Umstrittener Held Stepan Bandera - Held oder Kollaborateur Hitlers?
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21. November 2017, 11:22 Uhr
Von nicht wenigen Ukrainern wird er verflucht, andere feiern ihn als Nationalhelden und wären gar bereit, ihn heilig zu sprechen. Wer ist dieser Mann, an dem sich nicht nur in der Ukraine die Geister scheiden.
Der Kiewer Maidan, gleichbedeutend mit Aufstand der Ukrainer gegen das korrupte Regime des Präsidenten Wiktor Janukowytsch, war lange Zeit ein Ort friedlicher Demonstrationen. Doch wie viele Demonstranten sich auch auf dem Hauptplatz in Kiew versammelten, egal, welche Forderungen sie stellten, die Regierung bewegte sich nicht. Janukowytsch vertröstete die Demonstranten mit leeren Versprechungen, der Hauptforderung zurückzutreten, kam er erst recht nicht nach - bis die radikalen Teile des Maidans, der sogenannte "Rechte Sektor" (ein Zusammenschluss der rechtsgesinnten ukrainischen nationalistischen Organisationen) mit Molotowcoctails, Schlagstöcken und Feuerwaffen gegen die Polizei vorging und öffentliche Gebäude stürmte.
Die Nationalisten dieser Organisation waren schon lange entschiedene Gegner der, wie sie es nannten, "Diskothek" auf dem Maidan; sie wollten eine "nationale Revolution" anzetteln. Später war es der "Rechte Sektor", der die Präsidentenverwaltung und das Parlament stürmte und den luxuriösen Landsitz des Präsidenten eroberte. Der Kern des "Rechten Sektor" war und ist die Organisation "Dreizack namens Stepan Bandera". Nicht nur der Chef des "Dreizack", Dmytro Jarosch, der Anführer des "Rechten Sektor", sondern auch die mit der Partei "Vaterland" von Julija Tymoschenko und der Partei "Udar" von Vitali Klitschko zusammenarbeitende rechte Partei "Freiheit" bekannte sich mehrmals zu den politischen und ideologischen Positionen Banderas. Sie schwingen die traditionellen schwarz-roten Fahnen, die unter Bandera die Symbole der ukrainischen Nationalisten waren, und als das Kiewer Rathaus von den Demonstranten gestürmt und besetzt wurde, hängte man dort als erstes ein Portrait Banderas auf.
Seit dem Frühjahr sitzen Verehrer Banderas in Kiew nun in den Schlüsselpositionen, so zum Beispiel der Generalstaatsanwalt. Deshalb nennen die Aufständischen im Osten der Ukraine die neuen Machthaber in Kiew "Banderiwzi", was für viele Ukrainer ein ungeheuerliches Schimpfwort ist.
Wer ist Stepan Bandera?
Die politische Karriere Banderas begann in den 1930er-Jahren in Polen. Die ukrainischen Gebiete waren zweigeteilt. Ein Teil gehörte als Sowjetrepublik zur Sowjetunion, ein anderer Teil stand "unter der Knute" Polens. So verstanden das jedenfalls die ukrainischen Nationalisten, die einen Kampf gegen die polnische Regierung für die Unabhängigkeit der Ukraine führten – gegen die Schließung von ukrainischen Schulen, gegen Repressionen an ukrainischen Intellektuellen, gegen die Verfolgung der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche im streng katholischen Polen. Einer der eifrigsten Nationalisten war Stepan Bandera, der 1909 als Sohn eines griechisch-katholischen Priesters geboren wurde.
Am 1. September 1930 beschloss die polnische Regierung die "Befriedung" der ukrainischen Gebiete. Es war eine zehn Wochen andauernde Strafaktion. Nach ukrainischen Angaben wurden dabei mehr als 1.700 Menschen, vorwiegend Studenten und Schüler, verhaftet, mehr als 40 Frauen vergewaltigt, 13 Menschen verloren ihr Leben. Einer der Organisatoren der "Befriedung" war der polnische Innenminister Bronisław Pieracki, der auf Beschluss der 1929 gegründeten "Organisation der Ukrainischen Nationalisten" (OUN) umgebracht wurde – nicht von Stepan Bandera selbst, aber auf dessen Geheiß. Die Anführer der "OUN", unter ihnen auch Bandera, wurden verhaftet und 1934 zum Tode verurteilt; später wurde die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt.
Nur fünf Jahre später kam Bandera wieder frei. Er suchte sofort Verbündete, die helfen sollten, eine souveräne Ukraine zu gründen. Einen der Verbündeten in seinem Hass gegen die Bolschewiken, die, seiner Meinung nach, die Ostukraine besetzt hielten, fand er in Hitler-Deutschland. Auf Hitler freilich setzten nicht nur Bandera, mittlerweile Anführer der ukrainischen Nationalisten, sondern alle, die die Ukraine frei sehen wollten. Im Sommer 1940 verhandelte Bandera mit der deutschen Abwehr, und ukrainische Nationalisten bilden zwei Bataillone, "Roland" und "Nachtigall", die hinter der Frontlinie gegen die Bolschewisten agieren sollten.
Der von Bandera lange erwartete Krieg brach am 22. Juni 1941 aus. Am 23. Juni passierte auch "Nachtigall" die sowjetische Grenze und marschierte am 30. Juni in Lwiw (Lemberg) ein. An diesem Tag zog sich durch Lwiw ein, wie manche Historiker meinen, sehr heimtückisch-raffiniert von Deutschen arrangiertes, antisowjetisches und antipolnisches Pogrom. Aber zum großen Teil auch ein antijüdisches. Wodurch es hervorgerufen wurde, welche seine treibenden Kräfte waren, wer wen schlug, welche Rolle dabei Ukrainer, Polen und Deutsche spielten, wer die Runde durch die Wohnhäuser machte und dort die Menschen verprügelte und wer sie erschoss – darüber gibt es mehrere einander ausschließende Versionen. Bandera war persönlich nicht in Lwiw. Aber in Lwiw war das ukrainische Bataillon "Nachtigall", in Lwiw herrschten ukrainische nationalistische Milizen. Für Bandera war der 30. Juni aber ein grandioser Tag, an dem sein Freund und Mitstreiter Jaroslaw Stezko in Lwiw die unabhängige Ukraine proklamiert hatte. Die ukrainische Fahne war gehisst worden. "Heil Hitler!" stand bald am historischen Tor in Lwiw und daneben: "Es lebe Bandera!".
Doch die Nationalisten machten die Rechnung ohne den Wirt. Die deutsche Führung verfolgte andere Pläne. Sie wollte keine unabhängige Ukraine. Deshalb wurde bereits am 6. Juli 1941 die ganze nationalistische Spitze samt Bandera verhaftet, zum Teil erschossen, zum Teil in KZ gepfercht. Zwei Brüder Banderas kamen nach Auschwitz, Bandera selbst saß bis 1944 im KZ Sachsenhausen etwas abgeschieden in einer Baracke für hochrangige Politiker ein. Die zwei ukrainischen Bataillone, die die Freilassung Banderas forderten, wurden von der Front abgezogen und aufgelöst. 1942 verweigerten die ukrainischen Soldaten den Schwur auf Hitler und gingen in die Wälder, wo sie eine Ukrainische Aufständische Armee (UPA) bildeten und gegen drei Mächte kämpften: gegen den deutschen "Führer", gegen Moskau und gegen Polen. Für eine unabhängige Ukraine.
1944 stand die Rote Armee vor den Toren Deutschlands. Jetzt suchten Deutsche Bandera im KZ auf und schlugen ihm vor, zusammen mit dem russischen General Wlassow gegen die Bolschewisten zu kämpfen. Zusammen mit Wlassow? Mit dem Russen? "Niemals!", antwortete Bandera. Er hatte sein Leben lang für die Ukraine gekämpft, allein, ohne Hitler, mit Hitler. Nach dem Krieg lebte Bandera unter einem Tarnnahmen in München, bis er 1959 im Flur seines Hauses von einem KGB-Agenten mit einer Zyankalispritze getötet wurde.
Höchste ukrainische Auszeichnung
Seit Jahrzehnten scheiden sich die Geister an der Person Banderas. Die Kommunisten halten ihn zu Recht für einen Hitler-Kollaborateur, blenden allerdings seine Hauptintention – den Kampf für die freie Ukraine – aus. Für die Polen ist er ein Nationalist, was auch stimmt. Die Juden betrachten ihn als Inkarnation des ukrainischen Antisemiten, weil auch im Namen Banderas viele Juden bei Pogromen und Erschießungen umgekommen sind.
Der US-amerikanische Historiker und Professor an der Yale University Timothy Snyder nannte Bandera zum Beispiel "einen faschistischen Helden" und einen Anhänger der "Idee der faschistischen Ukraine". Für den prowestlichen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, der in Folge der "orangenen" Revolution (zusammen mit Julija Tymoschenko) 2004 in der Ukraine an die Macht kam, spielte das keine Rolle: Er verlieh Stepan Bandera 2010 den höchsten ukrainischen Orden "Held der Ukraine". Diese Entscheidung wurde aufs schärfste von Russland, Polen und mehreren jüdischen Organisationen angeprangert. Ein Vertreter des jüdischen Simon-Wiesenthal-Zentrums schrieb in einem Brief an den ukrainischen Botschafter in den USA von seinem "tiefen Ekel" in Verbindung mit der "beschämenden" Ehrung von Bandera. Auch nicht alle ukrainischen Bürger waren damit einverstanden. Einen Monat später bedauerte das Europaparlament Juschtschenkos Entscheidung offiziell und rief den neuen Präsidenten, Wiktor Janukowytsch, auf, diese Ehrung zu revidieren. Was er auch tat.
Janukowytsch ist mittlerweile gestürzt, und die Bandera-Anhänger vom "Rechten Sektor", Dmytro Jarosch, und von der Freiheit-Partei, Oleh Tjahnybok, kandidieren als Präsidentschaftskandidaten bei den am 25. Mai 2014 bevorstehenden Wahlen.
Über Viktor Timtschenko Jahrgang 1953, studierte in Kiew Journalistik. 1990 siedelte er nach Deutschland über und arbeitete als Redakteur der ersten unabhängigen Zeitung der DDR, "DAZ". Von 2000 bis 2005 war er Redakteur der Deutschen Welle in Köln. Seither lebt Timtschenko als freier Journalist und Autor in Leipzig. 2009 veröffentlichte er sein Buch "Ukraine. Einblicke in den neuen Osten Europas".