Die größte politische Kluft in Deutschland wie auch in ganz Europa und Nordamerika bestehe zwischen ländlichen und städtischen Regionen. Salomo erklärt, dass gerade in Ostdeutschland ländliche Regionen oft von einem Strudel problematischer demographischer Entwicklungen wie Urbanisierung, Wegzug nach Westdeutschland, Frauen-Mangel und Überalterung betroffen seien. Das hat laut der Wissenschaftlerin mitunter dramatische Folgen: "Wenn Menschen gehen, sinkt die Kaufkraft vor Ort. Das hat Folgen für die Grundversorgung: Läden, Kneipen, Kinos schließen, der Bus kommt seltener."

Diese Entwicklungen machten die betroffenen Orte zusätzlich unattraktiv und verhinderten Zuzug. Oft mangele es an Frauen und damit auch an Kindern. "Irgendwann", sagt sie, "schließen die Schulen, die ärztliche Versorgung wird schlechter. Bei den Menschen, die noch da sind, entsteht das Gefühl: wir sind zurückgelassen, wir werden nicht mehr versorgt."

Eine Frau steht hinter einer Scheibe, in der sich die Umwelt spiegelt, und schaut in die Kamera 3 min
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Bei den Menschen entsteht das Gefühl: wir sind zurückgelassen, wir werden nicht mehr versorgt.

Dr. Katja Salomo Soziologin

Die Abstiegsängste führten auch dazu, dass es Menschen schwerer falle, neue Menschen in ihre Gruppe hineinzulassen: "Sie haben das Gefühl, der Kuchen ist schon klein, wie sollen wir ihn noch teilen." Das betreffe wirtschaftliche, aber auch soziale Aspekte.

Wie es um die "Brandmauer" steht

Das Problem wird laut Salomo noch verschärft durch die finanziellen Probleme der Kommunen. Der Landkreis Mansfeld-Südharz ist finanziell besonders knapp ausgestattet. Das macht es auch schwer, den Rat der Wissenschaftlerin umzusetzen: Sie empfiehlt, in betroffene Regionen besonders zu investieren. Gegen den Trend. Wenn die Probleme vor Ort angegangen würden, raube das der AfD den fruchtbaren Boden für ihre Ideen.

CDU-Landrat Schröder sagt einerseits, es seien durchaus Investitionen getätigt worden. Andererseits sieht er zu investieren gegen den Trend skeptisch: "Wir leben nicht im Schlaraffenland. Die Schuldenbremse ist nichts anderes als Generationengerechtigkeit. Dass wir jetzt nicht auf Pump Ausgaben tätigen, so dass kommende Generationen ihre Probleme nicht mehr lösen können, weil wir das Geld schon ausgegeben haben."

In Blankenheim hat die CDU deutlich schlechter abgeschnitten als im Rest des Landkreises: Nur 8,7 Prozent der Menschen in Blankenheim haben für die CDU gestimmt. Die befragte junge Mutter in Blankenheim sagt dazu: "Ich kann mir das nur mit der Vergangenheit erklären. Ich denke, die Menschen waren hier in den vergangenen Jahren mit der CDU unzufrieden und haben sich das gemerkt." 

Ein Mann steht vor einem Haus und schaut in die Kamera
André Schröder betont, dass die CDU in Mansfeld-Südharz bei der Kommunalwahl zugelegt hat. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT/Alisa Sonntag

Wir sind im Osten doch die einzige Partei, die der AfD noch Paroli bieten könne.

André Schröder CDU-Landrat in Mansfeld-Südharz

Landrat Schröder sieht die CDU nicht in der Verantwortung für die Erstarkung der AfD: "Ganz im Gegenteil: Die CDU ist die Partei, die hier im ländlichen Raum in den neuen Bundesländern gegenhält und Politik der Mitte noch vertritt, während die Parteien, die in Berlin die Regierung stellen, das nicht mehr schaffen." Im CDU-Landesverband, so Schröder, sei man sich einig darin, nicht systematisch mit der AfD zusammenzuarbeiten. So wolle man beispielsweise keine gemeinsamen Anträge einreichen.

Was er allerdings auch auf die wiederholte Frage nach der berühmten Brandmauer sagt, die Stirn in sichtbare Falten gelegt: "Man muss immer mit allen reden." Am Tag nach der Wahl braucht es in Mansfeld-Südharz nicht viel, um die Gemüter zu erhitzen. Auch für die großen Emotionen nach der Wahl hat Katja Salomo einen Rat. "Nicht verzweifeln", sagt sie.

MDR (Alisa Sonntag)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. Juni 2024 | 19:00 Uhr

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