MEDIEN360G im Gespräch mit... Dr. Torsten Unger

11. April 2019, 15:59 Uhr

Als Kulturredakteur gehören Nachrufe zum journalistischen Alltag. Torsten Unger erzählt MEDIEN360G, wonach er Nachrufautoren auswählt und wie er zu Kritik in Nachrufen steht.

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MEDIEN360G: Warum besitzen viele Redaktionen vorbereitete Nachrufe vor?
Torsten Unger:
Journalismus lebt von der Schnelligkeit, vom schnellen Reagieren, vom aktuellen Reagieren. Wenn ich erst zwei Tage recherchieren müsste, um einen Nachruf zu schreiben, ist er nicht mehr interessant, dann kann ich den am nächsten Tag auch in der Zeitung lesen. Und deswegen bereitet man sich auch auf solche Situationen vor, dass man möglichst viele Nachrufe daliegen hat. Dann macht man sich eine Liste und fertigt Nachrufe an bzw. gibt Nachrufe in Auftrag, damit man eben nicht zu häufig überrascht wird.

MEDIEN360G: Wie wählen Sie die Nachrufautoren und -autorinnen aus?
Torsten Unger:
Es muss jemand sein, der auch gewissen moralischen Ansprüchen genügt, der durch einen Nachruf nicht Rache nimmt. So etwas ist ein Unding, so etwas darf nicht passieren. Es muss also jemand sein, der fair ist, integer und auch in der Lage, aus einem großen Wissen heraus, jemanden fair und gerecht zu beurteilen. Das Beste ist immer, wenn ein Autor einen Nachruf über jemanden schreibt, den er vielleicht persönlich gekannt hat. Die persönliche Bekanntschaft ist für einen Nachruf die beste Inspirationsquelle. Natürlich kann ich auch in Zeitungen, in Lexika und bei Wikipedia nachschlagen, aber die persönliche Bekanntschaft, jemanden erlebt zu haben, in seinem Umfeld noch - das ist durch nichts zu ersetzen.

MEDIEN360G: Was denken Sie über Kritik in Nachrufen?
Torsten Unger:
Normalerweise werden in Nachrufen keine kritischen Töne angeschlagen. Es sei denn, der Verstorbene ist von Beruf Spitzbube gewesen oder Massenmörder, dann kann man das natürlich nicht weglassen. Aber sagen wir mal Schriftsteller, Politiker, ehemalige Bundeskanzler, Helmut Kohl und so weiter, der sicher auch dunkle oder negative Seiten in seiner Persönlichkeit hatte. Spendenaffäre – das war nicht so eine Sternstunde seiner Bundeskanzlerschaft. Das kann man deshalb auch nicht verschweigen, aber ansonsten hält man sich schon daran, einen Verstorbenen zu würdigen und nicht, ihn zu kritisieren.