
Forschungsprojekt Warum hat Corona so gespalten? TU Chemnitz forscht mit MDRfragt-Daten
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15. März 2025, 03:00 Uhr
Impfungen, Masken, Kontaktverbote: Über diese Themen wurde seit Februar 2020 in Deutschland viel diskutiert und auch gestritten. Die Corona-Zeit hat MDRfragt von Anfang an mit mehreren Befragungen begleitet. Die Stimmungsbilder aus der MDRfragt-Gemeinschaft werden jetzt anonymisiert in der wissenschaftlichen Forschung aufgegriffen. Ein Forscherteam der TU Chemnitz untersucht damit die Fragen: Wie wurde in sozialen Medien über Corona diskutiert? Wovon wurden die Diskussionen beeinflusst? Die ersten Ergebnisse haben die Forscher überrascht.
MDRfragt hat mit den Soziologen Manuel Holz, Jochen Mayerl und Peter Kriwy gesprochen. Sie gehören zum Forschungsteam der TU-Chemnitz, das auch mit Hilfe von MDRfragt-Daten untersucht, wie sich die Einstellungen von Menschen während der Corona-Pandemie verändert haben.
Ihr habt vor gut zwei Jahren ein Forschungsprojekt zum Thema Corona gestartet. Worum geht es da konkret? Was wollt ihr erforschen?
Manuel Holz: Während der Corona-Pandemie verbreitete sich neben dem Virus noch etwas anderes rasant: eine regelrechte „Infodemie“. Über Nachrichten, soziale Medien wie Twitter (heute: „X“) und Instagram strömten millionenfach Informationen zu Corona auf die Menschen ein – manche hilfreich, andere eher aus dem Bereich Fake News, teilweise mit dem Ziel der Desinformation.
Unser Forschungsprojekt will verstehen und erklären, was hier eigentlich passiert ist. Wir wollen herausfinden, wie sich öffentliche Debatten rund um die Pandemie auf sozialen Medien entwickelt haben und wie sie mit den Einstellungen der Menschen zusammenhängen. Konkret interessieren uns drei Forschungsfragen:
- Wie verliefen die Diskussionen über Corona in sozialen Netzwerken? Was wurde wann von wem behauptet?
- Wie entwickelten sich pandemiebezogene Meinungen und Einstellungen – zum Beispiel Angst vor Ansteckung oder die Bereitschaft, Schutzmaßnahmen einzuhalten?
- Gibt es einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen individuellen Einstellungen und dem Verlauf von Diskussionen auf sozialen Netzwerken? Beeinflussen Social-Media-Diskurse die Angst vor einer Infektion?
Dafür untersuchen wir große Mengen an Tweets und Social-Media-Beiträgen mit statistischen Analysen. Gleichzeitig benutzen wir Befragungsdaten, beispielsweise von MDRfragt, in denen Menschen etwa zu ihrer Angst vor einer Ansteckung, der Impfbereitschaft oder ihrem Vertrauen in die Regierung gefragt wurden.
Unser Ziel ist: Wir wollen besser verstehen, welchen Einfluss soziale Medien darauf haben können, wie Menschen in einer Pandemie-Situation agieren. Unsere Erkenntnisse sollen helfen, in zukünftigen Krisen bessere Kommunikationsstrategien zu entwickeln. Damit so viele Menschen wie möglich abgeholt und ihre Sorgen und Ängste besser verstanden werden. Und dass mit geeigneten Informationen darauf reagiert werden kann.

Sie haben es in der ersten Antwort schon anklingen lassen: Bei dem Forschungsprojekt arbeiten Sie auch mit Daten aus MDRfragt-Erhebungen zum Thema Corona, die anonymisiert wurden. Warum sind die MDRfragt-Daten für Ihre Arbeit so so interessant?
Peter Kriwy: Die Daten von MDRfragt sind ein zentrales Standbein unseres Projekts neben anderen Datensätzen. Wir haben uns für die Daten von MDRfragt entschieden, weil es die einzigen uns zugänglichen Daten waren, bei denen es bereits sehr früh Ergebnisse zur Corona-Situation gab. MDRfragt hatte bereits am 2. März 2020 erste Daten. Während die Corona-Umfragen der gängigen großen Umfrageinstitute erst Mitte März oder sogar erst im April starteten.
Dazu kommt, dass MDRfragt nicht einfach nach ein paar Monaten aufhörte, sondern mit relevanten Fragepaketen teilweise bis Mai 2022 weitermachte – und das mit vielen Messzeitpunkten dazwischen. Uns liegen keine Daten von anderen Umfrageinstituten vor, die so eine Dichte an Erhebungswellen über einen so langen Zeitraum haben.
Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Was können Sie an den Zwischenergebnissen ablesen?
Jochen Mayerl: Wir befinden uns mitten in der Datenauswertung, aber wir sehen schon spannende Muster! In der ersten Phase, also im ersten Corona-Winter und speziell im Frühjahr 2020, liefen Angst bei der Bevölkerung, Skepsis auf Twitter und die Infektionszahlen ziemlich synchron: Wenn die Infektionszahlen hochgingen, stieg auch die Angst in der Bevölkerung – und gleichzeitig nahm auch die Menge von skeptischen Inhalten auf Twitter zu.
Dann kam der Frühling und Sommer 2020. Die Infektionszahlen sanken da, die Leute hatten weniger Angst – aber interessanterweise nahm die Corona-Skepsis auf Twitter gerade in dieser Phase zu. Es scheint, als hätte die Skeptiker-Szene gerade in ruhigeren Zeiten besonders laut mobilisiert.
Und gegen Ende der Pandemie zeigt sich ein Bruch: Die Infektionszahlen stiegen noch mal, aber die Angst entkoppelte sich von den Infektionszahlen und nahm nicht mehr zu – wobei die Skepsis in den sozialen Medien auf einem stabilen Niveau blieb. Wahrscheinlich hat hier die Gewöhnung eine Rolle gespielt, ebenso wie die Impfungen und ein gewisser Ermüdungseffekt. Kurz gesagt: Die Beziehung zwischen Infektionszahlen, Angst und Skepsis hat sich über die Zeit gewandelt – und genau das versuchen wir jetzt noch mit detaillierteren Analysen zu verstehen.
Was hat Sie bislang am meisten überrascht?
Manuel Holz: Wir sehen zum Beispiel, dass die öffentliche Meinung und Wahrnehmung am Anfang einer Krise viel volatiler, also unbeständiger, sind. Zu Beginn war die Angst vor Ansteckung noch eng mit den Infektionszahlen verknüpft, später hat sich das entkoppelt. Das deutet darauf hin, dass sich am Anfang einer Krise Bevölkerungsgruppen mit bestimmten Meinungen und Wahrnehmungen erst herausbilden. Eine Art Sortierungsprozess, der sich über die Zeit stabilisiert. Das wirklich Spannende ist, dass wir diese Entwicklungen nicht nur in der Theorie vermuten. Wir können sie mit empirischen Daten nachzeichnen und belegen können.
Wie geht’s mit dem Forschungsprojekt weiter?
Manuel Holz: Langweilig wird’s auf jeden Fall nicht, es gibt noch eine Menge zu tun! In den nächsten Schritten wollen wir noch tiefer in die Daten eintauchen: Welche Rolle spielen politische Parteien oder Medienorganisationen bei der Verbreitung von skeptischen oder akzeptierenden Inhalten? Und wie reagieren Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Lebenssituationen auf das Pandemiegeschehen und die politischen Maßnahmen? Hier erwarten wir definitiv noch interessante Ergebnisse.
Besonders spannend ist, dass sich während unserer Projektlaufzeit neue Methoden entwickelt haben, gerade im Bereich KI. Beispielsweise wenn es darum geht, eine so große Menge an Tweets zu klassifizieren. Das hat früher Wochen oder sogar Monate gedauert. Heute lässt sich das an einem Vormittag mit Hilfe von KI-Modellen durchspielen. Diese neuen Anwendungsoptionen sind vielversprechend, müssen jedoch noch Qualitätsprüfungen unterzogen werden. Das eröffnet aber auf jeden Fall neue Möglichkeiten der digitalen Verarbeitung von Forschungsdaten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 17. Februar 2025 | 09:35 Uhr