Geburtstag am 8. Januar Gret Palucca: Unvergessene Ikone des modernen Ausdruckstanzes
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08. Januar 2025, 03:30 Uhr
Gret Palucca revolutionierte den Tanz. Mit ihrer eigenen Technik und Leidenschaft prägte sie Generationen von Tänzerinnen. Am 8. Januar 1902 als Margarete Paluka geboren, scheiterte sie zuerst am Ballett, musste ihre Tanzschule in Dresden im Nationalsozialismus schließen und in der DDR Einschränkungen des Lehrplans hinnehmen. Trotzdem ist ihr Einfluss als Ausdruckstänzerin und Lehrerin nachhaltig. Ein Porträt.
2025 feiert die Dresdner Palucca Hochschule für Tanz ihren 100. Geburtstag. Eine Institution von internationalem Renommee, die den modernen Ausdruckstanz entscheidend prägte. Und prägt! Denn was einst Schulgründerin und Namensgeberin Gret Palucca ihren Schülerinnen als Credo mit auf dem Weg gab, beschreibt bis heute eine Essenz der Kunstform Ausdruckstanz: "Ihr müsst mit dem Kopf tanzen und mit den Beinen denken!" Doch was bedeutet das?
Erster Ballettunterricht in Dresden
1902 in München als Margarete Paluka zur Welt gekommen, verbringt die Tochter eines aus Konstantinopel stammenden Vaters und einer Mutter jüdisch-ungarischer Herkunft ihre ersten Lebensjahre in San Francisco. Die Übersiedlung in die USA bleibt ein Intermezzo. 1909 kehren Mutter und Tochter nach Deutschland zurück. Man zieht nach Dresden, wo Margarete mit 12 Jahren beginnt, Ballettunterricht zu nehmen.
Ihr Lehrer ist Heinrich Kröller; ein Tänzer, Choreograf und Ballettmeister alten Schlags, der seiner Schülerin nicht allzu viel an Begabung attestiert. So, wie sich auch die junge Tänzerin bald eingestehen muss, dass die traditionellen Formen des klassischen Balletts, seine Techniken und Arten der Darbietung, nicht die ihren sind. Zu eng ist ihr dieses Korsett, das definiert, was "schöner" Tanz sein soll und wie er aussehen muss.
Gret Palucca: "Ich will nicht hübsch und niedlich tanzen!"
Ein Wesenszug der 1920er-Jahre war die leidenschaftlich und kontrovers geführte Hinterfragung dessen, was eigentlich ein authentischer künstlerischer Ausdruck ist. Das gilt auch für die Kunstform Tanz. Gret Palucca, impulsiv im Wesen, raumgreifend in der Ausstrahlung, sucht erst eher intuitiv, bald zunehmend reflektiert, nach einem neuen, einem adäquaten Ausdruck der sowohl ihr als Frau und Künstlerin, wie auch der Zeit, in der sie lebt, gemäß ist. Und wie so oft beim Suchen nach neuen Wegen weiß auch Palucca erst einmal vor allem, was sie keinesfalls will: "Ich will nicht hübsch und niedlich tanzen!"
Dass es anders geht und wie das aussehen kann, erfährt Palucca, als sie 1920 das erste Mal einen Auftritt der Tänzerin und Choreografin Mary Wigman (1886-1973) sieht. Die Pionierin des Ausdrucktanzes macht diesen unter dem Label "New German Dance" international bekannt. Expressiv, in akkuraten rhythmischen Stakkatos, ist das, was Wigman zelebriert, von "hübsch und niedlich" so weit entfernt, wie nur irgendwas. Eine souveräne tänzerische und – nicht zu vergessen! – weibliche Selbstermächtigung, heraus aus dem eng geschnürten Korsett konservativer Traditionen.
"Tanz Palucca" begeistert in ganz Europa
Palucca wird eine der ersten Schülerinnen Wigmans. Bis 1924 tanzt sie in deren Gruppe. Lernt, sammelt Erfahrung. Eignet sich sukzessive die für sie bald typische tänzerische Körpersprache an. Und gibt sich ihren Künstlernamen, der zum Markenzeichen wird. Schlicht "Tanz Palucca" nennt sie den ersten einer langen Reihe von Solo-Abenden, mit denen sie ab 1924 in Deutschland und Europa das Publikum begeistert. Sprunggewaltig, fast schon akrobatisch, oft überraschend abrupt in den Bewegungsabfolgen, ironisch, improvisierend, Impulsen folgend. Immer barfüßig, federnd und doch kraftvoll – Palucca beherrscht den Raum. Die (männliche) Fachkritik ist hin und weg: "Ein herrliches junges Raubtier!"
Hübsch geschwärmt – doch geflissentlich übersehend, was das "Raubtier" eigentlich zeigt: nämlich ein Höchstmaß an Körperintelligenz in Bewegung. Tanzender Kopf, denkende Beine!
Zwischen künstlerischer Souveränität und kulturpolitischer Gängelung
Der Vervollkommnung der Ausdrucksmittel folgen pädagogische Intentionen nach. 1925 gründet Palucca ihre eigene Tanzschule. Gelehrt wird moderner Ausdruckstanz, wobei dezidiert Aspekte wie Tanzgeschichte, Improvisation, Anatomie oder Rhythmuserziehung einbezogen sind. Die Schule gewinnt schnell als maßgebliche Instanz internationale Bedeutung.
Dieser konnten letztlich auch die Verwerfungen der Folgejahrzehnte nichts anhaben: Ist die NS-Zeit für die als "Halbjüdin" stigmatisierte Palucca in vielfacher Hinsicht ein Tanz auf gefährlich dünnem Eis (1939 wird die Schule als "artfremd" geschlossen), folgt in den DDR-Dekaden ein kräftezehrendes ideologisches Gerangel. Wie alle sozialistischen Staaten kaprizierte sich auch die DDR den sowjetischen Vorgaben folgend dogmatisch auf die "Pflege des Kulturerbes" – und das heißt hier, Ironie der Geschichte, auf das klassische Ballett.
Die daraus entstehende Diskrepanz zwischen künstlerischer Souveränität und kulturpolitischer Gängelung zementierte sich mit der Verstaatlichung der Schule 1949. Palucca vollführt fortan einen Tanz mit der Macht, mal in Opposition zu, oft in opportunen Ausfallschritten mit dieser. Drohungen in den Westen abzuwandern, äußert sie zwar als Druckmittel, macht sie aber nie wahr.
Möglich, dass die sozialistischen Kulturfunktionäre in all ihrer geistigen Beschränktheit über genug Instinkt verfügten, um zu begreifen, dass eine wie die Palucca trotz aller Konflikte, ihrer Schule niemals den Rücken kehren würde. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass Paluccas großer Wunsch, der Schule den Hochschulstatus zuzusprechen, erst wenige Monate nach ihrem Tod in Erfüllung ging. Gret Palucca starb am 22. März 1993 im Alter von 91 Jahren in Dresden.
Redaktionelle Bearbeitung: Torben Tanne
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 06. Januar 2025 | 20:00 Uhr