Frau sitzt nachdenklich am Schreibtisch
Unverständlich und zu aufwändig: Gut die Hälfte der Befragten bei MDRfragt hat deshalb sogar schon einmal auf einen Antrag bei einer Behörde verzichtet. Bildrechte: picture alliance / dpa-tmn | Benjamin Nolte

MDRfragt Schlechtes Zeugnis für die Bürokratie

14. Mai 2024, 03:00 Uhr

Lange Bearbeitungszeiten, unverständliche Formulierungen und ein hoher Zeitaufwand: Für den Großteil der Befragten hat die Bürokratie in Deutschland noch viele Baustellen. Einige sehen deswegen sogar von der Antragsstellung ab. Der Wunsch nach mehr digitalen Alternativen ist groß. Das zeigt das Stimmungsbild beim Meinungsbarometer MDRfragt.

MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar
MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar Bildrechte: MDR / David Sievers

Die Bürokratie nimmt aus Sicht Vieler zu

Der Großteil der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer hat den Eindruck, dass der bürokratische Aufwand in Deutschland mit Blick auf die letzten drei Jahre deutlich zugenommen hat. Mehr als zwei Drittel der rund 21.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen teilen diese Einschätzung.

Aus Sicht von etwa einem Fünftel ist der Aufwand hingegen gleich geblieben und lediglich ein Prozent hat das Gefühl, dass dieser abgenommen hat.

EIn Diagramm zum Thema: Behördenzufriedenheit
Bildrechte: MDRfragt

Viele MDRfragt-Mitglieder berichten in den Kommentaren über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Bürokratie. Christine (60) aus dem Harz beobachtet, dass auch Kinder unter der zum Teil komplizierten Bürokratie leiden. Sie schreibt, dass "bei Familien, die Bürgergeld bekommen, viele Dinge beantragt werden müssen, die den Kindern zugutekommen sollen", jedoch sei es oftmals so, dass "Familien damit überfordert sind, da die Sprache kompliziert ist und verschiedene Ämter zuständig sind".

Vivia (41) aus dem Landkreis Stendal kritisiert zudem die Kleinteiligkeit bei verschiedenen Anträgen und kommentiert: "Jede Krankenkasse, jede Kommune, jedes Bundesland hat eigene Formulare, die sich noch dazu immer wieder ändern".

Der erste Brief, den mein Sohn nach seiner Geburt erhielt, war vom Finanzamt.

Norma (45) aus Halle (Saale)

Darüber hinaus hat Andrea (60) aus Magdeburg das Gefühl, dass "man erst einen Antrag auf ein Antragsformular" stellen muss. Aus Manuels (47) Sicht wäre schon viel gewonnen, "wenn man nicht alle Daten wieder von vorne eingeben müsste". Dem Leipziger fällt das immer wieder auf, wenn er Folgeanträge stellt oder Rückfragen äußert.

Und Norma (45) aus Halle an der Saale fasst den Zustand der Bürokratie in Deutschland mit einer kleinen Geschichte zusammen: "Der erste Brief, den mein Sohn nach seiner Geburt erhielt, war vom Finanzamt, das ihm (drei Wochen alt) mit der Anrede ,Sehr geehrter Herr Vor- und Zuname´ seine Steueridentifikationsnummer mitteilte. Deutscher geht es nicht."

Jeder Zweite hat schon einmal auf einen Antrag verzichtet

Tatsächlich hat jede oder jeder zweite Befragte nach eigenen Angaben schon einmal davon abgesehen, einen Antrag bei einer Behörde oder einem Amt zu stellen, weil der bürokratische Aufwand dafür zu groß schien. Für mehr als 40 Prozent war das jedoch noch nicht der Fall.

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Von der Forstwirtschaft über das Gesundheitswesen bis hin zur Ausbildung: Viele MDRfragt-Mitglieder haben schon in den unterschiedlichsten Bereichen auf Anträge verzichtet, da diese zu umständlich und aufwändig erschienen. Nicht wenige nehmen dafür große Nachteile in Kauf.

So hat zum Beispiel Eckardt (74) aus Chemnitz sein Ehrenamt als Naturschutzhelfer aufgrund von zu viel Bürokratie aufgegeben. Er hat mehrere kleine Schutzgebiete betreut und schreibt: "Als nach jedem Besuch der Gebiete ein mehrseitiges Formular ausgefüllt und ein detaillierter Bericht geschrieben werden musste, habe ich meine ehrenamtliche Tätigkeit aufgegeben."

Dieter (61) aus Nordsachsen hat zudem von Förderanträgen in der Forstwirtschaft abgesehen. Konkret ging es dabei um "die Aufforstung nach Sturm- und Trockenschäden". Er hat diese lieber "ohne Förderung und in leicht veränderter Form" durchgeführt.

Die Fragestellung ist teilweise so kompliziert, da kommt man sich wie ein Analphabet vor.

Magdalena (72) Vogtlandkreis

Auch Jana (45) aus Dresden verzichtet lieber auf eine Förderung. Eigentlich wollte sie ein Auto für ihren Mann rollstuhlfahrergerecht umbauen lassen und dafür eine finanzielle Unterstützung beantragen. Doch sie schreibt: "Da muss man so viel ausfüllen und alles ist kompliziert." Ihr Fazit: "Also lassen wir es und heben uns die Nerven für andere Anträge auf".

Ein MDRfragt-Mitglied (71) aus dem Landkreis Zwickau hat sogar von einer erneuten Beantragung eines Behindertengrades aufgrund einer Krebserkrankung abgesehen, da "es ein enormer Aufwand ist, alles auszufüllen".

Ein anderes Beispiel: Nana (52) aus Dresden hat auf den Wohngeldantrag für ihre Tochter, die derzeit ein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolviert, verzichtet und kritisiert: "Viel zu viele Formulare und Nachweise für eine geringe zu erwartende Unterstützung." Und auch Magdalena (72) aus dem Vogtlandkreis beschreibt den Wohngeldantrag als "blanke Katastrophe". Sie kommentiert: "Die Fragestellung ist teilweise so kompliziert, da kommt man sich wie ein Analphabet vor."

Zu zeitaufwändig und zu unverständlich

Tatsächlich teilen sehr viele MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer Magdalenas Einschätzung.

So sehen jeweils mehr als 80 Prozent der Befragten die größten Baustellen bei der Bürokratie vor allem hierbei: in umständlichen bürokratischen Formulierungen, langen Bearbeitungszeiten bei Behörden und den hohen Zeitaufwand für die Antragsstellung.

Darüber hinaus sind mehr als zwei Drittel der Ansicht, dass zu viele Vorgänge auf Papier erledigt werden müssen. Auch die hohen Kosten, welche die Bürokratie für Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und den Staat verursacht, werden mehrheitlich als Problem gesehen.

MDRfragt-Ergebnisse im Überblick

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Auch die Wartezeiten auf einen Termin bei Ämtern und Behörden und die dabei zu beachtenden Öffnungszeiten stehen mehrheitlich in der Kritik: 60 Prozent der Befragten finden, dass man zu lange auf einen Termin warten muss. Und wenn man ihn dann hat, reichen die Öffnungszeiten aus Sicht der Mehrheit kaum aus, um ihn wahrzunehmen.

Positives Feedback für die Mitarbeitenden von Ämtern

Doch ein Fazit fällt durchaus positiv aus: Mehr als drei Viertel der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer schätzen die Freundlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ämtern und Behörden. Allerdings: Kritik am Amtsdeutsch, auch durch das Personal, bleibt in den Kommentaren nicht aus. Diese Erfahrung musste beispielsweise Henry (72) aus Jena machen. Er erzählt: "Das Finanzamt schickte mir ein Schreiben, in dem viele, mir nicht geläufige Worte, aneinandergereiht waren. Ich schrieb zurück, dass sie mir doch bitte mit einfachen, verständlichen Worten mitteilen mögen, was sie von mir wollen. Die Antwort lautete, dass es gar nicht mit einfachen Worten ginge, da der Sachverhalt sehr kompliziert sei."

Passend dazu kommentiert Lars (51) aus Dresden: "Selbst als Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes habe ich den Rentenbescheid meiner Mutter nicht verstanden."

Darüber hinaus merkt Martin (69) aus Magdeburg an, dass einem das Amtsdeutsch auch zum Verhängnis werden kann. Seiner Ansicht nach erfordert der Verweis auf Paragrafen und Gesetze erhebliche Rechtskenntnisse. Er plädiert dafür, hin und wieder Einspruch einzulegen, da "eine andere Auslegung durch andere Mitarbeiter wahrscheinlich sein kann".

8 von 10 wünschen sich mehr Digitalisierung

Nicht unbedingt verständlicher, aber zumindest schneller könnten einige Anträge ablaufen, wenn diese digitalisiert werden. Bereits jetzt konnte knapp die Hälfte der Befragten nach eigener Aussage Zeit und Aufwand sparen, weil bestimmte Beantragungen online möglich waren.

Mit dem sogenannten "Onlinezugangsgesetz 2.0" sollen Bürgerinnen und Bürger ab 2028 das Recht auf digitale Verwaltungsleistungen sogar einklagen können. Eigentlich sollten im Rahmen der ersten Version des Onlinezugangsgesetzes bereits seit 2022 rund 600 Behördengänge digital möglich sein – dieses Ziel wurde jedoch verfehlt.

In der MDRfragt-Gemeinschaft fällt das Stimmungsbild dazu eindeutig aus: Insgesamt wünschen sich weit mehr als 80 Prozent, dass Behördengänge und Anträge grundsätzlich online abgewickelt werden können.

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In den Kommentaren erhält ein mögliches "Recht auf digitale Verwaltungsleistungen" durchaus großen Zuspruch. Auch Heike (61) aus dem Saalekreis befürwortet das Onlinezugangsgesetz und erzählt: "Die Öffnungszeiten unserer Gemeinde, die über 25 km von meinem Heimatort entfernt liegt, sind nicht gerade bürgerfreundlich. Ich musste einen halben Urlaubstag opfern, um den bald ablaufenden Personalausweis verlängern zu lassen."

Uwe (59) aus Chemnitz begrüßt digitale Alternativen ebenso. Zugleich merkt er jedoch an, dass viele Menschen nicht digital unterwegs sind und findet, "man sollte ihnen diesen Weg nicht aufzwingen".

Und Fabian (47) aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld ergänzt: "Ein Recht auf digitale Verwaltungsleistungen ist keine Pflicht, sondern nur ein Recht. Es ist schon gut, wenn die Möglichkeit der persönlichen Vorsprache neben dem dringend notwendigen digitalen Angebot weiterhin besteht, gerade für die älteren Generationen."

Online klappt es oft besser

Wer die digitalen Angebote freiwillig nutzt, spart dadurch oftmals Zeit und Nerven, das liest man in einigen Kommentaren der MDRfragt-Mitglieder. So schreibt beispielsweise Michael (68) aus Schmalkalden-Meiningen, dass "die Kommunikation mit dem Finanzamt dank ELSTER sehr gut klappt". Zudem findet er die Online-Funktion des Personalausweises sehr hilfreich.

Katrin (50) hat gute Erfahrungen mit digitalen Dokumenten gemacht, da so das Heraussuchen und Kopieren der Unterlagen wegfällt. Die Dresdnerin kommentiert: "Es kostet mich weniger Zeit und ich habe den Eindruck, dass die Bearbeitungszeit durch das Amt dadurch kürzer ist."

Auch Elke (62) aus dem Vogtlandkreis konnte ihren neuen Führerschein online beantragen und schreibt, dass sie dadurch Zeit und Fahrtkosten gespart hat. Und David (20) aus Erfurt begrüßt die digitale Krankschreibung, denn das sei "deutlich besser, als die Krankmeldung in den Briefkasten werfen zu müssen, wenn man krank ist."


Über diese Befragung Die Befragung vom 14. bis 19. März 2024 stand unter der Überschrift: "Bürokratie: Papier ist geduldig - Wir nicht?".

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 21.112 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 14. Mai 2024 | 20:15 Uhr