Mann mit weisser Maske / Darüber steht "Streaming-Tipps"
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Streaming-Tipps Tipps für die Mediathek: Fünf außergewöhnliche Filme über Lebenslügen

27. September 2024, 04:00 Uhr

Die ARD Mediathek bietet eine riesige Auswahl an Spielfilmen, Dokumentationen und Serien. Damit Sie den Überblick behalten, stellen wir alle zwei Wochen Highlights zum Streamen vor. Dieses Mal empfehlen wir fünf Filme zum Thema Lebenslügen. Sie begleiten uns auf Schritt und Tritt. Und oft lässt sich nicht sagen, wo sie beginnen oder aufhören. Wer macht wem etwas vor? Die fünf folgenden Filme ziehen Sie unmittelbar hinein in die Dynamik von Lebenslügen.

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"Axiom": Das erfundene Ich

Julius ist so ein eloquenter junger Mann, ein Gewinner-Typ. Man glaubt ihn zu kennen. Immer hat er eine erstaunliche Geschichte aus seinem Leben parat und schafft es auf diese Weise, sich für andere interessant zu machen. Doch was davon stimmt wirklich? Immer deutlicher wird, dass Julius seine Persönlichkeit von überall zusammen geklaubt hat. Für die Freunde aus seinem Museumsjob ist er ein Halbadliger, dessen Mutter ein Segelboot besitzt – das allerdings niemand zu sehen bekommt. Für seine Freundin wiederum ist er ein sozialer Aufsteiger, der aus einem Drogenhaushalt stammt.


"Axiom" hat mich als präzise Charakterstudie eines begnadeten Selbstdarstellers und notorischen Lügners überzeugt. Jöns Jönsson hat seinen Film so subtil gestrickt, dass man immer wieder selbst ins Zweifeln gerät, was man glauben kann und was nicht. Julian ist ein gescheiterter Felix Krull. Denn wer auf diesem Niveau lügt, manipuliert am Ende nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst. Vor allem ist er ständig damit beschäftigt, das Lügenkonstrukt aufrechtzuerhalten und Notausgänge zu bauen. Notausgänge in die Einsamkeit.

Mehr Informationen zum Film (zum Ausklappen)

"Axiom"
Deutschland 2024
Regie und Drehbuch: Jöns Jönsson
Mit: Moritz von Treuenfels, Zejhun Demirov, Ricarda Seifried
Länge: 112 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Zu sehen in der ARD Mediathek bis 25.10.2024

"Jakob der Lügner": Die Notlüge

Manchmal muss man einfach lügen. "Die Russen sind 20 Kilometer vor Bezanika", erzählt Jakob im Ghetto einem jungen Freund, um ihn von einer leichtsinnigen Tat abzuhalten. Das führt bereits zur zweiten Lüge: "Ich habe ein Radio." Bald spricht es sich herum, und Jakob muss noch mehr gute Nachrichten liefern. Hoffnungsvolle Gegenpropaganda, wenn man so will. Die existenzielle Notlüge entfacht neuen Lebensmut, sogar Hochzeitspläne. Zugleich bringt das fiktive Radio alle in Gefahr.

Der DEFA-Klassiker aus dem Jahr 1974 von Frank Beyer wurde damals für den Auslands-Oscar nominiert. Völlig zurecht. Noch heute berührt mich diese vielschichtige, aber konzentriert erzählte Parabel, die auf historische Genauigkeit bewusst verzichtet. "Die Geschichte von Jakob dem Lügner hat sich niemals so zugetragen", heißt es zu Beginn auf einer Texttafel. Und weiter: "Vielleicht aber hat es sich doch so zugetragen." Der Autor Jurek Becker erkundet damit zugleich das unentwirrbare Verhältnis von Dichtung und Wahrheit.

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"Jakob der Lügner"
DDR 1974
Regie: Frank Beyer
Drehbuch: Jurek Becker, Frank Beyer
Mit: Vlastimil Brodsky, Erwin Geschonneck, Manuela Simon, Henry Hübchen
Länge: 100 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Zu sehen in der ARD Mediathek bis 29.10.2024

"Kafkas Der Bau": Der Wahn der Abschottung

Was tut man nicht alles, um sich selbst vor dem sozialen Abstieg zu schützen? Das stärkste Instrument, zumindest mittelfristig, ist vielleicht die Leugnung der Realität. Der Angestellte Franz, gespielt von Axel Prahl, versiegelt seinen Bau – die neu bezogene Wohnung in einem Hochhaus – mit immer neuen Sicherheitsschlössern, um sich vor einer Welt im Zerfall abzuschotten. Wie besessen filmt er das Haus von innen und außen. Doch die absolute Sicherheit erweist sich als Illusion.

In der Vorlage von Franz Kafka ist der Ich-Erzähler ein Tier, das seinen Bau wahnhaft sichert. Jochen Alexander Freydank überträgt das ins 21. Jahrhundert und in die Menschenwelt. Zugleich hält er an Kafkas Sprache fest, die Franz vor sich hin murmelt. Ein Verschwörungstheoretiker in eigener Sache. Der Preis für die Abschottung heißt Paranoia. "Kafkas Der Bau" ist eine gewagte, ästhetisch anspruchsvolle Literaturverfilmung. Vor allem aber empfinde ich sie als bedrückend aktuell.

Mehr Informationen zum Film (zum Ausklappen)

"Kafkas Der Bau"
Deutschland 2013
Regie und Drehbuch: Jochen Alexander Freydank
Nach einer Erzählung von Franz Kafka
Mit: Axel Prahl, Kristina Klebe, Josef Hader, Devid Striesow
Länge: 110 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Zu sehen in der ARD Mediathek bis 30.11.2024

"Paradies: Glaube" - Die religiöse Selbstverleugnung

Im zweiten Teil von Ulrich Seidels berüchtigter Paradies-Trilogie verbringen wir den "Urlaub" zusammen mit der Hardcore-Katholikin Anna Maria. Urlaub heißt, auf der Heimorgel Lobpreisungen herunterleiern, sich vor dem Kruzifix auspeitschen und in Sozialbausiedlungen missionieren gehen. Immer, wenn sie ihren Spruch "Die Mutter Gottes kommt zu Dir nach Hause" loslässt, läuft es einem kalt den Rücken hinunter.

Es tut schon physisch weh, die begnadete Schauspielerin Maria Hofstätter auf Knien durch die Wohnung schieben zu sehen. Im Kampf gegen die eigene Triebhaftigkeit rettet sich die Protagonistin in ein sadomasochistisches Verhältnis zu Jesus und versucht alle anderen mitzureißen. Das Leben erklärt sie zu Leid und Prüfung. Eine Selbstleugnung auf ganz hohem Niveau. Seidel rechnet schonungslos mit der Sexualmoral der katholischen Kirche ab.

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"Paradies: Glaube"
Österreich 2012
Regie: Ulrich Seidel
Drehbuch: Ulrich Seidel, Veronika Franz
Mit: Maria Hofstätter, Nabil Saleh, René Rupnik
Länge: 114 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Zu sehen in der ARD Mediathek bis 16.09.2025

"Win Win": Das falsche Versprechen

Das Leben als spielerische Aufgabe, für die es immer neue Belohnungen gibt – das wollen uns diverse Apps verkaufen. Die sogenannte "Gamification" nimmt immer mehr Raum in unserem Alltag ein. Ob es um die Fitness-App geht oder die Uber-App, welche die Uber-Fahrer mittels Feedback-Schleifen dazu ermutigt, gar nicht mehr auszusteigen. Optimiere dein Leben, so das Versprechen. Aber geht es im Leben wirklich darum, Punkte zu sammeln und das jeweils höhere Level zu erreichen?

Friedrich Rackwitz erkundet das in Form eines dokumentarischen Selbstversuches. Der Regisseur lässt sich auf die Fitness-Wette ein. Mit vollem Einsatz. Um in die Welt der Uber-Fahrer einzutauchen, arbeitet er auch mit einem Schauspieler, bleibt aber mit seinen Mitteln transparent. Neuland waren für mich besonders die Anwendungen von Spieltheorien im Beruf, zur Motivation von Mitarbeitern. Die "Gamification" verschiebt unseren Horizont, diagnostiziert Rackwitz. Ein passendes Bild.

Mehr Informationen zum Film (zum Ausklappen)

"Win Win"
Deutschland 2022
Dokumentarfilm
Regie: Friedrich Rackwitz
Länge: 84 Minuten
HFF München, BR, NDR
Zu sehen in der ARD Mediathek bis 11.08.2025

Über mich Ich bin Lars Meyer und seit vielen Jahren für MDR KULTUR als Filmkritiker unterwegs, immer auf der Suche nach Filmkunst, die mich berührt, anregt und überrascht.

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