MDRfragt Mehrheit hat große Probleme, Handwerker zu finden
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11. September 2023, 05:00 Uhr
Die Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmenden hatte in den letzten beiden Jahren Schwierigkeiten, für Arbeiten am Haus oder in der Wohnung passende Handwerker zu finden. Lange Wartezeiten und hohe Kosten werden als Hauptprobleme genannt. Jüngere sollten daher gezielter in Handwerksberufe gelenkt werden, etwa mit Praktika, sagen vier von fünf Teilnehmern. Das zeigt eine nicht repräsentative, aber gewichtete Befragung von MDRfragt unter mehr als 22.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
- Wartezeiten von mehreren Wochen oder Monaten sind kein Einzelfall. Manche MDRfragt-Mitglieder sind froh, wenn sie überhaupt einen Handwerker finden.
- Zwei von drei Handwerksunternehmen haben große Probleme, offene Stellen zu besetzen und können das Problem auch nicht durch Ausbildung lösen.
- Das Meinungsbild unter mehr als 22.000 Menschen aus Mitteldeutschland ergab: Bessere Löhne und gezieltere Ausbildung könnten helfen.
Das Haus für niedrigere Energiekosten dämmen, eine Photovoltaikanlage verbauen, die kaputte Waschmaschine reparieren, das Bad sanieren: Ohne Handwerker bleiben diese Arbeiten meist liegen. Doch viele Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben Probleme, für anstehende Reparaturen oder Bauarbeiten geeignete Profis zu finden. Viele sind froh, wenn nach Wochen oder Monaten Wartezeit überhaupt ein Handwerker vorbeikommt.
Von jahrelangen Wartezeiten berichteten auch mehrere MDRfragt-Mitglieder bei "Fakt ist!" aus Magdeburg. Und MDR-Reporter Stefan Ganß fragte im sächsischen Freiberg zugespitzt: Stirbt das Handwerk?
Zu hohe Kosten und lange Wartezeiten auf Handwerkertermine
Ein großer Teil der MDRfragt-Gemeinschaft hat den Eindruck, Handwerker seien zunehmend schwerer zu bekommen. Vier von fünf Befragten in unserer Umfrage geben an, sie hätten Probleme bei der Suche nach einem Profi für die anstehenden Arbeiten gehabt. Dabei unterscheidet sich die Lage zwischen ländlichen Regionen und Städten kaum. Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus ländlichen Regionen geben etwas häufiger an, sie hätten Probleme bei der Suche als Befragte aus Städten.
Lange Wartezeiten auf einen Termin für die Arbeiten sind aktuell offenbar das Hauptproblem. Davon berichten acht von zehn von den Befragten, die zuletzt einen Handwerker brauchten. Darunter ist auch MDRfragt-Teilnehmerin Simone aus Leipzig (53). Sie suchte einen Handwerker für ihre neue Wohnung: "Da benötigte ich einen Elektriker, der eine Überprüfung der Leitungen durchführt, bevor ich einziehen konnte. War aber keiner zu bekommen. Er kam vier Wochen nach dem Einzug." Ähnliche Erfahrungen machte auch Anett (52) aus dem Saalekreis: "Wir ließen ein Badezimmer renovieren. Das zog sich drei Monate lang hin, weil die Firma zwischenzeitlich auch auf anderen Baustellen und bei Havarien gefordert war." Für die Hälfte der MDRfragt-Mitglieder sind zudem hohe Kosten ein Problem bei der Suche nach einem passenden Handwerker. Oliver (39) aus Meißen wollte ein Hausdach sanieren lassen: "Ich habe zwar ein Angebot für die Dachsanierung bekommen. Aber es war völlig überteuert und hatte eher den Zweck, den Auftrag abzuwehren. Aber sicher gibt es noch genug Menschen, die es annehmen und die Unternehmen verdienen damit unverschämt viel Geld."
Man muss teilweise froh sein, überhaupt noch einen Handwerker zu bekommen. Da geht es längst nicht mehr um hohe Preise, sondern dass der Auftrag erledigt wird.
Aus Sicht von Annegret (59) aus Eisenach ist es manchmal gar nicht mehr möglich, die Preise verschiedener Angebote zu vergleichen. "Man muss teilweise froh sein, überhaupt noch einen Handwerker zu bekommen. Da geht es längst nicht mehr um hohe Preise, sondern dass der Auftrag erledigt wird." Das Kosten-Problem ist aus Sicht der MDRfragt-Mitglieder in den letzten beiden Jahren größer geworden. In einer ähnlichen Umfrage von 2021 gab jeder dritte Befragte an, vergleichsweise hohe Rechnungen für Handwerker-Arbeiten zu bekommen. In der aktuellen Umfrage berichtet davon fast jeder Zweite.
Handwerker finden keine Mitarbeiter, keine Lehrlinge, keine Nachfolger
Weil vielen Handwerksunternehmen Mitarbeiter fehlen, müssen sie Aufträge ablehnen oder können auf Anfragen gar nicht erst reagieren. Zwei von drei Unternehmen haben Probleme, offene Stellen zu besetzen. Das geben MDRfragt-Mitglieder an, die selbst als Maler, Klempner, Zimmermann oder in anderen Handwerksberufen arbeiten. Tinka (54) aus Meißen hat die Erfahrung gemacht: "Qualifizierte Mitarbeiter zu finden ist wie ein 6er im Lotto." Bei der Suche haben kleinere Unternehmen dann gegenüber großen Betrieben oft das Nachsehen. "Große Industriebetriebe werben mit teilweise überbezahlter Bandarbeit gute Fachkräfte vom Handwerk ab", berichtet David (32) aus Chemnitz.
Viele Handwerker können das Fachkräfteproblem für die kommenden Jahre auch nicht lösen oder wenigstens abmildern, indem sie eigene Mitarbeiter ausbilden. Mehr als die Hälfte der befragten Handwerker und Handwerkerinnen können freie Ausbildungsplätze nicht besetzen. "Auf sämtliche Stellenausschreibungen erhält man keine Bewerbungen", bedauert Marko (47) aus dem Vogtlandkreis. Thomas (49) aus Leipzig kann nach eigenen Angaben schon seit Jahren nicht mehr ausbilden: "Es sind keinerlei Bewerber vorhanden, welche das ernsthaft wollen. Ich bin als Ausbildungsbetrieb kein Lückenfüller für alle, die nach der Schulzeit nicht weiterwissen."
Zum Glück habe ich einen jungen engagierten Techniker als Nachfolger gefunden. Goldstaub!
Fast die Hälfte der Handwerksunternehmen kann die eigene Nachfolge nicht sichern, weil sie keine geeigneten Fachkräfte für die Firmenspitze finden oder dafür aufbauen können. Das kann in den nächsten Jahren dazu führen, dass es noch weniger Handwerker gibt am Markt als bisher schon. Gerd (66) aus Bautzen gehört zu denen, die ihr Unternehmen in gute Hände geben konnten: "Zum Glück habe ich einen jungen engagierten Techniker als Nachfolger gefunden. Goldstaub!" Wenigstens ist die Suche nach Fachkräften und Azubis in den Handwerksunternehmen zuletzt nicht noch schwieriger geworden. Darauf deutet der Vergleich der Umfrage-Ergebnisse mit einer MDR-Befragung von 2021 hin. Neun von zehn Befragten und damit deutlich mehr als in der aktuellen Umfrage berichteten damals über Probleme bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern. Bei zwei von drei Unternehmen war es schwierig, Ausbildungsplätze zu besetzen.
Gezieltere Ausbildung, höhere Löhne und mehr Anerkennung für Handwerksberufe nötig
Acht von zehn MDRfragt-Mitgliedern sprechen sich dafür aus, junge Menschen gezielter als bisher in Handwerksberufe zu lenken. Helfen könnten dabei Praktika während der Schulzeit oder eine gezieltere Berufsberatung. Gabriele (60) aus Bautzen argumentiert: "Viele Jugendliche wissen gar nicht, welche Talente in ihnen schlummern. Vielleicht wäre ein halbherziger Polizist dann doch eher ein leidenschaftlicher Kellner oder Klempner geworden." Ursula (69) aus Halle/Saale empfiehlt, sich dafür zumindest etwas am Bildungssystem der DDR zu orientieren: "Einführung von Werkunterricht, Handarbeit für alle Kinder von Klasse 3 bis 5, ab Klasse 6 ein praktischer Tag in der Produktion sowie theoretische Einführung in die Produktion. Das hat zu DDR-Zeiten den Kindern Einblick in verschiedene Berufe gegeben."
Eine große Mehrheit der Befragten spricht sich zudem dafür aus, Handwerksberufe in unserer Gesellschaft mehr anzuerkennen als bisher. Zu oft werde ein Studium höher geschätzt als eine Ausbildung. Diese Sicht findet sich in zahlreichen Kommentaren zum Thema und auch bei Heike (53) aus dem Saale-Orla-Kreis: "Ich habe drei Söhne und musste miterleben, wie Lehrer und Gesellschaft nur das Abitur und das anschließende Studium als privilegiert ansehen. Den Rest machen nur Loser. Das sollte endlich geändert werden." Ähnlich sieht es auch Heiko (54) aus Leipzig: "Für Gymnasien und Studienplätze müsste es sehr hohe Notengrenzen geben, damit durchschnittliche Schüler wieder Ausbildungsberufe in Erwägung ziehen und die Schulen wieder besser durchmischt werden!"
Ich habe drei Söhne und musste miterleben, wie Lehrer und Gesellschaft nur das Abitur und das anschließende Studium als privilegiert ansehen. Den Rest machen nur Loser.
MDRfragt-Teilnehmer Heiko spricht sich zudem wie ein großer Teil der Befragten dafür aus, die Arbeit in Handwerksberufen besser als bisher zu bezahlen. Dafür stimmen zwei von drei Befragten. Einige Handwerksunternehmen im Osten setzen inzwischen darauf, Nachwuchs im Ausland anzuwerben. Diesen Weg halten allerdings nur elf Prozent der Befragten in der aktuellen Umfrage für sinnvoll. Ebenfalls keine Mehrheit bei den MDRfragt-Mitgliedern finden Vorschläge, Handwerksberufe wo möglich durch flexiblere Arbeitszeitmodelle oder mehr Digitalisierung attraktiver zu machen: Vier-Tage-Woche oder einen späteren Arbeitsstart am Tag sehen nur 35 Prozent der Befragten als Lösung für das Nachwuchsproblem. Für eine stärkere Digitalisierung der Handwerksberufe sprechen sich 22 Prozent aus.
Dagegen könnten aus Sicht der Befragten mehr praxisorientierte Studiengänge in Handwerksberufen junge Menschen von einer Arbeit als Bäcker, Zimmermann, Elektriker oder Tischler überzeugen. Für diesen Weg stimmen sieben von zehn Teilnehmenden. Schon jetzt verbinden einige duale Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen Ausbildung und Studium. Wer Praxis und Theorie zusammen lernt, erwirbt nach etwas mehr als vier Jahren zum Beispiel den Gesellenbrief als Bäcker und den BWL-Bachelor zusammen. Oder kombiniert den Holztechnik-Bachelor mit dem Tischlerberuf.
Ich finde, die Studiengänge sollten sich eher am Erfolgsmodell der handwerklichen Ausbildung orientieren als umgekehrt. Das Handwerk bringt sowohl Abiturienten als auch Schulabbrecher zu einem höheren und gefragtem Abschluss. Welcher Studiengang kann da mithalten?
Christian (39) aus dem Vogtlandkreis weist darauf hin, dass in Deutschland der Berufabschluss als Handwerksmeister schon einem Bachelor gleichgestellt ist. Der Handwerksmeister enthalte aber zusätzlich noch einen großen Teil Praxiserfahrung. "Ich finde, die Studiengänge sollten sich eher am Erfolgsmodell der handwerklichen Ausbildung orientieren als umgekehrt. Das Handwerk bringt sowohl Abiturienten als auch Schulabbrecher zu einem höheren und gefragtem Abschluss. Welcher Studiengang kann da mithalten?" findet Christian. Georg (37) aus dem Landkreis Leipzig sieht das anders: "Man kann nicht alle durchschleifen. Die akademische Laufbahn verliert an Wert, wenn jeder die einschlägt."
Politik, Ausbilder und Verbände müssen gemeinsam etwas gegen Handwerkermangel machen
Aus Sicht der MDRfragt-Mitglieder müssen alle Beteiligten etwas tun, damit in Zukunft die Suche nach einem Handwerker nicht noch schwieriger wird als bisher. Dazu gehören Politik (69 Prozent der Befragten), Handwerkskammern (67 %), Schulen (65 %) und eben auch Ausbildungsbetriebe (62 %). Bei der letzten Befragung von 2021 dagegen fand die mit Abstand große Mehrheit, vor allem die Politik sollte etwas gegen den Handwerkermangel tun. Dafür sprachen sich damals sieben von zehn Befragten aus.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 11.08. – 14.08.2023 stand unter der Überschrift:
Lohnlücke Ost / West – untragbar oder unvermeidbar? – Themenbereich: Handwerk
Insgesamt sind bei MDRfragt 65.572 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 21. Aug. 2023, 16:57).
22.262 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.
Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 208 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.016 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 9.586 Teilnehmende
65+: 9.452 Teilnehmende
Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 11.226 (50,43 %)
Sachsen-Anhalt: 5.487 (24,65 %)
Thüringen: 5.549 (24,93 %)
Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 9.629 (43,25 %)
Männlich: 12.574 (56,48 %)
Divers: 59 (0,27 %)
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.
Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 11. September 2023 | 22:10 Uhr