Mentoring-Programm Ausbildung vs. Berufsrealität – Berufsvorbereitung an Musikhochschulen
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02. November 2023, 16:13 Uhr
Rund 60 Prozent aller Musikerinnen und Musiker in Deutschland sind selbstständig tätig. Doch darauf bereitet das Studium an Musikhochschulen nicht ausreichend vor. Ein erfolgreiches Mentoring-Programm an der Musikhochschule Leipzig füllt diese Lücke, doch die Finanzierung läuft aus.
Die größte Frage war wirklich: Wo fange ich an, wo kann ich die ersten Schritte gehen, sodass ich Aufträge von außen bekomme?
Luca Patané ist Gesangsstudent an der Musikhochschule Leipzig. In seinem Gesangsunterricht, in Fächern wie Bühnentanz und Sprecherziehung, blieben viele Fragen offen, die ihn beschäftigten: "Wie melde ich mich überhaupt richtig an? Wie hole ich meine Steuernummer?"
Mentoring-Programm bietet Lösungen
Antworten auf diese Fragen hat er im Programm "MentoringArts" bekommen. Es erstreckt sich über zwei Semester und bietet Workshops sowie ein 1:1 Mentoring mit einem Musiker aus der Berufspraxis. Die Zeit mit dem Mentor und die Workshops sowie der Austausch mit anderen Studierenden im Mentoring hätten ihm Zukunftsängste genommen und ihn motiviert, an seiner Selbstständigkeit zu arbeiten, so Patané: "Es ist nicht mehr so eine Wand vor mir, die mich eigentlich nur noch platt macht, sondern ich weiß, wie ich jeden einzelnen Stein rausziehen kann."
Zu wenig Wissen über Selbstständigkeit
Statistisch landen mehr Musikerinnen und Musiker in Deutschland in einer Selbstständigkeit als in einer Festanstellung. An den Hochschulen ist diese Realität noch nicht ausreichend angekommen, findet Babett Niclas, Absolventin der HMT Leipzig und freiberufliche Harfenistin:
Orchesterstellen sind das Höchste für klassische Musizierende. Wer kein Orchesterinstrument spielt, zum Beispiel Pianistinnen und Pianisten, solle möglichst Solistin/Solist werden. Aber das ist nicht die Realität des Musikmarktes.
Konkurrenz steigt
Die Planstellen öffentlich finanzierter Orchester werden weniger. Gleichzeitig bleibt die Zahl der Musikstudierenden auf ähnlichem Niveau und die internationale Konkurrenz wächst – der Anteil an Selbstständigen dürfte also noch steigen.
Problemfeld Finanzierung
Pro Jahrgang können etwa 25 Studierende am Leipziger Mentoring-Programm teilnehmen. Die Nachfrage ist deutlich höher, doch Koordinatorin Carmen Maria Thiel hat Schwierigkeiten, mehr Menschen zu finden, die sich als Mentor/Mentorin zur Verfügung stellen. In Zeiten von Pandemie und Inflation müssten die Selbstständigen schauen, ob sie dafür Kapazitäten bereitstellen können, denn die Mentoren erhalten keine finanzielle Entschädigung.
Grob alle zwei Wochen sollen sie sich mit den Nachwuchsmusizierenden treffen. Wer sich dazu verpflichtet, macht das aus Überzeugung, so wie der Trompeter Sebastian Haas. Sie seien oftmals Einzelkämpfer, sagt er. Und weiter: "Wir sitzen in unseren Übe-Kabinen und üben den lieben langen Tag. Wünschenswert wäre, dass da eine bessere Solidarität untereinander zusatende kommt und man ins Gespräch kommt, einfach auch über unangenehme Themen."
Hochschulen reagieren
Haas selbst lehrt an der Musikhochschule Dresden. Er spricht auch im Einzelunterricht Themen wie Honorare an. Aber für viele Fragen kann er die Studierenden an die Angebote des Career Centers verweisen.
Ein 1:1 Mentoring gibt es in Dresden nicht. Dafür ein Seminarangebot, das alle Studierenden erreicht. Das Programm "Berufseinstieg" ist inzwischen als Pflichtmodul in Bachelor- und Masterstudiengängen verankert. Für die Koordinatorin Claudia Syndram ist das ein entscheidender Punkt: "Das höre ich von meinen Studierenden relativ häufig: Freiwillig wäre ich da nicht reingegangen. Aber als ich dann drin saß, habe ich gedacht: wow, genau das hat mir jetzt noch gefehlt für den nächsten Schritt."
Die Mittel zur Honorierung von Dozierenden werden zwar knapper, doch die halbe Stelle der Koordinatorin ist entfristet.
Berufsvorbereitung im Musikstudium in Mitteldeutschland:
- HMT Dresden: Pflichtmodul Berufseinstieg in Bachelor und Master, im BA mit Prüfungsleistung „Urheberrecht“
- HMT Leipzig: freiwilliges einjähriges Programm MentoringArts, Teilnehmende erhalten Creditspoints
- HFM Weimar: freiwilliges Seminarwochenende Get ready, angeboten ein Mal im Jahr, keine Creditpoints
- Universität Halle, Master „Künstlerischer Sologesang“: Pflichtmodul Prüfungs- und Berufsvorbereitung mit 2 Semesterwochenstunden
- EHK Halle: im Bachelor Kirchenmusik Seminar "Beruf und Recht" verpflichtend, im Masterstudiengang Konzert- und Oratoriengesang Fach "Berufsmanagement" verpflichtend
- Behandelte Themen u.a. Künstlersozialkasse, Urheberrecht und GEMA, Steuer-Basics, Honorarverhandlung, Projektkalkulation, Zeitmanagement
Mentoring-Programm droht das Aus
Das Programm MentoringArts in Leipzig droht zum Ende des Jahres 2024 auszulaufen. Dann endet die Finanzierung aus Sondermitteln des Freistaates Sachsen. Das stößt auf Entsetzen bei Studierenden und Alumni. Im April appellierte der Studierendenrat in einem offenen Brief, das Programm zu erhalten. Unter den 600 Unterzeichnern sind bekannte Namen der Leipziger Musikszene.
Carmen Maria Thiel hofft auf eine Perspektive für das Programm. Der Erfolg lässt sich anhand von laufender Evaluation nachweisen.
Was die Hochschulen tun müssen, – und dafür ist auch die Politik verantwortlich – sich mit der veränderten Erwerbsstruktur und Berufsrealität auseinanderzusetzen, und nicht noch mehr Kunstschaffende auf den Markt zu entlassen, die nicht wissen, welche Schritte sie als nächste tun sollen.
Der Rektor der Musikhochschule Leipzig, Gerald Fauth, teilt auf eine schriftliche Anfrage mit, er suche derzeit gemeinsam mit dem Sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus nach Lösungen für eine lückenlose und dauerhafte Fortführung.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 01. November 2023 | 09:10 Uhr