Zwei Personen sind als Statuen von Marx und Engels verkleidet. Darum sitzen drei weitere Personen
In "Meister Röckle" am Theater Magdeburg werden die Ideen von Marx nochmal anders erzählt. Bildrechte: Kerstin Schomburg

Premiere "Meister Röckle" am Theater Magdeburg: Wie der Teufel den Kapitalismus erfand

03. April 2023, 16:44 Uhr

Neu am Theater Magdeburg: Während Karl Marx an seinem Hauptwerk "Das Kapital" arbeitete, erzählte er seinen Kinder das Märchen von "Meister Röckle". In der DDR wurde das Märchen zur Grundausstattung jeder Kinderbibliothek und von der DEFA prominent mit Rolf Hoppe verfilmt. Das Duo les dramaturx hat die Kapitalismuskritik nochmal stärker in den Vordergrund gerückt. Die Magdeburger Inszenierung ist so unterhaltsam, dass man ihre Schwächen erst auf den zweiten Blick entdeckt.

Der Abend beginnt mit einem denkwürdigen Bild: Nebel umwabert das am Bühnenrand stehende Marx-Engels-Denkmal, dazu brettert AC/DCs "Highway to Hell" aus den Boxen. Knapp zwei Stunden später weiß man, dass mit der Hölle im Hit nicht das gemeint war, was von den praktischen Versuchen mit den Ideen von Marx und Engels im Sozialismus in Erinnerung bleibt, sondern das, worauf der heutige Kapitalismus zuzusteuern scheint.

Mit angenehmer Leichtigkeit beginnen Lynn Takeo Musiol und Christian Tschirner, die den Abend als Regieduo les dramaturx auch inszeniert haben, durch das Programm zu führen. Das Moderationspaar führt in den Stoff ein, erklärt Entstehung und Handlung des Märchens "Meister Röckle", stellt die Schauspielerinnen und Schauspieler sowie ihre Rollen in kleinen Interviews vor – man fühlt sich gut aufgehoben. Von Anfang an wird viel gelacht, Bezüge zur DEFA-Verfilmung werden aufgezeigt, und dann geht es los.

Marx trifft auf Rolling Stones am Magdeburger Theater

Mit einer Geschichte, die sehr geschickt Motive aus dem Märchen mit Marx‘ Theorien verwebt. Kurz gesagt geht diese Geschichte so: Hans Röckle, ein Erfinder und Bastler, lässt sich auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Dafür, dass der Teufel ihm ermöglicht, nicht nur kleine Scherzartikel zu erfinden, sondern große, visionäre Dinge, muss Röckle dem Teufel seine Erfindungen überlassen. Dazu zählen im Laufe der Geschichte die Dampfmaschine, der Motor und schließlich sogar ein Computer.

Eine Person in engem Ganzkörperanzug und zwei Hörnern auf dem Kopf geht neben einer Person mit weitem Rock und roter Lockenperücke.
"Meister Röckle" in Magdeburg ist ein Märchen über einen Pakt mit dem Teufel. Bildrechte: Kerstin Schomburg

Der Teufel nimmt das alles gerne, um Fabriken zu eröffnen, Stoffe herzustellen, immer mehr Menschen zu beschäftigen und – ab hier marxt es ordentlich – auszubeuten. Will sagen: Den Kapitalismus hat der Teufel gemacht. Zwischendurch werden immer wieder Songs intoniert, beispielsweise "Sympathy for the Devil" von den Rolling Stones. Das macht das Magdeburger Ensemble großartig, allen voran Michael Ruchter, der den Karl Marx und das Banjo spielt. Sehr sehenswert, wie er und sein Kollege Nico Link als Friedrich Engels das Denkmal zum Sprechen bringen. Schließlich Anton Andreew als Teufel: diabolisch bis in die letzte Faser. Er alleine ist den Theaterbesuch wert!

Theater voller Erinnerungen an DDR-Zeiten

Ab und zu treten die Spieler aus den Rollen und erzählen, wie sie sich dem Stoff angenähert haben. Iris Albrecht etwa erzählt, dass sie als Mädchen tatsächlich eine kleine Rolle im DEFA-Film "Hans Röckle und der Teufel" spielte und nun (fast 50 Jahre später) den Röckle doch lieber weniger sozialistisch heldenhaft spielen würde als seinerzeit Rolf Hoppe. Noch einmal: Das ist sehr unterhaltsam, eine herrlich freie Form, die les dramaturx für diesen Abend gefunden haben. Theater aus allen Rohren, sozusagen.

Eine Frau mit langen, blonden Haaren, einer Art Tropenhelm und hellem Mantel balancier einen Stock auf der Hand.
Die Erfindungen von Meister Röckle befeuern in Magdeburg den Kapitalismus. Bildrechte: Kerstin Schomburg

Irgendwann aber hat man es verstanden, und die bis dahin geschickt versteckte Agenda des Abends drängelt sich in den Vordergrund. Auch wenn es Hans Röckle sagt und nicht Karl Marx – auf jemanden, der noch Staatsbürgerkunde-Unterricht hatte, wirken die Umverteilungs-Träume Röckles doch ein bisschen zu belehrend.

Zumal nun auch ganz heutig und aktuell über Magdeburg gesprochen wird: Die neue Intel-Ansiedlung wird mit Ironie überzogen. Es kommt so an, als wolle man sie regelrecht verspotten. Theater als politisches Kabarett, warum eigentlich nicht? Sagen wir mal so: Mag sein, dass es anders intendiert war, aber es wirkt doch ziemlich hochnäsig. Das sind die kleinen und die großen Widersprüchlichkeiten dieser Inszenierung. Sie möchte von der großen Utopie träumen und verzettelt sich dabei in kleinen Witzchen über die FDP.

Fragwürdige Regie-Entscheidung in Magdeburg

Ziemlich befremdlich ist sie ausgerechnet in der Darstellung einer Hauptfigur: der Pfarrer, gespielt von Mansur Ajang. Die Regie hat den Kirchenmann als in seinem Gestus und in seiner Sprache klischeehaft überzeichneten Schwulen angelegt. Natürlich darf, ja soll diese Figur sowohl Marx‘ Kirchenhass verkörpern ("Opium für das Volk"), wie auch die nicht enden wollenden Verfehlungen der Amtskirchen anprangern.

Das kann man mit einer schwulen Witzfigur machen – Bully Herbig hat damit immerhin Kinosäle gefüllt und gelacht wird auch im Magdeburger Theater herzlich. Aber muss man es auch tun, während man sich gleichzeitig die Mühe macht, den Theaterabend zu gendern, um niemanden zu diskriminieren?

Eine Person in Talar steht vorn und richtet beide Arme in den Himmel, weitere Personen dahinter. Im Hintergrund sind gemalte Flammen und Wolken zu sehen.
In der Kritik an der Religion schießt die Inszenierung in Magdeburg über das Ziel hinaus. Bildrechte: Kerstin Schomburg

Offenes Ende des Kapitalismus' und begeistertes Publikum

Am Ende trickst Hans Röckle den Teufel aus. Er erfindet eine Rakete und macht ihm schmackhaft, das All zu besiedeln. Voller Hybris, inzwischen mehr Elon Musk als der Provinzteufel vom Anfang, hebt er tatsächlich ab. Ist damit das Problem aus der Welt? Oder ist es noch einmal größer geworden? Lässt sich der "Teufel Kapitalismus" einfach so "auf den Mond" schießen?

Der letzte Song des Abends deutet an, dass diese Form der Globalisierung eher kein gutes Ende nehmen wird: "You can’t run from the Devil" von Digger Barns. Spätestens Nico Links Stimme macht wieder vergessen, dass der Abend zwar sehr unterhaltsam war, aber inhaltlich nicht ganz überzeugen konnte. Was das Team von les dramaturx immerhin schafft ist, Themen in den Raum und Gesprächsstoff für dem Weg nach Hause zur Verfügung zu stellen. Die letzten Worte des Abends lauten "und wenn sie nicht gestorben sind …" – gefolgt von großem Jubel des Magdeburger Premierenpublikums.

Weitere Informationen "Meister Röckle"
Ein Märchen nach Karl Marx
Für die Bühne bearbeitet von les dramaturx

Regie: les dramaturx (Lynn Takeo Musiol, Christian Tschirner)
Ausstattung: Annika Lu
Musik: Michael Ruchter
Puppenbau: Atif Mohammed, Nour Hussein
Mit: Mansur Ajang, Iris Albrecht, Anton Andreew und andere

Adresse:
Schauspielhaus
Otto-von-Guericke-Str. 64
39104 Magdeburg

Termine:
7. April, 19.30 Uhr
22. April, 19.30 Uhr
21. Mai, 19.30 Uhr
27. Mai, 15 Uhr

Redaktionelle Bearbeitung: Thilo Sauer

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. April 2023 | 08:40 Uhr