Flugabwehrraketengruppe 24 der Bundeswehr mit dem US-Waffensystem Patriot
Die Flugabwehrraketengruppe 24 der Bundeswehr. Sie nutzt das US-Waffensystem Patriot, das vom Boden aus gegen Flugzeuge oder Mittelstreckenraketen eingesetzt werden kann. Bildrechte: IMAGO / BildFunkMV

MDRfragt Große Mehrheit lehnt Stationierung von US-Raketen in Deutschland ab

21. August 2024, 03:00 Uhr

Zwei Drittel der Befragten sind gegen die Pläne, im Westen Deutschlands ab 2026 weitreichende Raketen und Hyperschallwaffen zu stationieren. Eine große Mehrheit fürchtet, die Stationierung könnte zu einem neuen Wettrüsten führen und Deutschland zu einem Angriffsziel machen. Das sind zwei Ergebnisse des aktuellen MDRfragt-Stimmungsbildes aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit fast 24.000 Befragten.

Pierre Gehmlich
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Die Pläne für die Waffenstationierung stoßen bei sehr vielen MDRfragt-Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf Ablehnung.

US-Waffensysteme - Stationierung in Deutschland
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Viele erinnern Stationierungs-Pläne an Wettrüsten im Kalten Krieg

"Schwerter zu Pflugscharen! Waffen sind nie ein guter Garant für Frieden", schreibt Ursula (71) aus dem Unstrut-Hainich-Kreis. Und Sabine (58) aus dem Landkreis Meißen kommentiert: "Es gab mal ein Motto: Frieden schaffen ohne Waffen". Die beiden MDRfragt-Teilnehmerinnen verweisen wie auch viele andere Befragte auf die Friedensbewegungen in den Jahren vor und nach 1980 als Reaktion auf das Wettrüsten im Kalten Krieg. Damals hatten sehr viele Menschen Angst, Europa könnte zu einem nuklearen Schlachtfeld werden. Auch Elke (68) aus Leipzig lehnt die Stationierung ab und verweist dafür ebenfalls auf die jüngere Geschichte: "Es darf nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen! Diese Gefahr besteht jedoch. Mehr noch: Die Gefahr eines Weltkrieges wächst damit stetig und davor habe ich Angst!" Einige Befragte weisen auf den INF-Vertrag hin, mit dem 1987 das Wettrüsten im Kalten Krieg beendet werden konnte. Im Februar hatten die USA das Abkommen aufgekündigt und das mit dem Vertragsbrüchen durch Russland begründet.

Die Gefahr eines Weltkrieges wächst damit stetig und davor habe ich Angst!

MDRfragt-Teilnehmerin Elke (68) aus Leipzig

Befürworter setzen auf Abschreckung

Danny (33) aus Dresden gehört zu dem Drittel der Befragten, die sich für die Stationierung der Waffensysteme aussprechen. Aktuell gebe es kein anderes Mittel der Abschreckung: "Das Vorgehen von Russland in der Ukraine hat leider gezeigt, was passiert, wenn jemand wie Wladimir Putin davon ausgeht, dass andere unentschlossen oder ungeschützt sind." Ähnlich argumentiert auch Astrid (58) aus dem Landkreis Bautzen: "Russland muss in seine Schranken gewiesen werden, da es so aussieht, als gäbe es sich nicht nur mit einem Ukraine-Krieg zufrieden." Die Zustimmung zu den Plänen für die US-Waffen fällt zwischen den Geschlechtern spürbar unterschiedlich aus. Nur jede vierte Frau ist für die geplante Stationierung (24 Prozent). Bei den Männern ist jeder Dritte dafür (36 Prozent). Mit dem Alter steigt offenbar auch die Ablehnung der Stationierungs-Pläne. In der Altersgruppe zwischen 16 und 26 Jahren stimmen vier von zehn Befragten den Plänen zu (38 Prozent). Bei allen über 65 Jahren sprechen sich nur knapp drei von zehn Befragten (26 Prozent) und damit im Vergleich deutlich weniger für eine Stationierung von US-Waffensystemen aus.

Stationierung US-Waffen - Zustimmung nach Alter
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Die geplante Stationierung von weitreichenden Raketen könnte zu einem Wettrüsten führen und Deutschland zu einem Angriffsziel machen. Das befürchten zwei Drittel der Teilnehmenden an der aktuellen Befragung. Sigrun (72) schreibt über ihre Angst, so könne Deutschland zwischen die Fronten geraten: "Die Amerikaner sind weit weg, aber Deutschland könnte vor einem ungewollten Krieg stehen." Felix (25) aus dem Erzgebirgskreis verweist darauf, dass unser Land doch bereits im Visier von Russland stehe. Er findet, Deutschland sei bereits Ziel von Cyberattacken, Desinformation, Spionage: "All das passiert schon und ist Teil eines hybriden Krieges." Nur jeder und jede Dritte ist der Ansicht, durch die Waffen-Stationierung erhalte Deutschland Schutz und werde in der eigenen Verteidigungsfähigkeit gestärkt (31 Prozent). Ein Viertel der Befragten findet, die US-Waffensysteme könnten der Abschreckung dienen (26 Prozent).

Stationierung US-Waffen - Mögliche Folgen
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Viele fordern politische Debatte zur geplanten Stationierung

Über die geplante Stationierung der Waffensysteme aus den USA kann die Bundesregierung selbst entscheiden und muss dafür nicht den Bundestag nach einer Zustimmung fragen. In den letzten Wochen hatte es Forderungen aus mehreren Parteien gegeben, bei einer so weitreichenden Entscheidung das Parlament mit einzubeziehen. Mehr als drei Viertel der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sind ebenfalls der Ansicht, die durch Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte Stationierung der Waffensysteme sei bisher nicht ausreichend in der Politik diskutiert worden. "Über jeden Fahrradweg wird mehr diskutiert. Hier sollen vollendete Tatsachen diskutiert werden", kritisiert Monika (64) aus Dresden. Almut (63) aus dem Landkreis Görlitz findet: "Hier wäre ein Volksentscheid notwendig gewesen für eine Entscheidung mit so einer Tragweite." Jeder und jede zehnte Befragte empfindet die Diskussion um das Waffenthema dagegen als ausreichend. "Solche militärischen Entscheidungen gehören nicht unbedingt in die Öffentlichkeit", kommentiert Heiko (57) aus dem Vogtlandkreis. "Es muss nicht jede Entscheidung bis zum Umfallen diskutiert werden, da es bei breiter Diskussion zu keinem Ergebnis kommen wird", findet Mario (44) aus Mittelsachsen. Allerdings, so sein Wunsch, müsse jede Entscheidung vernünftig erklärt werden.

Stationierung US-Waffen ausreichend politisch diskutiert
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Matrosen des U-Boot-Tenders USS Emory S. Land entladen eine Tomahawk-Rakete mit Audio
Matrosen des U-Boot-Tenders USS Emory S. Land (AS 39), Abteilung Waffenhandhabung, entladen eine Tomahawk-Rakete vom Schnellangriffs-U-Boot USS Asheville (SSN 758) der Los Angeles-Klasse. Bildrechte: picture alliance/dpa/U.S. Navy via DVIDS/Petty Off 2. Cl Zachary Grooman

Geteilte Meinung, wenn es um eigene Waffen der EU geht

Weniger eindeutig ist das Stimmungsbild in der aktuellen Befragung bei der Frage, ob die Länder in der Europäischen Union die eigenen Waffenarsenale ausbauen sollten. Auf dem Nato-Gipfel im Juli hatten die Verteidigungsminister von Deutschland, Frankreich, Italien und Polen eine Absichtserklärung unterzeichnet, gemeinsam Mittelstreckenraketen zu entwickeln. Die sollen Reichweiten bis zu 2.000 Kilometer haben. Damit könnten von Deutschland aus auch Ziele in Moskau angegriffen werden. Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmer an der Befragung (53 Prozent) lehnt die geplante Raketenentwicklung ab. Alexander (37) aus dem Wartburgkreis fordert mit Blick auf die Geschichte, Deutschland solle sich neutral verhalten: "Deutschland sollte sich angesichts seiner Vergangenheit weder an Kriegen noch an der Entwicklung sinnloser, gefährlicher Waffen beteiligen." Heike (69) aus dem Landkreis Leipzig fragt: "Sollte Deutschland nicht erst einmal eine handlungsfähige Bundeswehr aufbauen, ehe es in Entwicklung von Mittelstreckenraketen investiert? Denn was nützen und diese Waffen, wenn ich keinen habe, der sie bedient?"

Russland ist auf dem Kriegspfad nach Europa. Wollen wir ihm mit Messer und Gabeln gegenüber stehen?

MDRfragt-Teilnehmerin Kathrin (57) aus dem Vogtlandkreis

Kathrin (57) aus dem Vogtlandkreis gehört zu den Befragten, aus deren Sicht europäische Waffen entwickelt werden sollten. Sie begründet ihre Sicht so: "Die friedliche Phase in Europa ist ja offensichtlich vorbei, Russland ist auf dem Kriegspfad nach Europa. Wollen wir ihm mit Messer und Gabeln gegenüber stehen?" Cornelia (65) aus dem Erzgebirgskreis findet: "Die Verfügungsgewalt über die Waffen sollte immer in deutscher Hand bleiben, nicht unter amerikanischer Gewalt." Vier von zehn Teilnehmenden aus der MDRfragt-Gemeinschaft befürworten die Entwicklung von Mittelstreckenraketen in der EU selbst. Bei den Männern sprechen sich mehr Befragte (46 Prozent) als bei den Frauen (35 Prozent) dafür aus, das EU-eigene Waffenarsenal aufzurüsten.

Die Hälfte der Befragten für EU-Armee

Das Stimmungsbild ist auch geteilt bei der Frage, ob die Europäische Union eine eigene Armee braucht. Die eine Hälfte der Befragten spricht sich dafür aus (46 Prozent), die andere dagegen (49 Prozent). Frank (49) aus dem Landkreis Görlitz gehört zu den Befürwortern einer EU-Armee und begründet das so: "Für die europäische Verteidigung wäre eine europäische Armee unerlässlich, die von allen Staaten der EU finanziert wird. Dann könnten auch Rüstungsprojekte finanziert werden, die die einzelnen Staaten nicht stemmen könnten." Romy (45) aus Chemnitz spricht sich gegen eine EU-Armee aus, weil aus ihrer Sicht die Union schon jetzt deutlich zu viel Geld verschlinge: "Jede Entscheidung geht mit einem riesigen Verwaltungsaufwand einher und schafft keine Erleichterung, sondern macht alles noch umständlicher und inflexibler." Joachim (70) aus dem Landkreis Meißen begründet seine Ablehnung so: "Wir haben die Nato! Ist das nicht der Kern? Alles andere zersplittert die Militärkräfte."

Aufbau EU-Armee
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Während es sich bei der Europäischen Armee derzeit nur um eine Idee handelt, ist die Nato im Ernstfall tatsächlich für die Verteidigung Deutschlands zuständig. Zu dem Verteidigungsbündnis gehören aktuell mehr als 30 Länder in Europa, Nordamerika und Asien (Türkei). Eine Mehrheit der Befragten (56 Prozent) geht nicht davon aus, dass die Nato Deutschland effektiv verteidigen kann. Jan (25) aus dem Landkreis Hildburghausen hat den Eindruck: "Nicht nur die Bundeswehr hat massive Probleme, sondern auch andere Armeen des Bündnisses." Aus Sicht von Friederike (51) aus Dessau-Roßlau hängt die Sicherheit Deutschlands auch von der kommenden Wahl in den USA ab: "Man möchte sich das nicht ausdenken, wenn Trump nochmal an die Macht kommen würde und der Bündnisfall eintritt!" Der frühere US-Präsident hatte bereits Anfang des Jahres angedroht, die Länder nicht mehr zu schützen, die nicht genug für ihre Verteidigung ausgeben. Ähnlich sieht das Siegfried (59) aus dem Saale-Holzland-Kreis: "Die Entwicklungen in den USA zeigen, dass es absolut notwendig ist, mehr Unabhängigkeit von den USA zu erlangen. Je schneller je besser."

Mit einem Angriff Russlands würde die Nato zerfallen.

MDRfragt-Teilnehmer Hendrik (44) aus Leipzig

Hendrik (44) aus Leipzig fürchtet: "Mit einem Angriff Russlands würde die Nato zerfallen. Keiner würde einen Krieg mit Russland riskieren, wenn das Land nicht selbst angegriffen wird." Insgesamt denkt nur jeder und jede Dritte, dass die Nato in einem Ernstfall Deutschland effektiv verteidigen kann. Andreas (66) aus dem Erzgebirgskreis schreibt dazu: "Die Nato erscheint mir derzeit als einzige Militärkraft in der Lage zu sein, die militärische Abschreckung zu gewährleisten. Auch wenn ich weiß, dass einige Mitgliedsstaaten (z.B. Türkei) zwischenzeitlich völlig andere strategische Ziele haben." Im Langzeitverglich mit früheren Befragung zeigt sich: Das Vertrauen in das Verteidigungsbündnis hat dem seit dem Juli 2023 erkennbar abgenommen. Damals hatte noch knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) großes Vertrauen in die Nato.

Vertrauen in NATO beim Verteidigen Deutschlands sinkt
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Über diese Befragung Die Befragung vom 16. bis 19. August 2024 stand unter der Überschrift: "Mehr Waffen für mehr Sicherheit? Was bewirkt die Stationierung neuer Waffensysteme?".

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 23.811 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Der Radioreport | 21. August 2024 | 13:00 Uhr