Rezension Oper Leipzig: Thea Musgraves "Mary, Queen of Scots"

17. Oktober 2023, 17:18 Uhr

Eine Oper über eine berühmte historische Frauenfigur, komponiert von einer Frau, das ist immer noch eine Besonderheit. So wie die 1977 uraufgeführte "Mary, Queen of Scots" von Thea Musgrave, die jetzt an der Oper Leipzig erfolgreich Premiere feierte.

In Berlin, trotz drei Musiktheatern seit langem eine Belcanto-Wüste – 2006 gab es letztmalig eine Donizetti-Seria – hat die Deutsche Oper halbherzig dessen "Anna Bolena" in einer manieriert langweiligen, aus Zürich geliehenen Inszenierung und zusätzlich mit einer völlig überforderten, ebenfalls nur fadschön vor sich hin säuselnden Primadonna nachhaltig beschädigt. Tags darauf trat auf die Leipziger Opernbühne Maria Stuart.

Aber eben nicht als "Maria Stuarda"-Teil der gegenwärtig vielerorts bemühten, von ihm nie so intendierten "Tudor"-Trilogie Donizettis, sondern als "Mary, Queen of Scots", so wie sie die heute 95-jährige, in New York lebende Thea Musgrave 1977 passenderweise für das Edinburgh Festival komponiert und auch als Uraufführungsdirigentin geleitet hat.

Hier, Grundlage ist ein Theaterstück, fehlt nicht nur ihre berühmte Cousine Elizabeth I. Die fatale Entscheidung, wegen der heimischen Querelen nach England zu fliehen, trifft Maria erst am Ende des üppigen Dreiakters. Vorher aber ist die eben erst 18-Jährige als königliche Witwe aus Frankreich zurückgekehrt. Sie kommt aus einem Land der Wärme, Freude und Schönheit in einer männerdominierten Welt politischer Intrige. Sie weiß nicht, für welche Seite sie sich entscheiden soll, wem sie glauben darf, Adel wie Kirche umwerben sie gleichermaßen.

Mary aber wird souveräner, trifft eigene, nicht immer richtige Entscheidungen, für die falschen Männer und Liebhaber, wird vergewaltigt, bekommt einen Sohn, der Lover wird vom miesen Gatten ermordet. So mutiert sie durchaus zum Monster und könnte am Ende, so wie die Protagonistin im "Elisabeth"-Musical, "Ich gehör‘ nur mir" singen. In Leipzig wird sie gar am Ende abgefackelt: denn heute ist sie nur Projektion, Objekt der jeweiligen Propaganda, mal optimiert, mal in den Schmutz gezogen. Und als Hexe der Geschichtsschreibung verbannt.

Dazu komponierte Thea Musgrave für ein Kammerorchester mit großer Schlagwerkbatterie eine eklektizistisch eindringliche Partitur, weniger geschult an der damals herrschenden Avantgarde, eher mit Benjamin Britten als Vorbild. Ähnlich wie dieser in seiner Krönungsoper "Gloriana" operiert sie mit Originalmusik der Zeit, die sie überschreibt, collagiert, verzerrt, darin aber greller, aggressiver, lauter. Trotzdem kommt die Handlung durch viel Parlando, wenige ariose Stellen gut rüber.

Obwohl hier, auf einer Bühne zwischen Holztischen als Bergen geschichtet (von Dirk Becker), alle aussehen wie beim Leipziger Wave-Gotik-Treffen zu Pfingsten: schwarze Gruffties im (Schotten-)Rock, mit schlechten Haaren und totenschädelweiß geschminkt (Kostüme: Annette Braun). Ein Lüster hängt in der Ecke, die Krönungsinsignien werden prominent hergezeigt. Mary muß sich im schweren Mantel ihren Weg über die Höflingsköpfe hin zu ihrem goldenen Thron an der Spitze mühselig erobern. Dessen Kehrseite: eine weiße Kloschüssel. Darin werden Geschichte, aber auch deren Spieler entsorgt.

Der sich anbiedernde Bischof (Randall Jakobsh) wird entfernt, der ihr Gewalt antuende Earl of Bothwell ebenso (ihn spielt – für einen erkrankten Mitwirkenden – die Regisseurin selbst, am Rand singt mutig aus den Noten Eberhard Francesco Lorenz). Marys blond-brutales Gattenwürstchen Lord Danley (mit Verve: Ruppert Charlesworth) schlachtet den Lover David Riccio (poppig: Sejon Chang) ab, der Halbbruder James (gruselig: Franz Xaver Schlecht) wird schnell zur sie verfolgenden Nemesis.

Doch die herausragende, unendlich wandelbare Nicole Chevalier gibt mit kraftvollem, auch schneidendem Sopran eine Mary, die als Greta Thunberg megaphonbewehrt von außen hereinbricht, mit einem aktivistisch-epischen Brecht-Chor, der an den Zuschauerraumrändern verharrt und sich "No Future" auf die Jacken geschrieben hat. Sie, in ihrem korsettrüstungsartigen Outfit wird aber auch vom schutzbedürftigen, irgendwann hochschwangeren Mädchen zur Megäre, zu Richard III. sogar: ein böses, auch auf maximalen Machterhalt fixiertes Biest, das seine politische Lektion gelernt hat.

Eine Oper mit Schauwerten wie akustischem Gewinn. Dass Maria Stuart hier nicht nur, wie bei Donizetti und Schiller, passiv romantisch Leidende, sondern Spielerin ist, wenn auch meist fehlgeleitet, dass sie nicht im Schatten ihrer Cousine Elizabeth I. steht, dass ist der Verdienst von Thea Musgraves sympathisierendem, aber eben auch analytisch-kaltem Blick auf diese jüngere Mary – nach wie vor eine der in den Strudeln der Geschichte umhergeworfene, faszinierend historische Frauengestalt.

Auch wenn gerade Matthias Foremny am Pult des sehr guten, engagiert plastisch aufspielenden Gewandhausorchesters treibend rhythmisch ihre Aktualität als kämpfende Frau in einer Männerwelt betont. Hier ist Mary die aktiv Handelnde, wenngleich durch die brutalen, ganz selten nur liebevollen Verhältnisse geprägt. Ein Marienleben der anderen Art.

Besetzung

LEITUNG
Musikalische Leitung Matthias Foremny
Inszenierung Ilaria Lanzino
Bühne Dirk Becker
Kostüme Annette Braun
Licht-Design Stefan Jennerich
Dramaturgie Marlene Hahn
Choreinstudierung Thomas Eitler-de Lint
Chor Chor der Oper Leipzig
Orchester Gewandhausorchester
BESETZUNG
Mary, Queen of Scots Nicole Chevalier
James Stewart, Earl of Moray Franz Xaver Schlecht
James Hepburn, Earl of Bothwell Sven Hjörleifsson
Henry Stuart, Lord Darnley Rupert Charlesworth
David Riccio Sejong Chang
Cardinal Beaton Randall Jakobsh
Lord Gordon Guido Jentjens
Earl of Morton Richard Morrison
Earl of Ruthven Dan Karlström
Mary Beaton Augusta Kling
Mary Seton Leah Weil
Mary Fleming Lena Herrmann
Mary Livingston Katharina von Hassel
Solo-Lord Marian Müller / Vincent Turregano

Weitere Vorstellungen: Mi. 20.12.2023 | 19:30 | Opernhaus
Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

Mi. 27.12.2023 | 19:30 | Opernhaus
Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

Fr. 12.01.2024 | 19:30 | Opernhaus
Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

So. 28.01.2024 | 17:00 | Opernhaus
Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

So. 11.02.2024 | 17:00 | Opernhaus
Einführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 18. Dezember 2023 | 09:10 Uhr

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