MDRfragt Zukunft der Medizin sehen viele düster
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09. April 2024, 05:00 Uhr
Sieben von zehn Befragten aus Mitteldeutschland machen sich Sorgen um die medizinische Versorgung in den nächsten Jahren. Sie fürchten unter anderem weiter steigende Kosten und dass die Qualität der Behandlungen nachlässt. Die Befragung mit 21.000 Teilnehmern zeigt auch, dass die Furcht vor Verschlechterungen in der medizinischen Versorgung auf dem Land und in Sachsen-Anhalt größer sind.
- Vor allem die Verfügbarkeit von medizinischer Hilfe, aber auch steigende Kosten und möglicherweise nachlassende Qualität der medizinischen Versorgung sehen viele als Probleme.
- Mehrheit findet Sprechstunden über Video sinnvoll, um Versorgungsprobleme abzumildern
- Nur die Hälfte der Befragten sieht Nutzen von KI in Medizin
Schon jetzt reicht aus Sicht von vier von zehn Befragten die medizinische Versorgung vor Ort nicht aus. "Im Altmarkkreis sind kaum noch Fachärzte. Man muss immer hunderte Kilometer fahren", schreibt Nancy (44). Bei MDRfragt-Teilnehmer Ulrich (65) fehlen nicht nur Fachärzte. Im letzten Jahr hat in seiner Gemeinde die Hausarztpraxis zugemacht, aus Altersgründen. Bis jetzt konnte keine Nachfolge gefunden werden. "Hausärztliche Aufgaben erledigen jetzt die KV-Ärzte im Erzgebirgsklinikum Annaberg-Buchholz an zwei Tagen pro Woche, plus am Wochenende für je ein paar Stunden. Zeitiges Kommen sichert gute Plätze und überschaubare Wartezeiten", schreibt Ulrich.
Laut der aktuellen Befragung von MDRfragt gibt es bei der medizinischen Versorgung offensichtlich deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land: In den Städten sind 7 von 10 mit der aktuellen Situation zufrieden. In ländlichen Regionen dagegen sind das deutlich weniger. Nur etwa die Hälfte der Teilnehmenden (48 Prozent) zeigen sich hier zufrieden mit der Versorgung.
Mehrheit befürchtet weitere Verschlechterung bei medizinischer Versorgung
Die Probleme in der medizinischen Versorgung könnten noch größer werden als jetzt schon. Das sorgt eine deutliche Mehrheit der Teilnehmenden aus der MDRfragt-Gemeinschaft (71 Prozent). "Gerade Kinderärzte sind hier in der Region Mangelware. Viele sind schon sehr alt und gehen bald in Rente. Dann stehen wir mit kranken Kindern da und wissen nicht weiter", beschreibt Celine (24) aus dem Erzgebirgskreis ihre große Sorge für die kommenden Jahre. Eva (31) aus dem Landkreis Stendal weist auf einen weiteren kritischen Punkt hin: "Verfügbarkeit und Qualität hängen eng zusammen: Wenn ich die einzige Ärztin in einem bestimmten Fachgebiet im Umkreis bin, ist es egal, ob ich gute Arbeit mache, oder nicht, meine Praxis wird trotzdem gut besucht sein." "Meine Angst ist, dass ich im Alter die Kassenbeiträge und medizinische Zuzahlung oder generell medizinische Versorgung nicht bezahlen kann", schreibt Andrea (65) aus dem Landkreis Görlitz.
Diese drei Kommentare stehen stellvertretend für das, was besonders vielen Befragten Sorgen bereitet:
- Wer die Zukunft der Medizin eher pessimistisch sieht, hat dabei vor allem die Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung im Auge (95 Prozent).
- Zwei Drittel der Besorgten (69 Prozent) nehmen an, dass die Qualität der medizinischen Versorgung künftig nachlassen könnte.
- Etwas mehr als die Hälfte (56 Prozent) fürchtet steigende Kosten im Gesundheitssystem.
Und auch bei dieser Frage zeigt sich: Die Befragten aus ländlichen Regionen sind besorgter. Mehr als drei Viertel (78 Prozent) machen sich Sorgen, ob sie in Zukunft bei Krankheit oder Notfällen zeitnah gute Hilfe bekommen. In Stadtregionen äußern weniger Befragte (63 Prozent) diese Befürchtung. Auch zwischen den drei MDRfragt-Bundesländern gibt es deutliche Unterschiede: In Sachsen-Anhalt sind acht von zehn Befragten (80 Prozent) und damit im Vergleich die meisten besorgt. In Sachsen sind es zwei Drittel der Teilnehmenden (67 Prozent) und in Thüringen drei Viertel (74 Prozent).
Video-Sprechstunde: Nur für manche medizinische Fälle sinnvoll
Ärztinnen und Ärzte beraten über Video und stellen aus der Ferne eine Diagnose. Die sogenannte "Telemedizin" ist seit 2017 offiziell möglich und wird in ländlichen Regionen und auch im Notfalldienst schon angewendet. Die Mehrheit (60 Prozent) der Befragten findet Videosprechstunden sinnvoll. Dorit (27) aus Jena hat selbst schon positive Erfahrungen mit der Ergänzung herkömmlicher Sprechstunden gemacht: "Ich hatte einige Psychotherapiesitzungen online, weil ich bei meinen Eltern in einer anderen Stadt war und weil es mir zu schlecht ging, um mich um mich selbst zu kümmern. Das war zu weit, um für die Psychotherapie in den Studienort zu fahren." Auch kleinere technische Schwierigkeiten bei der Videosprechstunde waren aus ihrer Sicht kein Problem.
Richtig gut fand ich das nicht, da die betroffenen Hautstellen nur durch Fotos begutachtet wurden.
"Die Video-Sprechstunde beim Hautarzt war erfolgreich und auch praktisch mit Foto, zumal ich sonst keinen Termin bekommen hätte", schildert Gerda (76) aus dem Kyffhäuserkreis ihre Erfahrung. Marko (47) aus dem Vogtlandkreis gehört zu den Befragten, die Video-Sprechstunden kritisch sehen (37 Prozent). Er begründet das so: "Ich habe bereits an einer Video-Sprechstunde für Dermatologie teilgenommen, da man sonst keinen Termin bei den stationären Dermatologen bekommt. Richtig gut fand ich das nicht, da die betroffenen Hautstellen nur durch Fotos begutachtet wurden." Zudem habe die Zustellung des Rezeptes dann eine Woche gedauert. Die Akzeptanz für diese Variante der medizinischen Versorgung ist bei Jüngeren höher als bei Älteren. Bei Teilnehmenden unter 30 sehen zwei von drei Befragten Videosprechstunden positiv (73 Prozent). Bei allen über 65 Jahren macht das nur noch knapp die Hälfte (52 Prozent).
In vielen Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass einige Menschen von Video-Sprechstunden ausgeschlossen sein könnten. "Wenn ich an den ländlichen Raum denke, muss auch geschaut werden, wie sie sich dort die Bevölkerung zusammensetzt. Es sind vor allen ältere Menschen, es sind finanziell schwache Menschen, dazu kommen die technischen Probleme mit Blick auf die Internetanbindungen", schreibt Markus (45) aus der Börde. Reinhard (75) aus Suhl spricht in seinem Kommentar noch einen wichtigen Punkt an: "Beim Arztbesuch muss ich alle 3 Monate die Gesundheitskarte registrieren, wenn ich ein Rezept haben möchte. Wie geht das in der Video-Sprechstunde?"
Geteilte Sicht auf KI in der Medizin
Wenn aktuell über die Zukunft der Medizin gesprochen wird, geht es immer ganz schnell auch um "Künstliche Intelligenz", kurz KI. Computerprogramme können so trainiert werden, dass sie selbständig große Datenmengen medizinischer Daten analysieren und Muster erkennen. Damit können Mediziner und Medizinerinnen bei Diagnosen unterstützt oder Behandlungen von Krankheiten wie Krebs gezielt verbessert werden. In der aktuellen Befragung nimmt die Hälfte der Teilnehmenden an (50 Prozent), KI könnte die medizinische Versorgung insgesamt verbessern. "Solange die Daten anonymisiert in der Forschung verwendet werden, halte ich den Einsatz für sehr sinnvoll. Auch mit der Hoffnung, dass dadurch andere Methoden (Tierversuche) ersetzt werden können", schreibt Alex (24) aus Dresden. Roland (56) kommt ebenfalls aus Dresden und findet: "KI arbeitet sicher genauer und zielgerichteter, orientiert sich an Fakten und kann da sicher hilfreich sein. Sie kann aber nicht die vielen Faktoren, wie Gefühl, Motivation und Einstellung eines Menschen erkennen. Deshalb sollte KI unterstützend sein, aber nie die Einschätzung eines Arztes vorwegnehmen oder beeinflussen."
Ein Drittel der Befragten (37 Prozent) denkt nicht, dass selbstlernende Computerprogramme die medizinische Versorgung verbessern können. Jeder und jede Achte (13 Prozent) hat bei der Frage keine Angabe gemacht oder weiß es nicht. "KI ist ja quasi in aller Munde und scheint zum Heilsbringer gegen den immer akuter werdenden Personalmangel zu werden. Allerdings auf dem derzeit herrschenden Niveau der KI scheint es noch ein weiter Weg und die Gefahren überwiegen wohl noch die Chancen", fasst Hans-Jürgen (67) aus Nordsachsen seine Bedenken zusammen.
Eng verknüpft mit der Diskussion nach dem Nutzen von KI in der Medizin ist auch die Debatte um die Sicherheit von Patientendaten. Die sind beispielsweise für das Training der Computerprogramme nötig. Vier von zehn Befragten (39 Prozent) haben Bedenken, ob ihre Daten auch in einer zunehmend digitalisieren Medizin sicher sind.
Jan (24) aus dem Landkreis Hildburghausen schreibt: "Da Deutschland im Bereich der Digitalisierung aus meiner Sicht gegenüber anderen Ländern hinterherhinkt, habe ich Sorge, ob das nötige Know-how in Cyberschutz vorhanden ist oder konsequent angewendet wird." Ludwig (24) aus Chemnitz sieht die elektronische Patientenakte als großes Risiko. In der werden zentral medizinische Befunde und Angaben zu Behandlungen und Medikamenten gespeichert. "Was spricht gegen eine Speicherung auf der Gesundheitskarte? Da könnten Hacker nicht gleich Millionen von Daten stehlen, sondern immer nur ein paar."
Weitere wichtige Ergebnisse der Befragung in Kürze
- Das seit diesem Jahr neue E-Rezept für viele verschreibungspflichtige Medikamente kommt bei der Mehrheit der Befragten gut an: Knapp drei Viertel (73 %) befürworten die Einführung. Viele der Befürworter schreiben in ihren Kommentaren, das Rezept entlaste vor allem Menschen mit einem hohen Medikamentenbedarf.
- Befragte aus Medizin- und Pflegebranche befürworten Videosprechstunde stärker. Zwei von drei Befragten (68 Prozent), die nach eigenen Angaben in der Gesundheitsbranche arbeiten, sehen diese Art des Patientenkontakts positiv. Bei allen anderen befürworten im direkten Vergleich etwas weniger die Videosprechstunde (58 Prozent).
- MDRfragt-Teilnehmende aus dem Medizin- und Pflegebereich sind zurückhaltender bei der Frage nach dem Nutzen von KI. An den glaubt nur jede und jeder Dritte (36 Prozent). Dagegen sieht mehr als die Hälfte (52 Prozent), die nicht aus der Branche kommt, einen Nutzen von KI für die Versorgung von Patienten.
- Wer regelmäßig zum Check beim Zahnarzt geht, sich impfen lässt und Sport macht, bekommt Geld von der Krankenkasse zurück. Für sinnvoll halten solche Bonusprogramme 73 Prozent der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 25. bis 28. März 2024 stand unter der Überschrift: "Die Zukunft der Medizin – Wie soll sie aussehen?"
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 20.805 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein durchaus belastbares Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 09. April 2024 | 20:15 Uhr