Rezension Alles Fremde scheint unheimlich
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"König Roger" von Karol Szymanowski im Anhaltischen Theater Dessau
04. März 2024, 16:27 Uhr
Ein Fremder taucht in einer Gemeinde mit fest verankerten Moralvorstellungen auf. Er verbreitet seinen Glauben an den Gott der Natur, der Liebe und Freiheit. Der regierende König gerät zwischen die Fronten.
Glaube, Liebe und Moral
Der Anfang ist dunkel und düster. Die Gemeinde feiert ihren Gottesdienst. Angst macht sich breit. Denn sie fürchtet den Hirten und seinen Glauben, den dieser predigt. Was tun?
Während Königin Roxane ihm schnell verfällt, ist König Roger zwischen den Welten hin und her gerissen. Seinen Weg zwischen Glauben, Liebe und Verzweiflung bis hin zur Erlösung erzählt die Oper.
Auf dieser Reise taucht der Hirte immer wieder auf. Er bringt von seinem ersten Erscheinen an Licht auf die Bühne. Er leuchtet im golden-glitzernden Umhang. Sein Gesang strahlt, seine Bewegungen sind leichtfüßig.
Vom Dunkel ins Licht
Der Hirte bildet somit den Kontrast zu den Menschen der Gemeinde. Diese bewegen sich wie Marionetten, bevor sie zu Standbildern erstarren. Mit unsichtbaren Fesseln suchen sie den Fremden zu greifen und festzuhalten. Doch immer mehr von ihnen verfallen dem Hirten und folgen ihm. Ihre Bewegungen werden fließend und frei.
Tänzerinnen und Tänzer erscheinen in einer Traumsequenz: beinahe nackt umgarnen sie den Hirten, rollen vor seinen Füßen, tanzen leichtfüßig und lustvoll.
Gleichzeitig wird es immer heller auf der Bühne, bis am Ende die gleißende Sonne aufgeht und König Roger sich endlich von seinen inneren Fesseln lösen kann.
Zu selten gespielt
"König Roger" ist eine eher selten gespielte Oper. Leider. Denn sie stellt Fragen, die den Menschen wohl niemals loslassen werden:
Wer sind wir? Warum sind wir? Welchen Weg gehen wir? Und wie passen wir mit unseren eigenen Moralvorstellungen in die jeweils vorhandene Gesellschaftsordnung?
Stefano Giannetti findet dafür starke Bilder. Der Choreograf und Tänzer formt jede Figur zu einem lebenden Kunstwerk: sehr wirkungsvoll in seinen Gegensätzen und zugleich nahbar und menschlich. Genau wie die Kostüme von Judith Fischer – schwarze Anzüge für die streng Gläubigen, hell glänzende und freizügige Kleider für die Geläuterten. Alles spielt auf einer äußerst reduzierten Bühne, entworfen von Guido Petzold.
Kulturübergreifend und zeitlos
Die Musik von Karol Szymanowski ist unglaublich fesselnd. Der Komponist vereint mühelos die unterschiedlichsten kulturellen Einflüsse in seiner Musik: gregorianische Kirchentradition des Mittelalters, orientalische Melodien, ekstatisch expressionistische Klänge.
Ebenso mühelos führt die Dirigentin Elisa Gogou die Anhaltische Philharmonie durch den musikalischen Rausch. Sie macht die Hell-Dunkel-Kontraste und inneren Konflikte hörbar: von flirrenden Geigen- und Harfensaiten bis ins tiefste, donnernde Blech.
Die Sängerinnen und Sänger überzeugen von Anfang bis Ende. Kay Stiefermann ist ein überragender König mit allen vorstellbaren emotionalen Facetten. Alexander Geller, der Hirte, überstrahlt mit einem unglaublich klaren, lyrischen und durchsetzungsfähigen Tenor. Lyrisch und hinreißend bezirzt der Sopran von Ania Vegry als Königin Roxane. Herauszuheben ist auch die Leistung des Opern- und Kinderchores.
Die Dessauer Inszenierung ist zeitlos und gerade deshalb so aktuell.
Genauso wie das Werk selbst. Ein unter die Haut gehendes Gesamtkunstwerk, für das es sich lohnt, nach Dessau zu reisen.
Besetzung
Musikalische Leitung: Elisa Gogou
Inszenierung und Choreografie: Stefano Gianetti
Bühne und Licht: Guido Petzold
Kostüme: Judith Fischer
Leitung Opernchor: Sebastian Kennerknecht
Leitung Kinderchor: Dorislava Kuntscheva
Choreografische Assistenz: Roman Katkov
Dramaturgie: Yuri Colossale
Roger II., König von Sizilien: Kay Stiefermann
Roxane, seine Frau: Ania Vegry
Edrisi, ein arabischer Gelehrter: Christian Sturm
Hirte: Alexander Geller
Erzbischof: Caleb Yoo
Diakonissin: Jagna Rotkiewicz
Anhaltische Philharmonie Dessau
Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau
Ballett des Anhaltischen Theaters Dessau
Kinderchor des Anhaltischen Theaters Dessau
Die nächsten Aufführungen: 09.03., 15.03. und 07.04.24 im Anhaltischen Theater Dessau
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 02. März 2024 | 06:50 Uhr