Vor 300 Jahren uraufgeführt "Herr, unser Herrscher": Die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach
Hauptinhalt
26. März 2024, 12:15 Uhr
Am Karfreitag 1724, warten um die 2 000 Menschen in der Leipziger Nikolaikirche gespannt auf den Beginn des Vespergottesdienstes. Sie ahnen, dass sie heute eine außergewöhnliche Passionsmusik hören werden, denn ihr neuer Thomaskantor Johann Sebastian Bach hat seit seinem Amtsantritt ein knappes Jahr zuvor mit vielen Kantaten bereits für einen völlig neuen Ton gesorgt.
Und Bach enttäuscht die versammelte Gemeinde nicht. Nach einem Eingangslied und einem Gebet beginnt die Passionsmusik nach dem Evangelisten Johannes. Aufwühlende Klänge im schweren g-Moll sind vom Orchester zu hören, dann setzt der Chor mit dem Text "Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist" ein.
Allein dieser Eingangschor hat eine Wucht und zugleich aber auch eine Würde, wie es vorher zumindest in Leipzig noch nie zu vernehmen war. Mit der erzählenden Stimme des Evangelisten wird man mitten in die Handlung der Passion Christi hineingezogen und kann durch die enorm eindringliche Musik von Bach die unterschiedlichen Gefühle der beteiligten Personen Jesus, Petrus, Judas, Pilatus sowie des Volkes unmittelbar nachvollziehen.
Bachs Johannes-Passion: So ist sie aufgebaut
Gegliedert ist das Werk in fünf große Szenen: Es beginnt mit der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane, gefolgt von der Verleugnung des Petrus. Danach schließen sich das Verhör Jesu durch Pilatus, die eigentliche Kreuzigung mit dem Tod Christi und die Grablegung an.
Umrahmt und unterbrochen wird der biblische Bericht aus dem 18. und 19. Kapitel des Johannes-Evangeliums durch Eingangs- und Schlusschor sowie Arien und Ariosi mit betrachtenden Texten. Der uns unbekannte Leipziger Librettist dichtete dabei nicht alle Teile eigenständig neu, sondern übernahm – sicher in Abstimmung mit Thomaskantor Bach – auch originale oder umformulierte Passagen aus bereits bestehenden Passionsdichtungen. Und schließlich runden insgesamt zwölf Choräle, einer davon mit einer Arie verbunden, den heterogenen Text ab.
Emotionale Höhepunkte
Die inhaltlichen Bezüge zwischen Passionsbericht und den Reflexionen sind immer sehr eng und sinnstiftend: Wenn etwa Petrus seine Verleugnung bereut, steht unmittelbar danach die Arie "Ach mein Sinn, wo willt du endlich hin", die mit rastlosem Charakter die Ausweglosigkeit seiner Lage beschreibt, und als Reaktion der Gemeinde der Choral "Petrus, der nicht schaut zurück".
Zu besonderen emotionalen Höhepunkten macht Bach auch zwei Arien die unmittelbar vor und nach dem Tod Jesu in der Partitur erscheinen: Die Altarie "Es ist vollbracht" wird von einer kantablen Gambe begleitet und gibt im Mittelteil ("Der Held aus Judas siegt mit Macht") bereits einen Ausblick auf Ostern. In der Arie "Zerfließe, mein Herze" dagegen scheint im zarten Wechselgesang zwischen Sopran, Traversflöte und Oboe da caccia die Zeit still zu stehen.
Wie die Passion damals ankam, ist heute unbekannt
Seine Johannes-Passion ließ Bach während seiner 27 Dienstjahre in Leipzig nie mehr los. Er arbeitete das Werk mehrfach um und führte es noch mindestens dreimal wieder in der Karfreitagsvesper auf, zuletzt 1749, also nur ein Jahr vor seinem Tod.
Leider ist uns keinerlei authentische Reaktion eines damaligen Zuhörers überliefert, sei es als Tagebuch-, Brief- oder Zeitungsnotiz. Wir dürfen allerdings sicher sein, dass die Wirkung von Bachs erster Leipziger Passionsmusik damals genau so überwältigend war wie bei heutigen Aufführungen, etwa durch den Thomanerchor Leipzig.
Die Johannes-Passion ist auch zu sehen am 29.03.2024, 23.10 Uhr bei ARTE: "300 Jahre Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach" mit dem Thomanerchor Leipzig. Und zu hören im Konzert am 29.03.2024 um 19:05 Uhr bei MDR KLASSIK und MDR KULTUR.
MDR KLASSIK am Morgen