Rezension Archaik und Moderne: Der Erfurter Wagner-"Ring" besteht nur aus dem "Rheingold"
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26. März 2024, 16:05 Uhr
Wer das Musiktheater des Dichter-Komponisten Richard Wagner liebt, dürfte sich über die Erfurter Ankündigung gefreut haben, dass dort ein neuer "Ring des Nibelungen" geschmiedet werden soll. Schon vor dessen Auftakt wurde das Vorhaben wieder gestrichen, nur der Vorabend "Das Rheingold" kommt zur Premiere.
Es ist eine ganz einfache Wagner-Wahrheit: "Das Rheingold" ist der Vorabend zu seinem Lebenswerk "Der Ring des Nibelungen", die "Götterdämmerung" ist das Finale. Nicht so am Theater Erfurt. Dort startet der "Ring" mit dem Finale des Finales, darauf folgt der Vorabend "Das Rheingold" und nach dessen Schlussakkord ist die Tetralogie schon wieder vorbei.
Denn schon vor der Premiere ist das auf vier Jahre gestreckte Projekt – nach einem ziemlich wagnerianischen Vorspiel – abgesagt worden. Aus finanziellen Gründen, denn mit drei Millionen Euro Defizit ist ein solches Vorhaben kaum zu stemmen, sowie aus gewissen Kopflosigkeit. Schließlich gilt Generalintendant Guy Montavon derzeit als beurlaubt und wird das Haus von einer sogenannten Werksleitung geleitet. Kein rettender Wotan zur Hand, keine Chance, das Rhein-Gold für den Etat einzuschmelzen.
"Das Rheingold" gut geputzt, aber nicht von reinstem Gold
Richard Wagner sah sein Opernschaffen stets als Gesamtkunstwerk, mithin als Einheit von Musik und Theater. Rein musikalisch war Erfurts "Rheingold" ziemlich gut geputzt, fast ohne Makel, aber leider nicht von strahlend reinem Gold. Szenisch geriet die Neuproduktion ziemlich bewegt, aber kaum wirklich bewegend. Dabei hat Regisseur Jürgen R. Weber durchaus versucht, dem Mythos des "Rings" auf den Grund zu gehen und eine Sichtung der Wurzeln zu wagen. Herausgekommen ist allerdings eine Melange aus gespielter Archaik und visueller Moderne.
Das opulente Bühnenbild von Hank Irwin Keitel führt in die felsigen Abgründe der Rheintöchter und verlangt dem Nibelung Alberich Kletterqualitäten ab. Sein Nibelheim ist eine düstere Unter-Tage-Gruft, Wotans Walhall besteht aus einer Stonehenge-Adaption voll leuchtender Lavasteinen, als hätte es dort eine nachträgliche Elektrifizierung gegeben. Über allem glänzt zum Schluss ein stetig blinzelndes Auge. Noch mystischer geht es kaum. Der Hort des Goldes steckt in einem dicken Sack, der – Überraschung – sogar laufen kann und mit der Himmelsscheibe von Nebra ein Stückchen Lokalkolorit aufweist.
Die Regie hat überhaupt reichlich Klamauk auf die Bühne gesetzt, was durch die Kostüme von Tristan Jaspersen und die Videokunst Gretchen fan Webers noch kräftig überhöht worden ist. Viel fürs Auge, aber keine Erhellung des Stoffes. Immerhin gelang so ein eher lustiges "Rheingold", in dem es auch mal deftig makaber bis eklig zuging, wenn sich Obergott Wotan in einem blutigen Video das Auge aus seinem Schädel pult – in Nahaufnahme – oder wenn unzählige Maden über das Bühnenbild würmeln. Das sorgt zwar für einprägsame Motive, die aber mehr über Weber & Weber aussagen als über Wagner. Ob aus den Tiefen der mit überflüssigen Accessoires gefüllten Theatertruhe ein goldener Riesenphallus ans Licht geholt werden musste, sei dahingestellt.
Durchwachsene Bilanz: "Das Rheingold" ist unterhaltsam, geht aber nicht in die Tiefe
Die meisten Sänger-Darstellerinnen dürften trotzdem ihren Spaß gehabt haben, dem Premierenpublikum gefiel die sehr bewegte – aber kaum wirklich bewegende – Inszenierung auch. Es gab ja auch jede Menge Spielideen: Die Riesen Fafner und Fasolt etwa haben sich wie alberne Teletubbies bewegt, Loge gab seinem Affen richtig Zucker und hat den Klamauk tänzelnd bis zum Schlussapplaus durchgezogen, Donner und Froh waren tumb und derart verfressen, dass sie sich auf offener Bühne übergeben mussten, selbst Schlüsselszenen wie Wotans erzwungener Raub des von Alberich auch nur geraubten Ringes kannten keine Grenzen, da riss der Germanengott dem Nibelung gleich den ganzen Arm ab, um ans Gold zu kommen … Dieser Vorabend war tatsächlich eine überreichlich blutige Angelegenheit – ob sich ein solches Konzept drei weitere Teile getragen hätte?
Vokal gediegen und spielfreudig
Der spanische Gastdirigent Pedro Halffter hat das um die Thüringen-Philharmonie Gotha-Eisenach wagnerhaft gestärkte Philharmonische Orchester Erfurt größtenteils sehr sauber durch den immerhin auf zwei Stunden und vierzig Minuten langen Abend geführt, der klanglich zwar keineswegs zerdehnt wirkte, doch noch eine Spur mehr Esprit vertragen hätte. Die Tempi sorgten, wenngleich mit Einschränkungen, für eine insgesamt akzeptable Textverständlichkeit.
Mit heftigem Schlussapplaus wurde die Sänger-Besetzung gefeiert. Ein großes Kompliment hat sich Albert Pesendorfer als kraftvoller Wotan verdient, ziemlichen Respekt der sich fast verausgabende Máté Sólyom-Nagy als vokal nahezu brutaler Alberich, etwas Zurückhaltung die mitunter keifend wirkende Fricka von Katja Bildt, einen Kniefall die erstaunlich jugendliche Erda von Rose Naggar-Tremblay. Überzeugend gestalteten Kakhaber Shavidze und Sam Taskinen die lustvollem Riesen Fafner und Fasolt, anrührend zart gelang Laura Nielsens Freia, rollengerecht wirkte Ewandro Stenzowskis Mime. Der geradezu kafkaesk umtriebige Loge von Brett Sprague fing sich einigen Sonderapplaus ein, Alik Abdukayumov als Donner und Tristan Blanchet als Froh rundeten dieses alles in allem vokal wirklich gediegene Wagner-Ensemble spielfreudig ab. Deutliche Abstriche gab es bei den drei wenig homogenen Rheintöchtern.
Die Bilanz des Abends bleibt somit durchwachsen. Dieses "Rheingold" ist zwar durchaus unterhaltsam, mitunter aber auch tüchtig trivial. Die absichtsvollen Fantasy-Anleihen muss man nicht unbedingt mögen, doch möglicherweise wird damit auf ein junges, jugendliches Wagner-Publikum gezielt.
"Das Rheingold" in Erfurt ist wieder zu sehen am 6., 14. und 19. April sowie 5. und 19. Mai.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 26. März 2024 | 09:10 Uhr