Solidaritätskampagne Rumänien: Adoptiere einen Briten
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03. Juli 2016, 07:11 Uhr
Ausweg für britische Brexit-Gegner: Wer EU-Bürger bleiben möchte, bekommt jetzt ungewöhnliche Hilfe aus Osteuropa. Eine Online-Zeitung in Rumänien hat zu einer kuriosen Solidaritätsaktion aufgerufen. Humor, der bei den Briten gut ankommen könnte.
Brexit-Gegner müssen den Kopf nicht hängen lassen. Sie können sich derzeit von europabegeisterten Rumänen adoptieren lassen. Die ungewöhnliche Solidaritätskampagne "Romanians adopt Remainians" (Rumänen adoptieren Brexit-Gegner) hat in diesen Tagen die rumänische Online-Zeitung "Gandul" ("Der Gedanke") ins Leben gerufen.
Aus Mr. Smith wird Mr. Smithescu
Die Kampagne fordert die Briten auf, die "Brexit-Befürworter, die Streitereien und das britische Wetter" hinter sich zu lassen und ein "neues Leben in einer liebevollen rumänischen Familie" zu beginnen. Über Facebook könne man zunächst virtuellen Kontakt mit Rumänen aufnehmen. Den Personalausweis gibt es dann online, wobei an den Familiennamen der Zusatz "escu" angehängt wird - fast jeder vierte Name in Rumänien endet so. Fertig ist ein neuer Rumäne – und ein Ausweg für Briten, die an ein vereintes Europa glauben - auch nach dem Votum für einen Brexit.
Gleichzeitig sollen sich bei der Kampagne rumänische Familien melden, die bereit sind, einen Briten zu adoptieren. "Liebe Landsleute", heißt es auf der Website, "die guten Menschen, die für einen Verbleib in der EU gestimmt haben und europäische Werte teilen, verdienen es, unsere Verwandten zu sein".
Aktion gegen Fremdenhass
Rechtskonform ist die Aktion natürlich nicht – und die rumänischen Behörden würden wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, käme die Zeitungsredaktion mit den virtuellen Adoptionsanträgen tatsächlich aufs Amt. "Uns geht es um die Symbolik", sagt "Gandul"-Redakteurin Clarice Dinu, die die Aktion nach dem Brexit mit entworfen hat.
Doch mit der Kampagne will die Zeitung nicht nur auf die Nöte europafreundlicher Briten reagieren. "Uns geht es auch um ein Solidaritätsbekenntnis", sagt Dinu, "das wir der fremdenfeindlichen Stimmung entgegensetzen wollen". Vor allem Polen und Rumänen in Großbritannien haben seit dem Brexit-Votum Fremdenhass zu spüren bekommen.
"Why don’t you come over?"
Mit dem Prinzip "Humor gegen Hass" kennt sich die rumänische Zeitung aus. "Wir urteilen und verurteilen uns immer schon, bevor wir uns wirklich kennen", meint Journalistin Dinu. Kurz bevor sich die britische Insel 2014 für Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien öffnete, startete "Gandul" die Aktion "Why don’t you come over?" und forderte die Briten mit launigen Sprüchen auf, nach Rumänien zu reisen, um Vorurteile abzubauen. Schließlich sehe die "Hälfte der einheimischen Frauen so aus wie Kate und die andere Hälfte wie ihre Schwester". Es war die Antwort auf die Kampagnen der britischen UKIP-Partei, die damals gegen die "Invasion der Rumänen" wetterte, die nur "sozialschmarotzen" und "Tuberkulose auf die Insel bringen" würden.
Lobbylose Zuwanderer
"Wir waren schon immer ein leichtes Angriffsziel", meint Cristina Irimie "weil wir selten auf die Verleumdungen reagieren und keine politische Lobby haben". Die in London ansässige Personalvermittlerin betreibt seit über zehn Jahren die Website "romaninuk.net", ein Portal für Rumänen in Großbritannien - um über Rechte und Pflichten auf der britischen Insel zu informieren. Seit Tagen fragen ihre Landsleute an, was nun werden wird - ob sie die Arbeitserlaubnis behalten dürften oder als EU-Bürger demnächst das Land verlassen müssen.
Volkswirtschaftlich ein Zugewinn
Schätzungen zufolge leben rund 400.000 Rumänen in Großbritannien, die polnische Gemeinschaft ist mehr als doppelt so groß. 2004 öffnete die Insel als eines der ersten EU-Länder ihren Arbeitsmarkt für Zuwanderer aus Osteuropa. Auf bis zu zwei Millionen wird deren Zahl inzwischen im Land geschätzt, das wäre ein Anteil von drei Prozent an der Gesamtbevölkerung. Statistisch gesehen sind die Einwanderer ein Zugewinn für die Volkswirtschaft. In mehreren Branchen stellen sie inzwischen den Großteil der Arbeitnehmerschaft - ob auf dem Bau, in der Krankenpflege oder in der Gastronomie. Müssten die osteuropäischen Arbeiter die Insel verlassen, würden diese Branchen lahmgelegt, meint Irimie, die medizinisches Personal aus Rumänien auf die Insel vermittelt.
Bau-Löhne durch Zuwanderung halbiert
Der britische Politologe und Osteuropa-Experte Tom Gallagher erinnerte dieser Tage in der rumänischen Wochenzeitung "Revista 22" jedoch auch an die Kehrseite der Medaille. 2004 sei die damalige Labour-Regierung noch davon ausgegangen, dass maximal 13.000 Zuwanderer pro Jahr auf die Insel kämen, schreibt Gallagher: "Niemand schien sich der Logik bewusst zu sein, dass in einer Union, die sehr arme und reiche Länder vereint, Millionen von Menschen aus der ersten Familie über die Vorteile der zweiten herfallen könnten".
2015 kamen laut Statistik rund 185.000 Zuwanderer - für britische Verhältnisse eine neue Rekordzahl. Der Zuzug belastet inzwischen die Kommunen und verdrängt ungelernte Einheimische aus dem Arbeitsmarkt. In britischen Städten wie Southampton sei durch die osteuropäischen Zuwanderer der Tageslohn für Bauarbeiter seit 2004 um die Hälfte gesunken. In der Stadt haben beim Referendum 56 Prozent für den Brexit gestimmt.
Respekt für beide Seiten
Ob sich in der über 250.000 Einwohner-Stadt Southampton schon die Gandul-Adoptionskamagne herumgesprochen hat? Wohl eher nicht. Man wolle mit der Aktion "aber auch mit den Brexit-Befürwortern ins Gespräch kommen", versichert Gandul-Redakteurin Clarice Dinu.
Die Entscheidung der rund 17 Millionen Briten zum EU-Austritt respektiere man schließlich. Gut 16 Millionen Briten hatten für den Verbleib in der EU gestimmt. Mit knapp 15.000 Menschen ist man durch die Gandul-Aktion ins Gespräch gekommen. Da ist noch Luft nach oben.