Dresdner Musikfestspiele 2023 Keine Schwarzweiß-Hörerei

19. Mai 2023, 21:19 Uhr

Die Dresdner Musikfestspiele präsentieren sich auch 2023 musikalisch vielfarbig, thematisieren aus gegebenem Anlass aber auch den Kontrast zwischen Kultur und Barbarei unter dem Motto "Schwarz-weiß".

Das Motto "Schwarzweiß" soll natürlich provozieren, sagt Musikfestspiel-Intendant Jan Vogler. Denn die Musik ist voller Farben, aber eben auch voller Kontraste. Wie im richtigen Leben, von dem sie ein unentbehrlicher Bestandteil ist. Gut und Böse trennt ein unüberbrückbar tiefer Graben. Liebe und Leid, Aufklärung und Dummheit, Frieden und Krieg sind nicht kompatibel, existieren aber zeitgleich.

Neben- oder gegeneinander?

Das hängt zumeist von den jeweiligen Protagonisten ab. Solang sie verhandeln, einander zuhören und sich wechselseitig akzeptieren können, ist noch nicht alles verloren.

Jan Vogler
Jan Vogler ist seit 2008 Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Die Welt der Musik könnte, nein, sollte ein Vorbild für den Ton in der Welt sein. Bekanntlich sind wir momentan aber nicht nur meilen-, sondern millennienweit davon entfernt. Im 21. Jahrhundert werden die Fehler und Verbrechen der Vergangenheit wiederholt und mitunter sogar bestialisch übertrumpft. Bis vor kurzem hätte man das noch für undenkbar gehalten. Grund genug für die Dresdner Musikfestspiele, da gegenzusteuern und vermeintliche Gegensätze künstlerisch kommunikativ zu überbrücken. Intendant Jan Vogler verrät, die Idee zum diesjährigen Motto "Schwarzweiß" sei ihm bei der Lektüre von Leo Tolstois Roman "Krieg und Frieden" gekommen sein.

Tastenspiele

Schwarz und weiß sind die Tasten von Klavier, Flügel, Orgel und A-kordeon. So lag es wohl nahe, ins Festival noch ein gesondertes Festival namens "Tastenspiele" zu integrieren. Darin sollen sämtliche Beethoven-Sinfonien erklingen – ausschließlich auf Flügeln! Ein ganz gewiss faszinierender Zyklus zu jeweils vier Händen. Es wird Klavierrezitals u.a. mit Emanuel Ax, Hélène Grimaud und Tiffany Poon geben, darüber hinaus jede Menge Klavierkonzerte sowie auch Ausflüge gen Jazz, etwa mit dem großartigen Michael Wollny und seinem Trio im Dresdner Kulturpalast sowie mit Johanna Summer & Jakob Manz im Zentralwerk (wo einst Rüstungstechnik produziert worden ist). Wer ihn bislang nicht kennt, wird beim finnischen Punk-Akkordeonisten Kimmo Pohjonen in der Reithalle aufhorchen dürfen.

Als schwarz und weiß mögen aber auch die schroffen Kontraste zwischen musikalischen Genres und musikaffinen Zielgruppen erscheinen. Denn zwischen Eröffnungs- und Abschlusskonzert – am 18. Mai und am 18. Juni – liegen mit den Münchner Philharmonikern unter Tugan Sokhiev und der Sopranistin Christiane Karg sowie mit dem Jazz at Lincoln Center Orchestra und dem Trompeter Wynton Marsalis musikalische Welten, die ein geradezu kunterbuntes Spektrum abbilden.

Es wird eine ganze Reihe weiterer Ausflüge in Richtung Experiment und Wagnis geben, etwa den Brückenschlag des Danish String Quartet von Franz Schubert hin zur 1977 geborenen Isländerin Anna Thorvalsdottir sowie das Jubiläumskonzert zum 50-jährigen Bestehen des Ensembles The Tallis Scholars in der Frauenkirche.

Dresdner Festspielorchester, auf einer Wiese posierend
Das Dresdner Festspielorchester wurde 2012 im Geiste des legendären "Orchestra di Dresda" gegründet, der legendären Hofkapelle Augusts des Starken. Bildrechte: Dresdner Musikfestspiele/Sonja Werner

Darüber hinaus – und nicht minder verlockend – soll es aber auch musikalische Rückbesinnung zum vermeintlichen Originalklang geben, dem sich das 2012 gegründete Festspielorchester verpflichtet sieht. Es wird neben Beethovens Missa solemnis unter Jordi Sawall und Schumanns halb-szenisch aufgeführter Oper "Genoveva" mit Aapo Häkkinen auch ein auf vier Jahre angelegtes Großprojekt starten: die konzertante Aufführung von Wagners "Ring des Nibelungen" in der historisch fundierten Lesart von Kent Nagano. Den Auftakt zum Zyklus setzt "Das Rheingold", mit dem im Sommer auch im italienischen Ravello gastiert werden soll.

Ende gut, alles gut?

Populär und somit ein Anreiz für breiteste Publikumsschichten dürften Veranstaltungen mit Till Brönner, David Garrett und Nils Landgren sein. Quasi als Granden sind Dirigenten wie Herbert Blomstedt und Hartmut Haenchen zu erwarten. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter schmückt die Musikfestspiele ebenso wie Schauspiellegenden Klaus-Maria Brandauer und Birgit Minichmayr. Dass Intendant Jan Vogler auch selbst wieder aktiv wird und unter der Leitung von Omer Meir Wellber das Cellokonzert von Alfred Schnittke aufführen wird, versteht sich von selbst.

Allenfalls eine Lesung hätte man sich noch von ihm wünschen können, um zu erfahren, welche Stelle aus "Krieg und Frieden" (Tolstoi wollte seinen Roman ursprünglich "Ende gut, alles gut" übertiteln) den Ausschlag zum Motto "Schwarzweiß" gegeben hat.

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