MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 89) Catcalling: Was tun gegen verbale sexuelle Belästigung?
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Die meisten Frauen haben schon mal erlebt, dass ihnen hinterhergerufen oder -gepfiffen wurde. Wer Catcalling erlebt, empfindet das oft als Belästigung. Auch psychische Belastungen können nach einem Catcall auftreten. Im schlimmsten Fall bedeuten solche Übergriffe, dass die Frauen bestimmte Orte meiden, weil sie angstbesetzt sind. Deshalb fordern manche, dass Catcalling strafbar sein sollte. Was ist Catcalling? Was wird bisher dagegen getan und was macht die Strafverfolgung so schwierig?
Esther Stephan (ES): In diesem Podcast geht es um sexuelle Belästigung. Wenn Sie sich damit unwohl fühlen, dann hören Sie doch lieber eine andere Folge an. Oder hören Sie diese Folge mit jemand anderem zusammen. Hilfe können Sie zum Beispiel beim Servicetelefon Gewalt gegen Frauen oder dem Hilfetelefon Gewalt an Männern finden. Die Hilfsangebote verlinke ich auch noch mal in den Shownotes dieser Folge.
Und jetzt würden wir gerne auch noch etwas ankreiden, was mir passiert ist. Und das ist auf dem Fahrrad passiert, wo mir ein Typ hinterhergeschrien hat: "Hey, geiler Arsch!" Und das wollen wir jetzt ankreiden. Also ich habe erstmal gedacht: Hä, bin ich jetzt gemeint? Weil viele Leute und ich bin mit dem Fahrrad und habe mich umgedreht und ich habe ihn so angeguckt. Und er so: "Ich meinte nicht dich!" und dann habe ich so gesagt: "Okay, gut. Alles klar", und habe ihm dann hinterhergerufen, dass er bitte seinen Mund halten kann, jetzt mal nett ausgedrückt.
Ich bin da einkaufen gegangen nach dem Joggen, und da hat mir mal eine Gruppe von Männern hinterhergerufen: "Ey, die Alte würde ich auch gern mal gern mal f…!" Und ich habe auch erst diesen Instinkt gehabt: Das kann jetzt nicht für mich gewesen sein. Wollte das so ein bisschen ignorieren. Und habe dann gemerkt, beim Einkaufen, wie das innerlich in mir gearbeitet hat.
ES: Egal, ob auf der Straße, im Club oder im Park: Catcalling findet überall im öffentlichen Raum statt. Es geht um Hinterherrufen pfeifen, anhupen oder auch nur um eine kurze Bemerkung im Vorbeigehen. So ziemlich jede Frau und weiblich gelesene Person hat das schon einmal erlebt. Für die Opfer bedeutet das im besten Fall, nur in eine unangenehme Situation hineingezogen zu werden. Im schlimmsten Fall, bestimmte Orte zu meiden, weil sie Angstbesetzt sind. Wir sprechen heute über die unterschiedlichen Facetten von Catcalling, was bereits dagegen unternommen wird und welche Ideen es gibt, konsequenter gegen Catcalling vorzugehen.
Sie hören den Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Podcast, in dem wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen sprechen, über das Thema und über ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten. Ich bin Esther Stephan. Ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks, und ich spreche heute mit Katharina Vorndran, die einen Film zur Catcalling gemacht hat.
Hallo!
Katharina Vorndran (KV): Hallo, schön hier zu sein!
ES: Lass uns ganz am Anfang mal klären, weil ich jetzt schon ganz oft mitgekriegt habe, dass Leute gar nicht wissen, was das ist. Kannst du noch mal erklären, was ein Catcall eigentlich ist?
KV: Also vielleicht muss man anfangen mit: Was ist Catcalling? Also wo kommt dieser Begriff her? Er ist an sich noch relativ jung. Und zwar kommt der aus dem Englischen und heißt genau das, wie man es wörtlich übersetzt, dass man eben mit einem Catcall quasi oft auch dieselben Geräusche macht, die man auch macht, wenn man zum Beispiel eine Katze oder ein kleines Tier anlockt. Also, wenn ich irgendwie in den Garten gehe und mein Haustier vielleicht suche oder anlocken möchte. Und genau das ist ja dasselbe Geräusch, was man da auch oft hört, wenn man in der Straße an jemandem vorbeiläuft und der meint, sich zu meinem Äußeren äußern zu müssen. Und daher kommt erst mal der ganze Begriff Catcalling, weil es einfach etwas Unangenehmes ist, was die Person degradiert, zu einem Objekt oder irgendwie einem Tier, was man mal anrufen, dem hinterherrufen kann. Das erstmal zum Begriff. Der Catcall an sich ist super schwer zu definieren, weil das jeder ein bisschen anders sieht. Im Grunde geht es da um eine verbale sexuelle Belästigung. Dann gibt es aber auch viele, die sagen: für mich ist es nicht nur verbal, also hinterher rufen oder pfeifen oder Kussgeräusche, wie dieses Katzen-Ruf-Geräusch, sondern für mich ist das auch anstarren, hinterherlaufen. Da hat jeder so seine Abgrenzungen. Aber im Großen und Ganzen, wie wir auch im Film drüber sprechen, geht es um verbale Belästigungen und nonverbale Gesten.
ES: Wenn du sagst, es ist gar nicht so konkret fest definiert, vielleicht auch von Person zu Person auch unterschiedlich. Kann man messen, wie häufig das passiert? Weil ich habe Studien gefunden, wo stand, dass fast jede Frau, das zum Beispiel schon mal erlebt hat oder jede weiblich gelesene Person. Gibt es da trotzdem irgendeine offizielle Definition oder Zahlen oder so?
KV: Eine offizielle Definition: soundsoviele Leute erleben das jährlich, gibt es nicht. Und das ist auch ein einfach das ganz große Problem dabei, weil das ist was, was wenn man darüber spricht, was jeder irgendwo kennt oder vielleicht mal miterlebt hat, dass es anderen Leuten passiert ist. Aber es gibt dazu keine 100-Prozent konkreten Studien, die das jedes Jahr erfassen. Es gibt ab und zu mal wieder welche. Für den Film hatte ich auch eine von der Hochschule Merseburg zugezogen. Das war aus dem Jahr 2020. Das war relativ aktuell. Aber es lässt sich so ungefähr an einer Hand abzählen, wieviel da wirklich gemessen wird. Und das ist eben auch ein großes Problem, wenn mir dann Protas sagen: es ist wichtig, dass man das strafbar macht. Aber wenn es keine wirkliche evidente Studienlage dafür gibt, dann ist es auch schwierig, das Problem zu benennen.
ES: Also du meinst Protagonist*innen, Leute mit denen du gesprochen hast für dein Exactly, ne? Dafür warst du in Halle, auch für diesen Film und bist da einer Initiative unterwegs gewesen, Catcalls of Halle. Wie war das?
KV: Also mit den Mädels von Catcalls of Halle habe ich vorher schon öfter gesprochen, und wir hatten auch Zoom Anrufe und so. Also, als wir uns dann endlich gesehen haben, was es einfach total angenehm, weil es war allen Seiten klar, was wir machen, wie wir das machen, dass sich alle wohlfühlen. Das finde ich ja auch superwichtig, wenn man einen Film über etwas macht, wo sich einfach viele Leute mit unwohl fühlen, ist ist mir umso wichtiger, dass die Leute, die sich dann auch, sag ich mal, mir vor der Kamera auch offenbaren und sich auch zu einer Zielscheibe natürlich auch damit machen, wenn andere Leute sagen: "Was ist das für eine Scheiße?", dass die sich da auch wohlfühlen. Also es war ein richtig schöner und angenehmer und sehr positiver Tag.
ES: Du sagst, du willst möglich machen, dass die sich möglichst wohlfühlen. Was heißt das für dich als Reporterin, wenn du dann dahin kommst?
KV: Also natürlich generell, wenn ich auf Dreh gehe möchte ich, dass alle irgendwie gut drauf sind, gut gelaunt sind und dass jeder sich wohlfühlt mit der Situation. Aber gerade, wenn es um persönliche Situationen geht, wenn es um so etwas geht wie eine sexuelle Belästigung, worüber ich auch ganz offen mit den Frauen von Catcalls of Halle gesprochen habe, aber auch mit wirklich allen anderen Protagonist*innen, dann ist mir das noch einmal extra wichtig, dass sie auch wissen: okay, wenn ich jetzt hier nicht reden möchte, dann kann ich auch aufhören oder kann sagen, wir lassen das. Weil es bringt mir auch nichts, wenn ich dann noch dreimal nachhake und die sich dann am Ende unwohlfühlen damit.
ES: Okay, magst du noch mal erzählen von dem Tag, was ihr da gemacht hat?
KV: Der Drehtag in Halle war wirklich wahnsinnig. Es waren 28 Grad. Es war aber einer der ersten warmen Tage. Mit den beiden, mit Ella und Tina zu drehen war super angenehm. So wahnsinnig viel TV-Erfahrung hatten sie, glaube ich, bis zu dem Zeitpunkt noch nicht. Was man aber nicht gemerkt hat. Wir haben es ja wirklich einfach nur begleitet, wie sie da ihre Arbeit gemacht haben, die sie sowieso gemacht haben, also ihr Ehrenamt quasi ausgeführt. Und gleichzeitig war es auch interessant, wenn man mal mit einem Kamerateam in der Innenstadt unterwegs ist, gucken die Leute meistens. Und irgendjemand fragt mal. Das war so ein doppelter Fall von Leute gucken und schauen, was die Leute da machen. Weil natürlich die beiden Sachen auf den Boden geschrieben haben, wo auch jeder, der sich jetzt nicht unbedingt mit dem Fernsehen auseinandersetzen möchte, einfach mal gucken wollte.
ES: Das heißt, also dieses Ehrenamt, das besteht darin, dass die Meldungen bekommen, wo in Halle zum Beispiel jemandem hinterhergerufen wurde. Und sie schreiben dann diese Sätze – das sieht man im Film auch ganz schön – diese Sätze, die ihnen hinterhergerufen wurden in dem Fall jetzt, oder auch anderen Leuten, die das melden, das schreiben sie dann groß auf die Straße mit Kreide.
KV: Genau.
ES: Okay, du hast dann verschiedene Leute auch angesprochen, wie sie zu Catcalling stehen, ob sie den Begriff schon mal gehört haben, ob sie das auch schon mal erlebt haben. Lass uns in diese Reaktionen doch noch mal reinhören.
Passant: Ja, eigentlich ist ist das kein schöner Spruch, unhöflich. Man darf auf der Straße die Menschen nicht so sexuell belästigen.
Katharina Vorndran: Darf ich mal ganz frech fragen: Hast du das schon mal gemacht? So früher, weil man es halt nicht besser weiß?
Passant: Nein, habe ich nicht. Also so etwas sage ich nicht. Ich bin nicht so erzogen.
Katharina Vorndran: Wissen Sie noch, was Ihnen das das letzte Mal das passiert ist?
Passantin: Mir? Ja, ich glaube vor vier Wochen? Das ist aber auch vor 20 Jahren bei uns schon passiert, also von daher. Übergriffigkeit und Anmachen und nicht auf ein Nein reagieren.
ES: Wie war das? Also ich habe das so gesehen und fand es total interessant, die Momente, wo du eben Männer angesprochen hast, oder männlich gelesene Personen. Wie war das so für dich?
KV: Ich wusste ja im Vorhinein, dass ich das auch vorhabe. Es ist natürlich immer ein bisschen unangenehm, weil ich natürlich, sage ich mal, auf männlich gelesene oder männliche Passanten sehr viel direkter zugegangen bin, als auf Frauen, die stehengeblieben sind und dann hat man irgendwie darüber gesprochen. Ganz oft haben die das selbst auch erlebt, und die waren da oft auch ein bisschen offener. Aber wenn ich dann auf gerade bewusst auch auf junge Männer zugelaufen bin, wusste ich: okay, ich gehe jetzt mit denen auch in eine Konfrontation, die die sich wahrscheinlich auch gar nicht wünschen. Die wollten hier nur mal gucken und die von mir aus natürlich auch im schlimmsten Fall direkt anklagend klingen kann. Aber das wollte ich gar nicht. Und deswegen habe ich mich ja darum bemüht, dass da ganz offen und locker mit denen zu besprechen und fand auch wahnsinnig interessant, dass da vor allem ganz viele junge Männer gesagt haben: Also erstens: so bin ich nicht erzogen. Oder zweitens: so was mache ich nicht. So etwas macht man auch nicht. Das ist eine Belästigung, das ist nicht in Ordnung. Gut, dass das hier steht.
ES: Gab es denn auch Männer, die zugegeben haben, dass sie das schon mal gemacht haben? Oder ist das dann vielleicht doch etwas, was man jetzt nicht so im Fernsehen erzählen möchte?
KV: Ich habe mit allen, mit denen ich gesprochen habe, darüber gesprochen. Ich habe alle, auch Frauen gefragt, ob sie das schon mal gemacht haben und ob sie das erlebt haben. Von den Männern, hat niemand gesagt, dass er das schon mal für sich selbst, an sich selbst erlebt hat, einen Catcall. Aber auch niemand hat gesagt, dass er das schon mal gemacht hätte. Ob sie alle gelogen haben, weiß ich nicht. Aber zumindest alle, mit denen ich gesprochen habe, sagen, sie haben das nicht gemacht.
ES: Dann hattest du vielleicht eine gute Stichprobe.
KV: Vielleicht hatte ich einfach Glück, ja.
ES: Jetzt gibt es ja tatsächlich auch den Wunsch danach, Catcalls strafbar zu machen. Wir haben ja ganz am Anfang schon darüber gesprochen, dass es für jede Person aber auch unterschiedlich es, was ein Catcall eigentlich ist, was das bedeutet, an welchem Punkt man sich vielleicht auch unwohl fühlt. Wie funktioniert das dann, so etwas strafbar zu machen?
KV: Das hatte mich auch gefragt, weil es gibt da schon ein paar Länder in Europa, die das machen. Aber was ich in meiner Recherche herausgefunden habe ist, es gibt natürlich verschiedene Wege, das strafbar zu machen. In ganz schlimmen Fällen könnte man auch jetzt schon einen Catcall anzeigen. Wenn es da um eine ganz konkrete Beleidigung geht, hätte man eine Chance. Wie man mit einer Beleidigung am Ende vor Gericht oder so durchkommt, das steht auf einem anderen Blatt. Aber es ist natürlich wahnsinnig schwierig, weil es was ist, was in der Öffentlichkeit passiert. Man hätte wahnsinnig viele Zeuginnen, wenn das unter Leuten passiert. Aber dann muss man auch stehenbleiben, man müsste sagen: "Sie haben es gerade gesehen. Ich wurde gerade sexuell belästigt. Können Sie meine Zeug*in sein? Ich hätte gerne Ihre Kontaktdaten und ich gehe damit jetzt zur Polizei." Also das umzusetzen ist natürlich schwierig. Aber es muss ja nicht immer direkt als Straftatbestand da sein. Man könnte auch einfach sagen: Wir machen das zu einer Ordnungswidrigkeit, so wie Mittelfingerzeigen im Auto oder so. Also ganz unterschwellige Sachen, das ist auch meinen Protas wichtig gewesen, dass einfach wenigstens das Gesetz von sich aus sagt: Das ist nicht in Ordnung, hier ziehen wir eine Grenze. Und wie es halt bei einer Ordnungswidrigkeit: Wenn es dafür einen Beweis gibt oder wenn Polizist*innen das sehen, dann gibt es da auch direkt eine Strafe.
ES: Also geht es bei diesem Wunsch darum, Catcalls strafbar zu machen – ziehe ich da jetzt gerade so gerade raus – mehr darum zu sagen: okay, das ist eben doch kein Kompliment gewesen. Und da wirklich dann auch vom Staat aus zu wissen: Ich fühle mich jetzt nicht einfach grundlos beleidigt, sondern das ist tatsächlich eine Beleidigung und kein Kompliment gewesen. Und da geht es dann wirklich auch darum, in letzter Konsequenz zu sagen: Wir wollen das verfolgen.
KV: Das ist so ein bisschen ein zweischneidiges Schwert. Es gibt mehrere Gruppierungen, die Catcalling strafbar machen möchten. Und die haben jeweils eigene Definitionen, auch davon, was für sie ein Catcall ist und was sie daraus resultierend erwarten, was passieren soll. Im Grunde kann man sagen: Der Wunsch von all den Menschen, die das strafbar machen möchten, dass angesehen wird: Es geht hier nicht um ein Kompliment, wo man auch sagen muss: Catcalling ist auch oft gar nicht irgendwie ein Kompliment wie beispielsweise: "Geiler Arsch", wie es im Film auf dem Boden geschrieben wird und gesagt wurde, sondern das kann auch eine Beleidigung sein. So etwas wie ein: "Mit deiner Figur, das T-Shirt würde ich jetzt nicht anziehen", auch das kann ein Catcall sein. Aber im Grunde ja geht es einfach darum, dass es nicht in Ordnung ist, fremde Menschen zu belästigen. Ganz oft, wenn diese Menschen schon an einem vorbeigelaufen sind und man dann von hinten, wenn man sich wahrscheinlich sicher fühlt, meint, denen etwas hinterherrufen zu können. Darum geht es, dass das nicht in Ordnung ist und dass das strafbar gemacht werden sollte oder wenigstens der Staat oder das Land sagen sollte: Das ist eine Grenze, die möchten wir, dass die nicht überschritten wird. Deswegen machen wir das zu einer Ordnungswidrigkeit oder zum Straftatbestand.
ES: Das ist es ja jetzt gerade noch nicht. Und du hast mit Sandra Bannert-Nagel von der Opferhilfe Sachsen, dem Verein, darüber gesprochen, wie man eben jetzt gerade damit umgehen kann, wenn einem ein Catcall passiert. Lass uns da noch mal kurz reinhören.
Es ist eben wichtig da wirklich auf sein Bauchgefühl zu hören und sich dann eben auch eingestehen, dass es mir jetzt mitunter schlecht geht. Also ich habe vielleicht irgendwie Angstzustände, traue mich vielleicht auch nicht mehr auf die Straße. Traue mich vielleicht eben auch nicht mehr in die Stadt. Und dann ist es wichtig, sich jemandem zu öffnen. Und sei es eben erst mal einem nahen Bekannten, einfach das Gefühl eben mitzuteilen: Hey, mir geht es gerade nicht gut. Das machen wir ja genauso, auch wenn es uns gut geht. Und wenn man dann aber irgendwie merkt, es wird nicht besser, dass man sich dann auch professionelle Hilfe frühzeitig sucht.
ES: Jetzt aber mal ganz praktisch: Also, ich kann das jetzt gerade nicht anzeigen. Und heißt das dann, ich muss ganz drastisch gesagt, einfach am Ende selber damit klarkommen, wenn mir so eine Beleidigung hinterhergerufen wird.
KV: Traurigerweise ja, aber die Sache ist ja, weshalb ich auch mit einer Opferhilfe sprechen wollte, was Frau Bannert-Nagel auch gesagt hat: wenn ich merke, dass ich selber damit nicht klarkomme und dass ich das ist, mir auch nicht reicht, wenn ich mit Freundinnen oder meiner Familie spreche, dann ist auch voll okay, sich da eine Hilfe zu holen. Es muss nicht erst irgendwie was strafwürdiges passieren, dass man sagt: ich darf mir jetzt eine Hilfe holen. Aber ja, ganz oft ist es so: Ein Catcall passiert, ich bin die Betroffene und ich muss jetzt damit leben. Es ist mein Problem.
ES: Aber wenn du sagst Hilfe holen, was gibt es dafür Unterstützungsangebote?
KV: Man kann einfach in eine ganz normale Beratung geben. Man kann beim Hilfetelefon anrufen, man könnte beispielsweise zur Opferhilfe gehen oder zu anderen Opferverbänden. Ich habe auch mit einigen gesprochen. Viele haben gesagt: Einen Catcall, das hören wir dann nur so im Nachhinein, dass das auch ein Thema ist für die Personen. Die kommen aber wegen schlimmeren Delikten. Was nicht heißt, dass etwas Schlimmes passieren muss, bis man sich eine professionelle Hilfe sucht, weil man psychisch damit nicht klarkommt.
ES: Aber was tun denn einzelne Städte oder Kommunen gegen Catcalling? Gibt es da schon einzelne Initiativen? Über eine sprechen wir nachher noch mal, aber so darüber hinaus?
KV: Das habe ich mich auch gefragt, weil aufgrund einer Initiative in New York gibt es mittlerweile in auf der ganzen Welt und auch in ganz vielen Städten in Deutschland ehrenamtliche Initiativen, wie eben die Catcalls of Halle, die sagen: Wir möchten hier was tun. Ihr könnt uns schreiben. Wir können das immerhin ankreiden, dass es jeder sieht, damit jeder weiß, das ist passiert. Und die machen da auch ganz viel Arbeit hinter den Kulissen, dass sie mit den Leuten sprechen und versuchen, denen zu helfen oder eben Hilfsangebote weiterzuleiten, wenn es nicht anders geht. Und mich hat es eben auch interessiert: Was machen denn dann Städte dagegen? Weil das ist ja schon was Großes. Weil das ja ständig passiert auf der Straße. Und wer ist da verantwortlich auf der Straße? Natürlich auch irgendwo die Stadt. Und dann habe ich ein bisschen geguckt, was vielleicht auch Gleichstellungsbeauftragte tun. Für mich war das direkten Fall: Gut, wenn dann, muss da die Gleichstellung was machen. Und ganz viele Gleichstellungsbüros haben wenigstens dann auf ihrer Webseite was, wo man sexistische Werbung anzeigen kann. Aber zu Catcalling habe ich fast nichts gefunden. Ich habe mich dann in denen drei größten Städten in unseren drei Bundesländern mal umgehört. Und da die Gleichstellungsbeauftragten auch alle angefragt. Manche haben per Mail geantwortet, manche wollten extra anrufen, weil es ihnen dann auch wichtig war, darüber zu sprechen. Aber ganz oft hieß es dann einfach: erstens können wir uns da nicht drum kümmern. Und zweitens setzen wir halt bei den schlimmen Themen an, weil wir die wenigen Kapazitäten, die wir haben, darauf fokussieren.
ES: Ein besonderer Fall ist aber Salzgitter. Da gibt es eine Gleichstellungsbeauftragte, Simone Semmler, der liegt das Thema wirklich richtig doll am Herzen, das hat man richtig doll gemerkt.
Die Aufgabe einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten ist es, alle Aspekte von Gleichberechtigung zu betrachten. Und Catcalling ist eine Form von Diskriminierung. Denn Mädchen und überwiegend Mädchen und junge Frauen - und natürlich trifft es auch andere – werden dadurch aus dem öffentlichen Raum vertrieben. Und damit ist es ein Thema für die Gleichstellung.
ES: Was macht denn jetzt explizit Salzgittter nochmal anders als andere Kommunen?
KV: Ja, das Projekt in Salzgitter ist mir wirklich ganz unverhofft in den Schoß gefallen. Und da wollte ich erst mal gucken, was da hintendran ist, weil mich ich dachte: Okay, ein bundesweiter, nationaler Tag, davon habe ich bis zu meiner Recherche noch nie gehört. Und genau dann habe ich mit Simone Semmler gesprochen. Und das war einfach schon wahnsinnig spannend, weil sie einfach für sich gesagt und beschlossen hat: Sie hat eine volle Stelle als Gleichstellungsbeauftragte, kann sich 40 Stunden die Woche damit auseinandersetzen. Und sie hat gesagt, für sie ist das ein ganz wichtiges Thema, weil dadurch auch vor allem junge Frauen und Mädchen aus dem sozialen Raum vertrieben werden. Weil sie ganz oft dann auch irgendwann Orte meiden, wo das vielleicht öfter passiert oder nur noch zu bestimmten Uhrzeiten rausgehen, weil sie Angst haben. Klar, auch vor sexuellen Übergriffen, aber auch vor einem Catcall, dass man ständig irgendwie auf sein Äußeres reduziert wird und degradiert wird. Und für sie war das einfach nicht in Ordnung und auch gar keine Frage, dass sie was dagegen zu tun hat. Sie hat das sofort als ihre Aufgabe gesehen, da anzupacken.
ES: Und wie macht sie das?
KV: Erst hat sie eine E-Mail Adresse eingerichtet. Eine Emailadresse der Stadt, bei der man sich melden kann, was sie ja schon mal ein großes Ding ist, finde ich. Und sie hat sich direkt Hilfe geholt. Sie hat alle Gleichstellungsbeauftragten in Deutschland angeschrieben und gesagt: "Passt auf - das ist meine Idee. Wollen wir vielleicht einen Aktionstag machen?" Und ganz viele haben sich da gemeldet und gesagt: "Wir würden mitmachen." Interessanterweise war die Idee des Aktionstags auch gar nicht ihre, sondern die vom Bürgermeister. Weil sie mir erzählt hat, sie wollte eigentlich auch, wie die Catcalls of-Gruppen einfach ankreiden. So im Namen der Stadt und wollte das halt immer regelmäßig machen. Und da hat der Bürgermeister auch gesagt: "Es ist vielleicht nicht so cool, wenn das alle paar Wochen auf der Straße steht. Warum machen wir das nicht an einem Tag? Und gut ist." Und da ist diese Aktion draus geworden. Und die zeigt ja eigentlich so viel mehr, als dass man halt jetzt nur an einem Tag ankreidet, sondern dass an einem Tag an 20 bis 26 Orten in dieser kleinen Stadt angekreidet wurde, im großen Stil, sage ich mal. Es gab noch eine Kundgebung, die sie gemacht hat. Es gab dann noch eine Autorenlesung, die für alle Städte, die sich daran beteiligt haben, dann gestreamt wurde. Und was sie mir gesagt hat, was sie fürs nächste Jahr plant, ist in Berlin anzukreiden, am nationalen Catcalling-Tag, um die gesamte Bannmeile um das Bundestagsgebiet herum, um dann am Ende auch ein Gesetz zu forcieren. Also auch, dass es ihr absolutes Ziel.
ES: Du hast ja auch ein Awareness-Team angeschaut. Ich kenne das nur aus Clubs und von Konzerten. Und das sind einfach Leute, die gekennzeichnet sind, mit oft Westen oder T-Shirts oder so, wo dann "Awareness" draufsteht. Und das sind Leute, an die man sich dann wenden kann, wenn man sich zum Beispiel unwohl fühlt, oder wenn wirklich "etwas passiert", wenn es nicht nur Blicke sind, sondern man tatsächlich auch angefasst wird, blöd angemacht wird. Und da hast du Sydney und Cockney getroffen und die arbeiten in einem Club in Leipzig im Awareness-Team. Was haben die dir von ihrer Arbeit erzählt?
KV: Es war ganz spannend. Ich kenne Awareness-Teams eben auch nur von Konzerten oder aus Clubs. Aber ganz gezielt habe ich die angefragt, weil ich mir dachte: okay, im öffentlichen Raum gibt es irgendwie keine richtige Regelung und wer ist zuständig? Aber in so einem kleinen Mikrokosmos Club, da gibt es schon Leute, die sagen: wir machen was. Und gerade in Leipzig gibt es das vermehrt. Deswegen haben wir uns mit Sydney und Cockney getroffen, durften natürlich nicht in den Club hinein, weil auch das gehört zum Awareness-Konzept. Durften uns aber draußen mit ihnen treffen. Und das war wirklich ganz spannend. Die sind natürlich, das haben die mir auch erzählt, nicht nur für sexuelle Belästigung oder Übergriffe zuständig, sondern für ganz viele andere Sachen. Wenn es um Alltagsrassismus, Rassismus-Situationen im Allgemeinen geht, um Leute, die zu laut reden oder irgendwie pöbeln. Oder wenn jemand dann doch irgendwie zu viel getrunken hat oder andere Sachen zu viel genommen hat, dann gibt es da auch einen Ruheraum, in den die die Leute reinbringen. Dass das auch nicht schlimm ist, wenn man mal über die Stränge schlägt und man halt auch nicht einfach nach Hause geschickt wird, wo sonst was mit einem auch passieren kann auf dem Nachhauseweg, sondern dass die da ganz gezielt gucken, das es erstens allen gut geht. Und dass da alle auch mit einem klar halbwegs klaren Kopf rein und rausgehen am Ende.
ES: Aber das was, was man auch auf andere Orte im öffentlichen Raum übertragen könnte? Was ich mich gefragt habe, ob das wirklich nur funktioniert in so einem Club-Kontext oder ob man auch sagen könnte: Wir haben ein Awareness-Team auf der Arbeit?
KV: Auch das gibt es ja zum Teil schon. Es gibt Büros, also größere Firmen oder auch so Co-Working-Spaces zum Beispiel, die sagen: Auch wir haben irgendwie ein Feelgood-Team oder ein Awareness-Team, um gerade im Arbeitskontext auch darauf zu achten, dass hier keine Übergriffe passieren oder dass sich die Leute nicht überfordert fühlen. Was auch interessant ist, im Arbeitsbereich ist es ja auch so: Catcalling ist da ganz klar geregelt. Warum geht das nicht in der normalen Welt? Weil es aber auch im Arbeitskontext ganz anders kontrolliert werden kann. Aber auch da finde ich, funktioniert das. Und ich bin der Meinung, dass es schon auch noch viele andere Orte gibt, an denen Awareness-Teams vielleicht nicht schlecht wären. Wenn ich an ein Einkaufszentren denke, wo vor allem junge Leute dann sind und sich, wen sie von zu Hause raus sind, vielleicht auch ein bisschen überschwänglich mächtiger fühlen, als sie vielleicht sind und damit auch andere Leute einfach stören, dass man da auch gar nicht anklagend auf Menschen zugeht, sondern allgemein einfach guckt: "Geht es dir gut? Was Du gerade machst, ist das vielleicht nicht ganz so cool. Vielleicht redest du ein bisschen leiser. Vielleicht fährst du nicht mit dem Skateboard durchs Einkaufszentrum" oder so. Da sind wir jetzt sehr weit weg von der ganzen Kiste. Aber an sich finde ich es eigentlich ganz schön, in einer Gesellschaft zu leben, wo an jedem Ort irgendwie auch ein Team ist, das einfach darauf achtet, dass alle sich wohlfühlen.
ES: Für den Film habt ihr auch mit "MDR fragt" zusammengearbeitet. Das ist ein ein Meinungs- und Umfragetool vom MDR, wo man sich eben online anmelden kann und dann regelmäßig über bestimmte Themen mit abstimmen kann. Darüber haben wir auch schon mal in unserer Folge zu Organspenden im Mai gesprochen. Wie hat das denn bei euch funktioniert? Mit "MDR fragt" zu arbeiten?
KV: Das war einfach ein ganz großer Zufall. Weil während der Dreharbeiten ist das ganze Rammstein-Thema hochgekocht, mit dieser ganzen Row Zero und den Missbrauchs-Vorwürfen. Und deswegen haben wir aber auch mit dem Awareness-Team darüber gesprochen. Und zur selben Zeit, unabhängig von uns, hat "MDR fragt" diese Umfrage gestartet, ob es einfach jetzt vermehrt Awareness-Teams braucht, auf Konzerten und bei Veranstaltungen. Und das hat da einfach super gepasst. Und deswegen konnten und durften wir uns dieser Zahlen bedienen, sag ich mal.
ES: Und was haben die Zahlen euch gesagt?
KV: Es war ganz interessant. Also "MDR fragt" - das muss man immer dazu sagen - ist ja nicht repräsentativ, aber wissenschaftlich begleitet und gewichtet. Und es war schon krass, das zu sehen, weil im Prinzip es ging natürlich ein Großteil darum: Braucht es Awareness-Teams? Müssen sich Veranstalter in Zukunft darüber Gedanken machen? Und das war sehr deutlich, dass die ältere Gesellschaft, der ältere Teil der Befragten, dass die das nicht wirklich wichtig gesehen haben. Auch als die Fragestellung spezifisch darauf war: Braucht es mehr solcher Teams für junge Mädchen, Frauen und jüngere Leute? Die Älteren waren da eher so "Nö, sehe ich jetzt überhaupt nicht." Und bei den jüngeren Leuten hat sich dann schon deutlich auch abgezeichnet, dass die da eine sehr andere Meinung haben. Im Großen und Ganzen sehen es trotzdem nicht wirklich viele als relevant oder nötig. Aber es war schon deutlich abzeichnen, dass da so ein Generationen Unterschied ist, dass junge Leute da auch eher für sind.
ES: Hast du das auch im Feedback zum Film, also zum Beispiel in den YouTube-Kommentaren oder so, oder in Mails, die hier angekommen sind - hast du das da auch so wahrgenommen, dass es da so ein Generationenunterschied gibt?
KV: Das ist mir so an sich gar nicht so genau aufgefallen. Aber das muss ich natürlich noch dazu sagen: Nicht jede Person, die sich dann meldet, schreibt rein: ich bin so alt. Und gerade bei Kommentaren weiß man manchmal auch gar nicht, ist es eine männliche oder weibliche Person, eine non-binäre Personen, die hier antwortet. Von daher diesen Generationen-Unterschied in den Kommentaren, also im Nachhinein auf den Film, habe ich nicht so stark gemerkt. Was ich aber gemerkt habe, es sind wahnsinnig viele Frauen, die sich gemeldet haben, die dann gesagt haben: "Ach super, dass ihr darüber sprecht, das ist ganz wichtig. Ich kenne das auch. Ich habe das so und so erlebt!" Natürlich sagen auch Männer, dass sie das erlebt haben. Aber weitaus weniger, wenn man bedenkt, dass bei uns auf YouTube gerade auch die Community, vor allem auch männlich geprägt ist, fand ich das schon schön auch, dass sich die weiblichen Zuschauerinnen auch wohlgefühlt haben, zu kommentieren und zu sagen: "Mir geht es auch so."
ES: Genau. du hast dich jetzt lang mit Catcalls beschäftigt. Hast du denn jetzt so in der Rückschau darauf auf deine ganze Arbeit mit dem Thema ein Fazit? Gibt es eine Lösung auch, vielleicht?
KV: Ich glaube, eine universelle Lösung für Catcalling gibt es nicht, wobei ich es auch immer schwierig finde aus der Position als auch Betroffene eine Lösung zu finden. Was ich einfach gemerkt habe, als ich mit meinen Protagonistinnen gesprochen habe, aber auch mit den Leuten auf der Straße, dass einfach wahnsinnig wichtig, da drüber zu reden und auch immer wieder zu verbalisieren, dass das für viele Leute nicht in Ordnung ist. Und das es natürlich für manche auch cool sein kann, die können für sich entscheiden: Ich nehme das als Kompliment auf. Ich finde das nicht schlimm. Mich stört das nicht. Aber es gibt sehr viele Leute und da zähle ich mich jetzt auch dazu, die sich dadurch unwohl fühlen, die sich dadurch belästigt fühlen und die das ganz lange dann noch mit sich rumtragen und sich Gedanken machen. Und deswegen finde ich es wahnsinnig wichtig, dass man einfach immer wieder und immer darüber spricht. Und diesem Phänomen "ist da nicht so schlimm", dieser Grauzone einen roten Stempel aufdrückt, dass das nicht in Ordnung ist.
ES: Katharina Vorndran, danke dir!
Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Der Film, den Katharina Vorndran über Catcalling gemacht hat, den finden Sie in der ARD Mediathek und bei YouTube. Und bevor ich mich hier von ihnen verabschiede, habe ich natürlich noch einen Podcast-Tipp für Sie:
Brutale Überfälle auf Neonazis, umfangreiche Ermittlungen, ein Mammut-Gerichtsprozess und eine aufgeheizte Debatte über politische Gewalt. Mittendrin Lina E. Wer ist die junge Frau? Und in welchem Umfeld hat sie sich bewegt? Antworten gibt es in "Die Fascho-Jägerin?! - Der Fall Lina E. und seine Folgen" der neue Podcast des Mitteldeutschen Rundfunks, jetzt in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt
ES: Das war "MDR Investigativ - Hinter der Recherche" für diese Woche. Wir hören uns hier in 14 Tagen wieder. Machen Sie es gut!
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exactly | 03. Juli 2023 | 20:15 Uhr