Interview mit Lisa Dittmer Social Media als Konkurrent zum Journalismus?
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26. September 2022, 12:51 Uhr
"Es verlangt eine hohe Medienkompetenz, die Bilder zu hinterfragen", sagt Lisa Dittmer, Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen, im Interview mit MEDIEN360G. Weiterhin spricht sie darüber, inwiefern die sozialen Medien eine Konkurrenz zum klassischen Journalismus darstellen können.
Lisa Dittmer: Unsere Wahrnehmung von Krieg ist natürlich auch wahnsinnig davon geprägt, durch welche Medien wir die Bilder konsumieren, die im Krieg entstehen. Das hat sich dramatisch geändert. Also, spannenderweise ist die erste Kriegsfotografie ausgerechnet auf der Krim tatsächlich entstanden. Im Krim-Krieg in den 1850er Jahren wurden von einem britischen Fotografen die ersten Bilder vom Krieg geschossen. Damals waren Kameras noch viel zu langsam, als dass man wirklich das Live-Geschehen hätte aufnehmen können. Aber man konnte zumindest das, was übrig blieb, die Kriegsfelder zum Beispiel, aufnehmen. Und das hat sich dann natürlich wahnsinnig geändert mit den ersten leichten Kameras, mit denen man auch mobil unterwegs sein konnte. Der spanische Bürgerkrieg hat das erste Mal auch so die Gräuel des Krieges gezeigt. Im Zweiten Weltkrieg sehen wir dann natürlich auch die Nutzung von Propaganda, also dass Kriegsbilder natürlich nicht immer auch Anti-Kriegsbilder sein müssen, sondern ganz oft natürlich dieselben Bilder auch benutzt werden können, um Kriege zu rechtfertigen.
MEDIEN360G: Und später?
Lisa Dittmer: Dann haben wir mit dem Vietnamkrieg natürlich eine dramatische Entwicklung in dem Sinne, dass das erste Mal Menschen jeden Abend Berichte aus dem Krieg sehen, die Realität auch sehen, durchaus auch die Gräuel des Krieges wahrnehmen. Parallel Kriegsfotografie, die uns, glaube ich, allen auch in Erinnerung bleibt. Wirklich Bilder, die bleiben, die einen verfolgen. Beispielsweise das Mädchen, das vor der Napalm-Attacke flieht. Das sind Bilder, die kennt auch meine Generation, die lange nach dem Krieg geboren ist. Und dann im Irak-Krieg beispielsweise haben wir das erste Mal Embedded Journalism, also Journalisten, die mit dem Militär mitreisen effektiv. Die den Krieg live aus der militärischen Perspektive verfolgen mit dem Positiven und dem Negativen, was das mitbringt. Einerseits natürlich ein ganz anderer Zugang natürlich zum Krieg: das Live-Geschehen wird verfolgt. Das ist nahbar in dem Sinne. Aber es ist natürlich auch geprägt von dieser militärischen Perspektive, die oft auch verherrlichen kann, was an Gräueltaten geschieht oder was auch die alltägliche Bevölkerung in ihrem Alltag so erlebt. Und jetzt haben wir eben mit dem Ukraine-Krieg das erste Mal auf einem ganz anderen Level eine junge Generation, die über die sozialen Medien verfolgt, was der Krieg im Alltag ausmacht von jungen Ukrainerinnen und Ukrainern. Im Bunker. Auf der Straße. Was das Leben gerade prägt.
MEDIEN360G: Was bedeutet das für den Journalismus?
Lisa Dittmer: Also, es schafft natürlich auch Konkurrenz. Das muss man schon sagen. Es schafft einerseits neue Möglichkeiten, neue Perspektiven. Auch da, wo Journalisten gerade aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr hinkommen, sehen wir weiterhin Bilder, kriegen wir weiterhin Zugang dazu, was den Alltag gerade ausmacht. Andererseits schafft es eben eine Konkurrenz in dem Sinne, dass es nicht mehr allein Journalistinnen und Journalisten sind, die entscheiden, was wir wahrnehmen. Das schafft eine gewisse Spannung.
MEDIEN360G: Welchen Einfluss haben Medien auf den Krieg?
Lisa Dittmer: Naja, unsere mediale Wahrnehmung von Krieg hat natürlich auch einen Riesen-Effekt auf politische Entscheidungen. Wir sehen gerade, dass Druck aufgebaut wird, dadurch dass wir tagtäglich sehen, was Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrem Alltag erleben müssen. Das schafft Druck. Diesen CNN-Effekt hat man schon in den 90er Jahren beschrieben: Dass Gräueltaten eben wahrgenommen werden. Dass sie eine moralische Verpflichtung entstehen lassen. Dass sie Druck aufbauen in dem Sinne, dass wir als alltägliche Bürgerinnen und Bürger viel näher dran sind am Schicksal der Menschen. Genauso kann man das aber natürlich auch im gegenteiligen Sinne benutzen: Russland weiß sehr genau, wie es Propaganda betreibt, wie es durch Bilder ganz andere Narrative erzählen kann, ganz andere Darstellungen des Krieges schafft, die unserer im totalen Gegenteil entgegensteht.
MEDIEN360G: Wie beeinflusst der WarTok Journalisten?
Lisa Dittmer: Also, ich glaube, das ist schon eine Versuchung, dem natürlich auch nachzugeben. Wir sind immer noch alle Menschen. Auch als Journalistin oder Journalist nimmt man Bilder wahr, fühlt sich vielleicht hingezogen zu den Menschen, fühlt dem nach. Aber es ist eine zentrale Aufgabe, dass man das dann hinterfragt. Dass man wahrnimmt vielleicht, dass man diese Gefühle hat, dass man sich auch hereinziehen lässt in dem Sinne in eine spezielle Perspektive, die vielleicht nicht das große Ganze darstellt. Und dass man sich dem dann aktiv auch wieder entzieht. Dass man es einordnet für sich selbst, bevor man es für das Publikum einordnet.
MEDIEN360G: Was ist speziell an TikTok?
Lisa Dittmer: TikTok hat so eine ganz eigene Sprache. Im positiven Sinne: Vielleicht erreicht man auch junge Leute auf eine andere Art und Weise. Es schafft einen Alltag, den man sonst gerade in der Kriegsberichterstattung eigentlich gar nicht so sieht. Aber die Versuchung ist eben auch groß, dass alles emotionalisiert ist, dass man mit Popmusik auch banalisiert, was dort passiert. Und ich glaube, da ist die Grenze auch oft verschwimmend.
MEDIEN360G: Wie kann man damit umgehen?
Lisa Dittmer: Das Entscheidende an den sozialen Medien ist natürlich, dass sie eigentlich nur ergänzen können, was der Journalismus zusätzlich leisten soll: eben diese Einordnung. Jetzt versuchen natürlich TikTok und Co., die Unternehmen, ein bisschen ihrer Verantwortung gerecht zu werden, indem sie dem Factchecks entgegenstellen etc. Aber kann das wirklich leisten, was eine Zeitung oder die Tagesschau abends leistet? Wahrscheinlich nicht. Aber es ist einfach ein ergänzendes Material. In dem Sinne ist es positiv. Aber es verlangt eben auch eine hohe Medienkompetenz, die Bilder allein nicht einfach für sich zu nehmen, sondern zu hinterfragen: Was sehe ich da? Und oft kann man, glaube ich, im Alltag gar nicht nachvollziehen: Sind das jetzt authentische Bilder? Werde ich da gerade manipuliert?