Klimaschutz Wie es "Fridays for Future" nach zwei Jahren Corona-Pandemie geht

23. April 2022, 17:01 Uhr

In Pandemie-Zeiten wurde es still um die Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future. Die Corona-Krise überschattete auch die Klimakrise. Doch die Ortsgruppen setzen sich weiterhin für Klima und Frieden ein – trotz schrumpfender Teilnehmerzahlen. Wie es der jungen Bewegung heute geht und welche Rolle es spielt, ob man sich in der Stadt oder auf dem Land engagiert.

Maximilian Fürstenberg
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Freizeichen, dann ist ein Knacken zu hören. Am anderen Ende des Telefons grüßt eine charmante Stimme: "Hallo, Jonas Venediger hier." Der junge Mann ist 19 Jahre alt und setzt sich seit fast drei Jahren für Klimagerechtigkeit in und um Bitterfeld ein.

"Stört das Vogelzwitschern im Hintergrund? Ich bin gerade im Park unterwegs", fragt er. Kurz sagt niemand etwas. Die unterschiedlichen und schrillen Vogellaute fallen erst auf, nachdem Jonas Venediger auf sie hingewiesen hat.

Und damit hat er das Telefonat direkt auf das Gesprächsthema gelenkt: Denn seit Jahren versuchen die Ortsgruppen von Fridays for Future, Menschen auf den Zustand von Natur und Klima aufmerksam zu machen.

Ortsgruppe Bitterfeld fast nicht mehr existent

Jonas Venediger erinnert sich an die Hochzeiten der Bewegung zwischen 2019 und 2020. Zu dieser Zeit sind bundesweit 1,3 Millionen junge Menschen auf die Straße gegangen, um für Klimaschutz zu demonstrieren, so Venediger. Dann kam die Corona-Pandemie und Demonstrationen waren eine Zeit lang nicht möglich – es wurde still, auch um Fridays for Future und ihre Ortsgruppen.

Grob gesehen existiert die Ortsgruppe Bitterfeld eigentlich nicht mehr.

Jonas Venediger Fridays for Future, Ortsgruppe Bitterfeld

Das sagt der junge Aktivist mit hartem Tonfall. Er vermutet, dass Corona ganz andere Probleme bei den Menschen aufgemacht habe als Klimaschutz. Das Klima sei ein Thema, das man eigentlich über alles stellen müsse, sagt Jonas Venediger. Aber man könne nicht von den Leuten erwarten, sich einer Klimabewegung anzuschließen, wenn man krank ist, den Job verliert oder plötzlich an der Armutsgrenze nagt.

Laut Venediger ist die Corona-Pandemie aber nicht der einzige Grund für das Schrumpfen mancher Ortsgruppen: Die jungen Leute, die vor zwei Jahren noch demonstriert haben, ziehen jetzt weg. "Die Jugendlichen, die hier wohnen, wollen ihre Schule so gut und so schnell wie möglich abschließen, um dann ein Studium oder eine Ausbildung woanders zu beginnen." Für die kleinen Ortsgruppen in den ländlicheren Regionen ist das natürlich tödlich.

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Halles Ortsgruppe wächst

Dass es immer auch eine Frage ist, wo man sich engagiert – ganz unabhängig vom Klimaschutz – zeigt ein Anruf bei Klimaaktivist Ole Horn. Genauer: Der Anruf zeigt ein Stadt-Land-Gefälle. Denn die Ortsgruppe Halle, sagt der 21-Jährige, sei in den letzten Jahren sogar gewachsen. Das habe aber nicht unbedingt mit der Pandemie zu tun. Viel mehr nimmt er an, dass immer mehr Menschen erkennen würden, wie wenig in Richtung Klimaschutz passiere, wenn sich Leute nicht engagierten.

Geändert hat die Pandemie aber dennoch etwas:

Das Verhältnis zu Demonstrationen ist mittlerweile ein Anderes.

Ole Horn Ortsgruppe Halle

Wegen des Virus konnten Menschen mit gesundheitlichen Risiken nicht an Aktionen teilnehmen. Engagiert haben sie sich auf andere Weise trotzdem, erinnert sich der Aktivist Ole Horn: "Menschen unterstützen uns online oder mit einer Spende oder reden mit ihren Verwandten und Bekannten über die Klimakrise." Für Horn kommt es auch die kleinen Dinge abseits der großen Demonstrationen an, die ebenfalls der Bewegung helfen.

Vergessen im Corona-Loch

Zu Hochphasen war Fridays for Future in aller Munde und in allen Medien fast täglich präsent. Es gab Diskussionen um Atomkraftewerke und Braunkohle, um Streiks und um Schulschwänzer. Doch die Corona-Pandemie riss das Scheinwerferlicht komplett auf sich.

"Corona war plötzlich allgegenwärtig. Man hat schon mitbekommen, dass der Diskurs in den Medien ein ganz anderer war", erinnert sich Horn. Das Klima hatte einen ganz anderen Stellenwert.

Das sieht auch Jonas Venediger so: "Corona wurde quasi als höchste Krise angesehen." Laut Venediger gab es so noch einen Grund mehr, das Thema Klima "links liegen zu lassen" und überspitzt zu sagen:

Wir sind jetzt gerade in einer Pandemie. Jetzt könnte man mit eurem Klima-Scheiß quasi aufhören.

Laut Horn wurde das Thema Klimaschutz aber nicht völlig vergessen: "Bei den Landtagswahlen 2021 war es ein wesentliches Thema, wo sich alle Parteien dazu geäußert haben. An der Stelle merkt man schon, dass das Thema in vielen Bereichen der Gesellschaft angekommen ist." Das reicht Ole Horn allerdings nicht aus. Es sei wichtig, dass die Ortsgruppen größer werden und wieder mehr Leute auf die Straße gehen.

Krieg in der Ukraine als Chance für Fridays for Future?

Laut Venediger blieb den Ortsgruppen während der vergangenen zwei Jahre viel Zeit zur Selbstreflexion. Doch wenn Aktionen möglich waren, wurde etwas gemacht. So hat die Gruppe im März 2022 zum zehnten globalen Klimastreik aufgerufen. Knapp 1.500 Menschen gingen in Halle auf die Straßen, erinnert sich Horn – nicht mehr so viele wie in den Hochzeiten, aber für ihn ein Anfang.

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Protestiert hat Fridays for Future nicht nur für Klimagerechtigkeit – auch der Krieg in der Ukraine wurde thematisiert. Ist das möglicherweise ein Chance für die Bewegung Fridays for Future, um wieder mehr auf sich aufmerksam zu machen?

Wir können aus jeder Krise, die in dieser Welt stattfindet, lernen. Jede Krise ist wichtig, und jede Krise hat auch immer irgendwo etwas mit dem Klima zu tun.

Jonas Venediger Ortsgruppe Bitterfeld

Jonas Venediger lacht laut ins Telefon, denn diese Frage ist ihm nicht das erste Mal gestellt worden: Es habe nach außen den Anschein, dass Fridays for Future erst nur eine Klimabewegung, dann eine Gesundheitsbewegung und jetzt eine Friedensbewegung sei. Doch das sei nicht so, sagt er. Für den jungen Aktivisten hängt alles mit dem großen Thema Klima zusammen – auch der Krieg in der Ukriane.

Frieden ist nur ein Aspekt

Der Aktivist Ole Horn sieht das genauso: "Jetzt sehen wir, welchen immensen Einfluss die fossilen Energieträger in diesem Krieg haben. Und dagegen gehen wir auch auf die Straße." Horn und Venediger sind besorgt, denn sie sehen die Abhängigkeit, die von fossilen Energieträgern ausgeht. Diese führe nicht nur zur Ankurbelung der Klimakrise, sondern auch zu Kriegen, sagen sie.

Laut Venediger ist die Bewegung schon immer für Frieden eingestanden. Sie haben sich also nicht neu ausgerichtet. Es sei nur ein Aspekt des Aktivismus, der aktuell besonders herausgestellt werde, erklärt er.

Fridays for Future bleibt sich treu

Auch mit neuen Krisen wie der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine bleibe die Bewegung weiterhin seinen Zielen treu – das Einhalten des Pariser Klimaabkommens und des 1,5-Grad-Ziels.

Für die beiden Aktivisten ist klar, dass sie "weiterkämpfen" wollen. Die Bewegung müsse hartnäckig dran bleiben, damit sich etwas ändere, sagen sie. Auch wenn die Hochphase von Fridays for Future vorbei sei, wie Venediger sagt, sei die Bewegung nicht weniger wichtig: "Es gibt immer noch Themen, die in die Parlamente und in die Köpfe der Menschen gebracht werden müssen", schließt er das Telefonat.

Das Zwitschern der Vögel ist noch immer zu hören. Jonas Venediger verabschiedet sich freundlich. Das Einklappen seines Fahrradständers ist durchs Telefon noch zu hören. Dann legt er auf.

MDR (Maximilian Fürstenberg)

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