Partizipation im Netz Kleine Gruppe, großes Publikum
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01. Juni 2021, 00:01 Uhr
Im Internet kommentiert nur eine kleine Gruppe von Menschen das Weltgeschehen. Die Verfasserinnen und Verfasser finden mit ihren Online-Kommentaren allerdings ein recht großes Publikum. Dabei bilden die Einlassungen die öffentliche Meinung nur unzureichend ab.
Die Zahl der Nutzerkommentare auf Nachrichtenseiten im Netz übersteigt die Vorstellungskraft. Allein die Online-Redaktion von Welt.de verzeichnete im Jahr 2020 nach eigenen Angaben durchschnittlich 650.000 Kommentare pro Monat – nur auf der Website wohlgemerkt. Das ZDF zählte auf den eigenen Social-Media-Kanälen im Jahr 2019 mehr als sieben Millionen Meinungsäußerungen. Verblüffend ist, dass für die enormen Zahlen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung verantwortlich ist.
Kleine Gruppe, viele Kommentare
Die Zahlen dazu gehen je nach Studiendesign und Fragestellung auseinander. So kam eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 zwar zu dem Ergebnis, dass sich die Hälfte der Internetnutzer ab 14 Jahren grundsätzlich an Online-Diskussionen beteiligt. Allerdings gaben dort lediglich neun Prozent an, dies häufig oder sehr häufig zu tun. In der ARD/ZDF-Onlinestudie 2020 sagten nur zehn Prozent der regelmäßigen Facebook-Nutzer, dass sie auf der Plattform Kommentare schreiben.
"Nur eine Minderheit schreibt Online-Kommentare", bilanziert der Kommunikationswissenschaftler Dr. Marc Ziegele. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Nutzerkommentaren im Internet, promovierte bereits 2015 zum "Diskussionswert von Online Nachrichten". Er nennt folgende Zahlen: "In Deutschland schreiben je nach Studie zwischen zwölf und 20 Prozent der Menschen zumindest selten Kommentare auf den Internetseiten oder den Social-Media-Seiten von Nachrichtenmedien."
Nur eine Minderheit schreibt Online-Kommentare.
Regelmäßige Kommentarschreiber, sogenannte 'Heavy User', gäbe es noch weniger, erklärt Ziegele, der als Juniorprofessor an der Heinrich-Heine-Universiät in Düsseldorf weiter zum Thema forscht. Gerade einmal ein bis drei Prozent der Bevölkerung schrieben einmal oder mehrfach in der Woche Online-Kommentare. Sehr wenige Menschen seien folglich für sehr viele Kommentare verantwortlich. "Etwa zehn Prozent der aktivsten Nutzer produzieren ungefähr 50 Prozent der Inhalte", überschlägt der Wissenschaftler.
Männlich, durchschnittlich gebildet, oft AfD-nah
Über die Verfasserinnen und Verfasser der Kommentare hat die Forschung einige weitere Erkenntnisse. Der durchschnittliche Schreiber eines Online-Kommentars auf einer Nachrichtenseite ist in der Regel männlich. Das zeigen verschiedene Untersuchungen. In der oben erwähnten Befragung der Landesmedienanstalt NRW sagten 58 Prozent der Männer, dass sie sich an Online-Diskussionen beteiligen. Unter den Frauen lag der Anteil nur bei 40 Prozent.
Beim Alter wiederum kommt es auf das Medium an. "In Social-Media-Kanälen sind die Kommentierer im Durchschnitt jünger, auf Nachrichtenseiten etwas älter als in der Gesamtbevölkerung", erklärt Kommunikationswissenschaftler Ziegele. So seien die Kommentarschreiber bei Facebook und Co. im Mittel ungefähr 39 Jahre alt, zehn Jahre jünger als im Zensus.
Keine Unterschiede gäbe es bei der Bildung. Sowohl auf Nachrichten-Websites als auch in den Social Networks spiegele sich das Bildungsniveau der Gesamtbevölkerung ungefähr wider.
Interessante Ergebnisse förderten Marc Ziegele und andere Fachleute bei der Frage nach der politischen Präferenz zu Tage. Sie fanden heraus, dass die Kommentierenden politisch überproportional der AfD nahestehen. Ziegele: "Menschen mit starker AfD-Präferenz sind häufiger in den Kommentarbereichen vertreten als in der Gesamtbevölkerung. In Umfragen liegt die Partei bei neun bis 12 Prozent. Bei den Kommentarschreibern sind es 15 Prozent."
Viele Motive
Doch was motiviert Menschen überhaupt, Kommentare im Netz zu hinterlassen? Hier zeigen Studien ein buntes Bild. Forscher Marc Ziegele fasst zusammen: "Manche Nutzer wollen ihrem Ärger Luft verschaffen. Andere kommentieren, weil sie ihre Meinung im öffentlichen Diskurs verfestigen wollen. Einigen geht es um Selbstdarstellung. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die wollen tatsächlich mit anderen in den Austausch kommen, weil sie nicht so viele soziale Kontakte haben oder weil sie mit den Menschen in ihrem Umfeld nicht über politische Themen diskutieren können oder wollen."
Der Fokus der Wissenschaft liegt momentan eindeutig beim Thema Hassrede. Konkret geht es etwa um Beleidigungen oder Bedrohungen. Hier kam eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Februar zu dem Ergebnis, dass die Verfasser solcher Kommentare vor allem eins gemeinsam haben: eine skeptische Grundhaltung dem Journalismus gegenüber – "bis hin zu einer tiefen Unzufriedenheit mit der Medienlandschaft und dem Gefühl, mit ihren Anliegen nicht gehört zu werden."
Bei der Studie wurden 22 Personen im Alter von 36 bis 70 Jahren interviewt, die regelmäßig "destruktive Kommentare" auf Nachrichtenwebsites veröffentlichen. Als tiefer liegende Motive erkannten die Forschenden unter anderem ein "Sendungsbewusstsein", das Verbreiten der "ganzen Wahrheit" oder den Spaß an der Provokation.
Viele Leser, großer Einfluss
Fakt ist, dass die Kommentierenden ein großes Publikum finden. Laut nicht veröffentlichter Ergebnisse der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen lesen knapp 40 Prozent der Deutschen zumindest einmal im Monat Online-Kommentare. 18 Prozent tun das mehrmals pro Woche. "Das Leserpublikum ist um ein Vielfaches größer als der Schreiberkreis", erklärt Marc Ziegele, der an der Mainzer Studie mitarbeitet.
Hier liegt nach Ansicht des Forschers ein Knackpunkt. Ziegele: "Relativ wenige Nutzer haben großen Einfluss, weil sie ihre Meinungen häufig und ausdauernd in die Diskussion geben. Verschiedene Studien zeigen, dass viele Lesende diese Kommentare zur Meinungsbildung heranziehen." Dabei sei jedoch davon auszugehen, dass die Online-Kommentare nicht die öffentliche Meinung abbildeten.
Hier setzt übrigens auch die praktische Kommunikationswissenschaft an. Verschiedene Forschende gehen aktuell der Frage nach, wie man mehr Menschen dazu bringen kann, sich an Online-Debatten zu beteiligen. Bisherige Studien zeigen etwa, dass eine sichtbare Moderation der Diskussion zum Mitmachen motiviert.
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