MDRfragt Landtagswahlen lösen Sorge, Enttäuschung – und Hoffnung aus
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04. September 2024, 09:07 Uhr
Jetzt ist gewählt. Das vorläufige amtliche Endergebnis steht. Doch für viele Menschen in Sachsen und Thüringen bleiben nach dem Wahltag Fragezeichen und Ratlosigkeit. Im MDRfragt-Stimmungsbild liegen drei Gefühle vorn: Sorge, Enttäuschung – aber auch Hoffnung.
- Befragte blicken mit sehr verschiedenen Gefühlen auf den Wahlausgang.
- Dabei überwiegt die Unzufriedenheit damit, wie die politischen Kräfte im neuen Landtag jeweils verteilt sind.
- Es gibt mehr Zuspruch für eine Koalition mit eigener Mehrheit – aber auch Fans vom Modell Minderheitsregierung.
Sachsen und Thüringen haben neue Landtage gewählt – und die Ergebnisse lösen einem aktuellen MDRfragt-Stimmungsbild zufolge vor allem Sorge, Hoffnung und Enttäuschung aus.
Dabei entschieden sich die Befragten aus Thüringen etwas häufiger für Sorge aber auch Hoffnung als ihr vorherrschendes Gefühl. In Sachsen ist wiederum die Enttäuschung aber auch das Gefühl der Erleichterung etwas stärker ausgeprägt.
Was löst diese unterschiedlichen Gefühle aus?
Aus Thüringen äußern viele Befragte die Sorge, dass ihr Freistaat jetzt wirklich unregierbar wird: "Ich mache mir Sorgen, in welchem Thüringen ich die nächsten Jahre leben werde. Eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Partei wurde zur deutlich stärksten Kraft gewählt", meint Katrin (28) aus Jena und ergänzt: "Des Weiteren ist anzunehmen, dass die Regierungsbildung enorm schwierig wird."
Für Michael (31) aus dem Unstrut-Hainich-Kreis stellt sich die gleiche Frage mit anderen Vorzeichen: "Bei den Zahlen der AfD frage ich mich, wo diese in fünf Jahren liegt, wenn sie nicht an einer Regierung beteiligt werden – gegebenenfalls mehr Trotzwähler?"
Und Jan (25) aus dem Landkreis Hildburghausen sorgt sich um die gesellschaftliche Stimmung im Ganzen: "Ich frage mich einfach, ob eine tragfähige Regierung zustande kommt und sich die allgemein aufgeheizte Stimmung im Land abkühlt. Gefühlt gibt es zwei große Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstehen."
MDRfragt-Mitglied Felicitas (30) spricht kurz nach der Wahl von einem mulmigen Bauchgefühl. Wie sie das meint, hat sie in einem kurzen Interview erzählt:
Auch in Sachsen bereitet vielen Befragten der Wahlausgang Sorge: "Warum ändern die großen Parteien nicht ihre schlechte Arbeit? Nicht mit Meckern über die AfD ändert sich die Einstellung zu dieser Partei", glaubt Waltraud (68) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Im gleichen Landkreis wohnt auch Marc (41), der meint: "Das Ergebnis ist bedrohlich für Sachsens Wirtschaft und für unsere Freiheitsrechte."
Und Mandy (48) aus dem Vogtlandkreis schreibt: "Ich frage mich, wie es in unserem Land weitergehen soll, wenn mehr als 45 Prozent Populisten wählen." Aus Sicht von Michael (41) aus Leipzig droht angesichts der starken AfD sogar "vier Jahre Stillstand und eine Zusammenarbeit mit einer gesichert rechtsextremistischen Partei".
Was Enttäuschung auslöst
Monika (72) aus Dresden reagierte hingegen enttäuscht auf den Wahlausgang und schrieb: "Mal sehen, wie der Landtag am Ende zusammengesetzt wird. Sollte es so bleiben, ist das der Untergang." Und Holger (62) meint: "Es wird keine Regierung geben, die etwas verändert..."
Und Luca (25) aus der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt meint: "Ich hatte gehofft, dass das eigentliche Ergebnis von den Sonntagsfragen und allem abweicht. Leider ist es nur schlimmer geworden."
Manche sind enttäuscht, weil die ersten Wortmeldungen der Partei-Verantwortlichen in beiden Ländern darauf hindeuten, dass die CDU bei ihrer Ansage bleibt – und nicht mit der AfD zusammenarbeitet.
Das enttäuscht auch Kevin (36) aus Ilmenau, der uns in einem kurzen Interview sagte, für ihn sei das Wahlergebnis eindeutig: "Die, die zugelegt haben, haben eigentlich den Auftrag von den Leuten, zu regieren."
Was macht Hoffnung?
Doch es gibt auch einen beachtlichen Anteil an Befragten, die angaben: Hoffnung sei das Gefühl, dass sie jetzt vor allem empfänden. Zu ihnen gehört Lisa-Marie (22) aus dem Erzgebirgskreis, die schreibt, sie sei "hoffnungsvoll, dass sich endlich mal etwas verändert und Demokratie wieder zu Demokratie wird und somit keiner den anderen wegen unterschiedlicher Meinung wegstößt."
Anja (27) aus der Oberlausitz hat den 1. September als Wahlhelferin verbracht und meint, sie hätte erwartet, dass die Menschen noch radikaler wählen. Das habe sich zumindest in dem Wahllokal, in dem sie ausgezählt habe, nicht so bestätigt: "Natürlich im Endergebnis war es schon ein bisschen so, aber das hat mich jetzt positiver gestimmt und hoffnungsvoller für die nächste Regierungszeit", sagte sie im Gespräch.
Annekatrin (37) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge schöpft ihre Hoffnung daraus: "Die AfD ist nicht stärkste Kraft und BSW hat ein starkes Ergebnis." Michaela (40) aus dem Landkreis Bautzen meint: "Ich hoffe, dass die Grünen raus sind aus der Regierung."
Und MDRfragt-Mitglied Noah (19) aus dem sächsischen Auerbach hat im Interview erzählt, dass ihm konservative Werte wichtig sind. Er sieht durchaus die Chance, dass sich etwas ändert, sollte die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer künftig mit der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, zusammenarbeiten. Sicher ist sich der 19-Jährige da aber noch nicht: Das BSW sei einfach nicht so richtig einzuschätzen. "Was wollen die eigentlich so genau? Wofür stehen die?"
Manfred (87) aus Nordsachsen ist zumindest erleichtert: "Weil ich Angst hatte, dass die Demokratie gefährdet ist und mich nun freue, dass wir keine Thüringer Situation haben." Doch das ist nicht das einzige Gefühl, das den Sachsen umtreibt. Er schreibt uns, dass er es noch erlebt habe, wie in der Zeit des Nationalsozialismus Häftlinge durch sein Dorf getrieben wurden und meint: "Auch die Wut ist sehr groß über die politische Naivität von über 40 Prozent der Wahlberechtigten, die Unzufriedenheit mit Verantwortungslosigkeit beantworten. Und wie leichtfertig sie Leute wie Höcke wählen."
Unzufriedenheit überwiegt
Doch auch wenn noch unklar ist, welche Parteien die nächste Landesregierung bilden und wer ihr vorstehen wird, wollten wir schon einmal wissen, wie die MDRfragt-Gemeinschaft auf die Zusammensetzung des neuen Landtags blickt. Stand jetzt gibt es deutlich mehr unzufriedene als zufriedene Befragte.
So meint etwa Mirko (53) aus Dresden: "Es wird noch mehr uneins untereinander sein, statt gemeinsam für Sachsen zu arbeiten." Auch Sandra glaubt, das Ergebnis in Sachsen bringe "leider wohl Stillstand, weil Vieles blockiert wird von allen Beteiligten."
Für Enrico (28) aus dem Landkreis Nordsachsen speist sich die Unzufriedenheit aus dem Gefühl: "Es wird sich nichts ändern, weil die AfD ausgeschlossen wird von allen anderen Parteien." Genau das Gegenteil macht Martin (33) aus dem Landkreis Görlitz unzufrieden: "Ein Drittel der Bürger toleriert Rechtsextremismus. Das ist krass."
Für Eric aus Oberlungwitz in Sachsen hätte die Wahl hingegen schlechter ausgehen können. Er meint mit Blick auf die Ergebnisse: "Ich habe jetzt keine größeren Befürchtungen. Ich hoffe, dass die Brandmauer noch ein bisschen hält."
Vor der Wahl war der Mitte-Dreißig-Jährige noch nicht so entspannt, wie er im Interview erzählt:
Und in Thüringen ist sich Ramon (28) aus dem Eichsfeld sicher, dass der Wahlausgang im Freistaat mit der AfD von Björn Höcke als stärkster Kraft nichts verbessert: "Es wird sich nichts ändern mit einer AfD, die das Land runterwirtschaften wird."
Dagegen glaubt etwa Marko (28) aus Jena: "Wir bekommen einen Ministerpräsidenten, den keiner will." Er ist dafür, dass Thüringen wieder eine Minderheitsregierung bekommt und je nach Thema variiert, welche Fraktionen eine Mehrheit haben: "Wechselnde Mehrheiten sind gelebte Demokratie."
Lieber Koalition mit eigener Mehrheit als Minderheitsregierung
So wie Marko sieht das im MDRfragt-Stimmungsbild nur ein kleinerer Teil der Befragten: So ist im Moment der Anteil derjenigen, die lieber eine Landesregierung mit stabiler eigener Mehrheit hätten, mehr als fünf Mal so groß wie der Anteil derjenigen, die eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten besser fänden. Dieses Ergebnis zeigt sich sowohl bei den Befragten aus Sachsen als auch aus Thüringen.
So fürchtet etwa Nicole (49) aus dem Saale-Holzland-Kreis: "Wenn die Regierung nicht zum Regieren kommt, weil alle ständig mitreden willen, ist nichts gewonnen, und die AfD erhält noch mehr Zuspruch." Und Sandra (33) aus Erfurt meint: "Ohne stabile Mehrheit hat die AfD die Möglichkeit, viele Gesetze mit CDU beziehungsweise BSW durchzubringen. Dies wird unsere Demokratie aushöhlen."
Marc (34) aus Leipzig argumentiert ganz grundsätzlich: "In Krisenzeiten braucht es eine stabile Regierung." Für Carmen (61) aus Dresden gibt es schon eine Wunsch-Konstellation: "Ich wünsche mir CDU, SPD und BSW. Auf jeden Fall ohne Grüne."
Zu den Fans einer Minderheitsregierung gehört zum Beispiel Michael (42) aus dem Landkreis Zwickau, der schreibt: "Eine Minderheitsregierung ist meiner Meinung nach die bessere Wahl, weil dann alle miteinander arbeiten müssen und niemand ist in der sogenannten Opposition." Und Stefan (45) aus dem Landkreis Mittelsachsen denkt: "Bei einer Minderheitsregierung müsste sich die CDU mehr bewegen, um politisch gestalten zu können."
MDRfragt-Mitglied Anne (35) aus Waltershausen glaubt hingegen, dass es am Ende nach diesem Wahltag gar keine Regierung geben wird, sondern Neuwahlen:
Für Sachsen glauben viele Befragte, dass der alte Ministerpräsident wahrscheinlich auch der neue ist. Unter jenen, die das auch ganz gut fänden, findet sich ein Namensvetter: Michael Kretschmer (38) aus dem Landkreis Bautzen meint, er habe den Regierungschef Kretschmer schon persönlich getroffen und gesprochen – und schätzt den CDU-Politiker, "weil er die richtigen Ansätze hat. Er ist stringent, zielstrebig, steht hinter seinen Sachen", findet er. Und wie der Politiker Kretschmer hat auch das MDRfragt-Mitglied Kretschmer "bei den Grünen immer so ein Bauchgefühl". Im Interview erzählt er, warum er das BSW von Ex-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht für bessere Partner halten würde:
Insgesamt fällt das Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen für nicht wenige schlechter aus, als erwartet. Aus persönlicher Sicht hätte ein Drittel der Befragten aus Sachsen mit einem besseren Ergebnis gerechnet. In Thüringen sind es mit 42 Prozent noch einmal deutlich mehr.
Über diese Befragung
Die Blitz-Befragung "Gewählt - und jetzt?" vom 1. bis 2. September 2024 stand unter der Überschrift: "Gewählt – und jetzt?".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben insgesamt 18.205 Menschen aus Sachsen, und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Gewählt - und jetzt? | 02. September 2024 | 08:00 Uhr