Demos in Magdeburg Corona-Proteste: "Eine Pauschalisierung der Kritiker ist gefährlich"
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18. Mai 2020, 17:34 Uhr
Die Kritik an den Corona-Maßnahmen lässt erstaunliche Allianzen entstehen: Impfgegner, Extremisten und Verschwörungserzähler schreien auf Demos am lautesten. Warum das ernsthafte Kritik und den Diskurs erschwert. Teil eins unserer Themen-Woche.
Noch brummt die Kehrmaschine über den Alten Markt in Magdeburg. Auf dem Kopfsteinpflaster fegt sie den Dreck zusammen und bereitet die Bühne für den nächsten Corona-Protest. Lars Meseberg will eigentlich gar nicht hier sein an diesem Samstagnachmittag. Für das Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT erscheint der 44-Jährige dann doch am Rathaus. Zwei Stunden vor der Demonstration. Demonstrieren wird er nicht.
"Ich kann mich nicht an Demos beteiligen, bei denen Menschen rumrennen, die weder meinem Weltbild entsprechen, noch die Ziele verfolgen, die ich verfolge", sagt Meseberg. Zwar sehe er vieles kritisch in der Corona-Krise, aber: "Ich möchte keinen Umsturz der Regierung. Ich habe mit keinem Rechts- oder Linksradikalen, schon gar nicht mit irgendeinem Verschwörungstheoretiker etwas zu schaffen."
Menschen, die mit Anti-Bill-Gates-Botschaften auf ihren T-Shirts demonstrieren. Anspielungen auf antisemitische Verschwörungserzählungen. Youtuber mit rechtsextremer Vergangenheit. All das gehört auch zu dieser Demo in Magdeburg – und all das schreckt ihn ab. Denn: "Ich möchte einfach nur, dass wir die Corona-Maßnahmen auf ein vernünftiges Maß zurückfahren, dass uns weder Angst und Panik regiert, noch ein sorgloser Umgang, sondern dass wir wissenschaftlich argumentieren."
"Gib Gates keine Chance" – "Je suis Xavier"
Tausende Menschen stehen dieser Tage regelmäßig und deutschlandweit auf den Straßen, um gegen die Corona-Auflagen zu protestieren. Sie sind in der Gesellschaft zwar in der Minderheit, die Zustimmung für die Maßnahmen ist noch immer groß, aber auch Kritik wächst. Auch am zurückliegenden Wochenende war das wieder so. Dabei wachsen erstaunliche Allianzen: Rechtsextreme verbrüdern sich mit Linksextremen, Esoteriker gesellen sich zu Antisemiten, alleinerziehende Mütter haben plötzlich ähnliche Sorgen wie Unternehmer.
Viele von ihnen eint die Angst – vor der Impfpflicht, dem Verlust der Freiheit oder der Insolvenz. Sie suchen sich einfache Erklärungen und dieselben Gegner: die Regierung, die Medien, der Gates. Offensichtlich nicht wenige glauben an Verschwörungen.
"Gib Gates keine Chance", steht auf den T-Shirts mancher Demonstranten auf dem Alten Markt geschrieben. Oder: "Je suis Xavier." Und: "Verschwörungstheoretiker." Viele fühlen sich von den Medien und der Gesellschaft ausgegrenzt, weil sie Kritik üben. Was manchen bleibt, ist Ironie: Einige tragen eine selbstgebastelte Kopfbedeckung aus Aluminium.
Da findet eine Pauschalisierung der Corona-Kritiker statt, die ich für sehr gefährlich halte.
"Viele gleiten aus Unsicherheit ins Extreme ab. Sie leben durch die sozialen Medien in einer Filterblase, informieren sich einseitig", sagt Lars Meseberg. "Leider werden diese Leute durch die Leitmedien oft vorangestellt. Da findet eine Pauschalisierung der Corona-Kritiker statt, die ich für sehr gefährlich halte. Wenn man die Menschen nicht ernst nimmt mit ihrer berechtigten Kritik, dann findet irgendwann eine Entdemokratisierung unserer Gesellschaft statt."
"Existenzen werden vernichtet"
Meseberg ist selbstständiger Osteopath aus Magdeburg. Politisch habe er sich nie großartig engagiert, erzählt der Familienvater. Doch die Corona-Krise habe das geändert. Meseberg liest Gesetzestexte und Statistiken. Er kommentiert in zahlreichen Facebook-Gruppen. "Viele Maßnahmen wurden von der Regierung bis heute nicht valide begründet. Da fehlt mir stellenweise einfach die Erklärung für weitreichende Eingriffe in die Grundrechte", sagt er. "Ich habe teilweise das Gefühl, dass sich die Zahlen nach der Politik richten und nicht umgekehrt."
Er nennt ein Beispiel: "Die Kriterien für einen Corona-Test waren: Kontakt mit einem Infizierten, Symptome, Rückkehr aus einem Risikogebiet. So bekommst du natürlich eine hohe Trefferquote. Und dann wurden die Zahlen einfach nur aufeinander addiert, aber nicht in ein Verhältnis gesetzt. Wenn ich zum Beispiel in der ersten Woche 100.000 Tests und 5.000 Infizierte hatte, gab es in der nächsten Woche 10.000 Infizierte, aber eben auch viel mehr Tests. Und wenn ich doppelt so viel teste, habe ich bei gleichbleibender Reproduktionsrate logischerweise doppelt so viele Fälle. Nach meinem Empfinden wurde das aber nie so klar kommuniziert von der Regierung oder den Medien."
Zudem fehle bis heute eine repräsentative Studie, um einen Pandemie-Verlauf für Deutschland zu prognostizieren, sagt Meseberg. Die Regierung habe immer wieder neue Ziele gesetzt, ohne Begründungen zu liefern: die Reproduktionszahl unter eins zum Beispiel. Die sei bereits vor Einführung des Kontaktverbotes und anderer Corona-Auflagen unter eins gefallen. Was auch stimmt. Meseberg schlussfolgert, dass die Maßnahmen "vor allem in Sachsen-Anhalt und ganz besonders in Magdeburg mit so wenigen Fällen anhand der Zahlen nicht verhältnismäßig" gewesen seien.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) widersprach dieser sich in den sozialen Netzwerken rasant verbreitenden Argumentation bezüglich der Reproduktionszahl bereits, sie greife zu kurz. Ziel sei schließlich nicht nur gewesen, unter eins zu gelangen, sondern diesen Wert auch dauerhaft niedrig zu halten – was nur durch die Maßnahmen möglich gewesen sei. Diese seien zudem in großen Teilen bereits getroffen wurden, als die Reproduktionszahl noch nicht unter eins gelegen habe.
Meseberg reichen solche Begründungen nicht. "Es geht um Existenzen, die vernichtet werden", sagt er. "Damit wird fahrlässig umgegangen." Ihn persönlich betreffe das nicht, aber einige seiner Patienten: "Wenn mir ein Patient, der seit 25 Jahren seinen kleinen Laden hat, sagt, dass er nächste Woche Insolvenz anmelden muss, weil er auf seiner Ware sitzen bleibt, dann berührt mich das. Manche Leute stehen vor dem Nichts. In unserer Region muss das nicht sein."
Stiller Protest und Verschwörungsmythen
Der Protest gegen Corona ist diffus. Deutlich wird das auch an diesem Sonnabend in Magdeburg. Etwa 40 Yogalehrer und Praktizierende sitzen schon am Vormittag auf dem Domplatz und meditieren gegen die Corona-Maßnahmen. Ein stiller Protest.
Auch Sabrina Litze sitzt auf dem Beton. Sie hat ein Schild gebastelt mit all den Punkten, für die sie auf die Straße geht: Freiheit, Wahrheit, Frieden und medizinische Selbstbestimmung zum Beispiel. Sie ist Impfkritikerin, wie so viele hier. "Die ganze Corona-Geschichte ist für mich nicht logisch", sagt sie. "Mir fehlt in der Presse eine Meinungsfreiheit und eine wissenschaftliche Transparenz für die Maßnahmen. Ich will nicht zu denen gehören, die später sagen müssen, sie hätten nichts gemacht. Es sind alle so gefügig."
Doch sie nicht, sagt sie. Deshalb ist sie auch am Nachmittag auf dem Alten Markt dabei. Sie hält ihr Plakat hoch und hört den Rednern zu.
Ein Obdachloser bedankt sich für Hilfe in der Corona-Zeit. Ein kleiner Junge sagt laut ins Mikrofon, dass er endlich wieder in die Schule will. Das wirkt alles arg inszeniert. Dann dankt ein Mann mit schwarzer Sonnenbrille einem Youtuber, der die Demo live im Internet überträgt. Der Platz applaudiert. Dass der Youtuber eine rechtsextreme Vergangenheit hat und NPD-Mitglied war, wissen wahrscheinlich die wenigsten. Oder es ist ihnen egal.
Und Sabrina Litze? Sie dankt dann noch dem Journalisten Ken Jebsen, seit Jahren einer der größten Verbreiter von Verschwörungsmythen, für seine Berichterstattung.
Fehlende Abgrenzung von Extremisten
Katrin H. (Name von der Redaktion geändert) war erst auf einem "Hygiene-Spaziergang", der letzendlich dasselbe ist wie eine Demonstration. "Da waren ganz normale Menschen, ältere Personen, Familien mit Kindern, die Mitte der Gesellschaft. Alles absolut friedlich", erzählt sie.
Ihr Name soll verborgen bleiben. Denn ihre Meinung zu den Corona-Maßnahmen stimme nicht mit denen ihres Arbeitgebers überein. Das könne zu Problemen führen, glaubt die Mitarbeiterin einer Apotheke. Früher habe sie sich wenig mit Politik auseinandergesetzt. "Das kam jetzt alles in der Corona-Zeit", sagt sie. "Das fing mit dem Gefühl an, dass die Maßnahmen überzogen und unverhältnismäßig sind."
Doch was, wenn sie plötzlich neben Links- oder Rechtsextremen, neben Antisemiten protestieren würde? "Solange alles friedlich abläuft, wäre mir das egal", sagt sie. "Wir müssen aufhören, die Menschen in gewisse Schubladen zu stecken. Wenn wir gemeinsam für unsere Grundrechte einstehen, ist es mir egal, was da für eine Gesinnung rumläuft."
Offensichtlich auch dann, wenn diese Gesinnung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung widerspricht. Aber dafür gehen viele der Leute doch auf die Straße? Gespräche mit vielen der Corona-Protestlern sind Gespräche voller Widersprüche.
Nach Erkenntnissen von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt versuchen Rechtsextremisten, die Proteste gegen die Corona-Beschränkungen zu unterwandern. Auch der Extremismusforscher Matthias Quent hatte im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT zuletzt starke rechte Tendenzen in den Protest-Bewegungen ausgemacht. Den Vorwurf, sich nicht von Extremisten abzugrenzen, müssen sich Demo-Teilnehmer gefallen lassen.
Doch wie viele andere auch sieht Katrin H. den vermeintlichen Fokus der Medien auf diese Gefahr als Versuch der Ablenkung. "Vielleicht wird das auch genutzt, um von den Kritikpunkten abzulenken", sagt die Magdeburgerin. Ihr Bild von der Corona-Debatte entspricht dem zahlreicher Protestler: "Es gibt nur eine vorgeschriebene Meinung und alles, was davon abweicht, wird runtergedrückt. Sagt man etwas kritisches, dann wird einem schnell der Stempel rechts aufgedrückt."
Kritische Experten aus Medizin oder Wissenschaft würden nicht genügend gehört werden. "Ich habe das Gefühl, wir haben nur zwei Fachleute. Das sind Herr Drosten und Herr Wieler." Der Heinsberg-Studie des Virologen Hendrick Streek oder dem Corona-Papier von Stephan Kohn, einem Beamten des Bundesinnenministeriums, zum Beispiel, sei zu wenig Beachtung geschenkt worden, sagt Katrin H.
Sie informierte sich im Internet, über Gruppen auf Telegram. "Auch auf Seiten von namhaften Ärzten", sagt sie. "Es ist ja alles auffindbar im Internet. Es ist ja nichts verborgen." Ungewöhnlich für das Leben in einer vermeintlichen Meinungsdiktatur. Auch Katrin H. glaubt, "dass Bill Gates das alles bestimmt nicht macht, weil er ein Menschenfreund ist, sondern weil er ein Ziel verfolgt." Welches? "Darüber gibt es viele Theorien." Antworten aber auch auf der Demo in Magdeburg nicht.
Katrin H. schwankt zwischen nachvollziehbarer Kritik und extremen Meinungen. Auf der einen Seite sagt die Impfkritikerin: "Es ist nicht so, dass wir alle behaupten: Das Coronavirus gibt es gar nicht. Es soll einfach nur eine kritische Auseinandersetzung mit den Maßnahmen stattfinden." Sie will, dass ältere Menschen immer geschützt werden, dass mehr investiert wird in Pflegepersonal und Material, dass Kinder wieder gemeinsam spielen können.
Doch wenige Minuten später erklärt sie: "Wenn der Lockdown so weitergeht und die Leute noch mehr in eine wirtschaftliche Krise fallen, dann klafft die Schere zwischen arm und reich noch mehr, was sich in gegenseitige Aggressionen entwickeln kann." Das Wort Bürgerkrieg fällt. Es wirkt, als wäre sie zu Beginn mit ihrer Skepsis an den Corona-Maßnahmen allein gewesen – und hätte sich dann in ihrer Meinung radikalisiert und wäre Verschwörungserzählungen verfallen.
Fakt ist: Laut ARD-Deutschlandtrend vom vergangenen Freitag spricht sich mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Deutschen für die Beibehaltung der aktuell geltenden Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aus. 40 Prozent der Befragten würden es befürworten, wenn Maßnahmen weiter gelockert werden.
Das personifizierte Böse?
Wie von den Veranstaltern zu Beginn am Mikrofon gefordert, bleibt der Protest der etwa 200 Teilnehmer am Sonnabend in Magdeburg gewaltfrei. Die meisten von ihnen bemühen sich sogar um Abstand. Andere jedoch fallen sich mit Tränen in den Augen in die Arme. Da ist sie wieder, die einende Angst – und das Gefühl: Viele dieser Menschen suchen Halt, egal wo.
"Ich habe Bekannte, die bei einer Demo waren und einem Protestierenden gesagt haben, dass er seinen Mundschutz mit einer Reichskriegsfahne darauf abnehmen soll. Diesen Leuten bin ich sehr dankbar, dass sie solche Spinner nicht auf den Demonstrationen dulden", sagt Lars Meseberg. Denn er glaubt, die Mehrheit der Kritiker seien "vernünftige Menschen. Die schreien vielleicht einfach nicht so laut wie diejenigen, die auf die Demos gehen". Aber, da ist er sich sicher, sie sind da.
Menschen, die den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Einführung eines Immunitätsausweises kritisch sehen, zum Beispiel. "Solch ein Ausweis soll die Leute nur dazu bringen, sich impfen zu lassen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, um wieder reisen zu dürfen oder dergleichen. Das würde die Gesellschaft spalten und gehört sich für einen demokratischen Politiker nicht, so etwas zu fordern", so Meseberg.
"Ich wehre mich, Personen wie Frau Merkel, Professor Drosten oder Bill Gates persönlich anzugreifen oder sie als personifiziertes Böses darzustellen", sagt Lars Meseberg dann noch, ehe er den Alten Markt vor Demo-Beginn verlässt. Aber: "Am Ende ist es die Schuld der Politik, wenn Menschen auf Hetzer, die so etwas behaupten, hereinfallen – weil sie berechtigte Kritik nicht ernstnehmen."
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Über den Autor
Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.
Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.
Quelle: MDR/dg
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 18. Mai 2020 | 19:00 Uhr
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