Medien und Corona Nutzer bewerten Berichterstattung
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17. Mai 2022, 13:33 Uhr
Medien sind für die Menschen da. In ihrem Auftrag berichten, kommentieren, analysieren und unterhalten sie. In der Corona-Krise standen und stehen Presse, Fernsehen, Radio und digitale Nachrichtenanbieter vor besonderen Herausforderungen. MDR MEDIEN360G hat die Nutzerinnen und Nutzer gefragt, wie sie die Arbeit der Medien bewerten - und ob sich in der Pandemie ihr eigenes Mediennutzungsverhalten geändert hat.
Mediennutzung wird mit vielen Methoden gemessen. In der Pandemie ist die Nutzung der klassischen Medien wie Presse, Fernsehen, Radio und ihrer Angebote im Netz deutlich gestiegen. Doch was sagen solche Zahlen darüber aus, ob die Menschen mit diesem Angebot zufrieden sind und wie sie es bewerten? So gesehen, war und ist die Corona-Krise auch ein großes Medienexperiment. Welche Rolle spielen die Medien nach Ansicht ihrer Nutzerinnen und Nutzer hier? Wie war bzw. ist es um ihre Haltung bestellt? Welche Auswirkungen hat die gesellschaftliche Diskussion über Corona-Maßnahmen und ihre Darstellung in den Medien? Die seit dem Frühjahr 2020 deutschlandweit stattfindenden "Querdenker"-Demonstrationen haben ein Misstrauen gegen Medien gezeigt, das bis heute immer wieder in extrem pressefeindliche Stimmung und gewalttätige Übergriffe mündet. Deshalb haben wir in Kooperation mit MDRfragt im Februar Nutzerinnen und Nutzer direkt befragt, wie sie die Berichterstattung fanden und ob sie Medien heute anders nutzen - oder andere Medien nutzen als vor der Pandemie.
Mehr zu unserer Befragung über MDRfragt
Die Befragung vom 17.02.- 22.02.2022 stand unter der Überschrift: Russland-Ukraine-Konflikt – Entwarnung oder Eskalation?
Insgesamt sind bei MDRfragt 58.252 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 22.02.2022, 11.00 Uhr). 35.814 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben. Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben
Zwei Drittel positive Stimmen, aber auch harsche Kritik
Auf der einen Seite fällt das Ergebnis sehr deutlich aus: Rund zwei Drittel, die bei unserer MDRfragt-Befragung antworteten, fühlten sich gut und ausreichend über Corona informiert.
Sogar drei Viertel der Teilnehmenden fanden eine faktenbasierte, aktuelle Berichterstattung besonders wichtig, während sich nur wenige eine stärkere Kommentierung der Coronakrise wünschten.
Ich lese eine überregionale Zeitung und informiere mich über Politik bei den öffentlich-rechtlichen Medien. Ich habe schon den Eindruck, dass die Journalisten sehr verantwortungsvoll mit ihrer Aufgabe umgehen.
Bei der konkreten Bewertung des Angebots ergab sich aber zum Teil auch sehr deutliche Kritik. Kritisiert wurden "einseitige Darstellungen" und die Präsentation angeblicher "Halbwahrheiten" sowie das "Weglassen entscheidender Fakten".
Zeitweise wurde in verschiedenen Medien mit einseitigen Darstellungen, Halbwahrheiten und dem Weglassen entscheidender Fakten operiert. Das hat das Vertrauen in diese Medien stark erschüttert. Vor allem das Kommentieren von Informationen ist extrem problematisch. Die Meinung von Redakteuren sollte nicht zu einer sachlichen Berichterstattung dazu gehören. Dafür wäre ein kritisches und tabufreies Hinterfragen sehr hilfreich.
Jan Fleischhauer kritisierte schon 2020 Einseitigkeit
Ganz in diese Richtung äußerte sich schon vor zwei Jahren Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer. Im MDR MEDIEN360G-Interview kritisierte Fleischhauer, dass abweichende Meinungen bei Corona zu wenig geduldet, dafür viele Journalisten zu Aktivisten einer vermeintlich guten Sache wurden.
Auch andere Stimmen kritisierten eine wahrgenommene "Einseitigkeit", die sich in den immer gleichen Expertinnen und Experten und dem Fehlen von Gegenmeinungen zeige und zu einem neuen Medienverhalten führten.
Weg von den öffentlich-rechtlichen Sendern, mehr Nutzung des Internets, Faktensammlung, Eigenkompetenz steigern, ARD, ZDF, nTV, Welt kann man nur abschalten: einseitige Berichterstattung, immer die selben "Experten", keine Gegenmeinungen.
taz-Chefredakteurin Barbara Junge: Anbiedern bleibt tabu
taz-Chefredakteurin Barbara Junge kann diesen Eindruck nicht nachvollziehen. MDR MEDIEN360G hatte schon 2020 zu Beginn der Pandemie mit Junge über die Herausforderungen für Journalistinnen und Journalisten gesprochen. Fast exakt zwei Jahre später zieht Junge jetzt eine gemischte Bilanz. "Die Corona-Berichterstattung war am Anfang tatsächlich zu unkritisch. Ich denke, dass würden die meisten Medien heute im Rückblick so formulieren. Hier muss etwas repariert werden, da sind wir auch dran. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass dies von den Menschen auch anerkannt wird und sie sich fragen, ob ihre zum Teil äußerst harsche Kritik noch angemessen ist." Medien müssten auf Basis der Fakten und wissenschaftlicher Erkenntnisse berichten, so Junge. "Wir können nicht alle Emotionen bedienen, auch wenn sich das viele gewünscht hätten". Doch ein solches "Anbiedern" sei für Journalistinnen und Journalisten tabu, "denn dann sind wir nicht glaubhaft."
Der "Medienmix" nimmt zu
Bei manchen Menschen wurde die Zahl der genutzten Medien, der so genannte "Medienmix", größer. Gleichzeitig wurde die Rolle des Internets und hier vor allem von Social-Media- und Messenger-Diensten betont.
Das Handy {ist} mehr als sonst mein täglicher Begleiter, um mich schnellstmöglich über Änderungen und aktuelle Informationen zum Thema Corona und den dazugehörigen Maßnahmen zu informieren. Ebenso versuche ich mich auf unterschiedlichen Nachrichtenportalen und Sendungen zu informieren, um auch verschiedene Ansichten und Meinungen zur Situation zu erhalten, um diese dann für mich zu ordnen und ggf. nochmals selbst zu recherchieren und Quellen zu finden.
Seit der Pandemie nutze ich Telegram ausgiebig. Bestimmte öffentliche Gruppen geben Einblicke in Inhalte, die so nicht in den Medien geboten werden. Diese dienen als Ergänzung zur etablierten Berichterstattung und können abgeglichen werden. (…) So wird man auf Dinge aufmerksam, die so nicht unbedingt gleich zu finden sind.
Corona zu präsent, andere Themen kommen zu kurz
Kritisiert wurde aber auch, dass das Thema Corona "ständig präsent" sei und "darunter viele andere interessante Themen leiden", weil sie weniger oder gar nicht mehr vorkämen, meint beispielsweise Manuela M. aus dem Landkreis Leipzig. Während ein Teil der Befragten wie oben beschrieben die Berichterstattung teilweise bemängelten, weil sie die Anliegen von Corona-Kritikerinnen und -Kritikern zu wenig berücksichtigt fanden, gab es auch ganz gegenteilige Stimmen.
Ich meide Medien, die sich zunehmend auf die Sorgen und Ängste der Coronaleugner und Wissenchaftsfeinde konzentrieren. False Balancing, gepaart mit faktenuntergrabendem Click-Baiting haben den Diskurs viel zu weit von der Realität weggeschoben, und diese Medien sind dafür mitverantwortlich.
Ein oft auszumachender Grundtenor blieb aber die vermeintliche Einseitigkeit, wie sie diese Antwort einer Teilnehmerin an der MDRfragt-Befragung formuliert und ihre Konsequenzen zieht:
Leider haben sich die Öffentlich-Rechtlichen von einer kritischen Frageweise weit entfernt. Ich schau mir wenig Nachrichten an, da weder hinterfragt, noch kritisch nachgefragt wird. Es wird einfach stupide weitergegeben ohne andere Meinungen zu Wort kommen (zu) lassen. Es werden nur noch Systemfreundliche zu Talk Shows eingeladen, Kritiker finden hier gar kein Platz mehr. Ihr müsst euch nicht wundern das man sich auf den sozialen Medien informiert.
Glaubwürdigkeit hat durch Corona abgenommen
Solche kritischen Haltungen belegt auch die Studie "Journalismus und Demokratie" des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund. Danach sind 41 Prozent der Bevölkerung der Meinung, die "Glaubwürdigkeit des Journalismus habe durch die Corona-Berichterstattung abgenommen". Dass sich Glaubwürdigkeit in der Pandemie erhöht habe, sagen dagegen nur 8 Prozent. Der Leiter der Studie, Prof. Michael Steinbrecher, nennt das einen "alarmierender Wert" und weist darauf hin, dass sich in der Befragung auch gezeigt habe, dass mehr als ein Drittel der Befragten glaubt, journalistische Inhalte würden vor allem "von den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft" bestimmt. "Wenn sich diese Positionen verfestigen, kann dies auf Dauer die Akzeptanz des Journalismus in seiner demokratischen Funktion beschädigen", so Steinbrecher.
Politik pfui, Wissenschaft hui
Die nach dem Spiegel-Gründer benannte Rudolf Augstein Stiftung stellt den Medien ein besseres Zeugnis aus. In ihrer Studie unter der Fragestellung "Einseitig, unkritisch, regierungsnah?" heißt es, die Medien hätten insgesamt überwiegend sachlich über die Pandemie berichtet. Allerdings seien die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in den meisten Medien als angemessen oder sogar als nicht weitreichend genug bewertet worden. Sicherheit stand also im Vordergrund. Dass die Maßnahmen zu weit gingen und Freiheitsrechte zu stark eingeschränkt wurden, "war in den Medien eher eine Minderheitenposition, die allerdings quantitativ durchaus ins Gewicht fiel", so die von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführte Untersuchung. Unterschiede ergaben sich auch in der Bewertung der Politik und der Wissenschaft: "Harsch und ab Oktober 2020 zunehmend harscher fielen die Urteile über die wichtigsten politischen Akteure und ihre Kompetenzen aus, während die Wissenschaft eher gleichbleibend positiv beurteilt wurde", so die Autoren.
Der Aspekt Eskapismus
Dabei decken sich die Ergebnisse unserer MDRfragt-Befragung grundsätzlich mit früheren Ergebnissen anderen Sender. So gaben im März 2021 bei einer Studie des ZDF 58 Prozent der Befragten an, dass Nachrichten von öffentlich-rechtlichen Sendern für sie eine wichtige Quelle für verlässliche Informationen zur Pandemie seien. Nur 17 Prozent verneinten dies. Laut dieser ZDF-Studie messen die Nutzerinnen und Nutzer aber den Medien bzw. hier konkret dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch eine ganz andere Aufgabe zu - und dieser Aspekt kommt in der aktuellen Debatte oft zu kurz: Laut der ZDF-Umfrage erwarten nämlich 61 Prozent der Befragten von den Öffentlich-Rechtlichen, dass sie gerade in der Pandemie Inhalte bieten, bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Ruhe kommen und entspannen können.