"Regelrechte Schlammschlacht gegen Migranten"
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Interview mit der Journalistin Ilona Korzeniowska
30. Juni 2016, 18:09 Uhr
In Großbritannien leben mehr als 800.000 Polen. Sie sind nach den Indern die zweitgrößte Migrantengruppe im Land. Nach der EU-Osterweiterung und dem Beitritt Polens zur EU 2004 hatte Großbritannien, anders als Deutschland, seinen Arbeitsmarkt sofort für Polen geöffnet. Nach der Entscheidung für den Brexit ist unklar, wie es mit den Polen in Großbritannien weitergeht. Wir haben mit Ilona Korzeniowska, Chefredakteurin des "Polish Express", gesprochen.
Ihre Zeitung "Polish Express" ist eins der größten polnischsprachigen Blätter in Großbritannien. Sie beschäftigen acht polnische, feste Mitarbeiter. Wie ist die Stimmung seit dem Referendum in der Redaktion?
Seit dem Brexit werden wir buchstäblich mit E-Mails zugeschüttet, die Telefone klingeln ständig. Es werden verschiedene Formen von Diskriminierung und Übergriffen auf unsere polnischen Leser gemeldet. Es gibt eine Unmenge von Fragen, was mit den Polen in Großbritannien passieren wird, wenn Großbritannien die EU verlässt. Vor dem Brexit herrschte eine unglaubliche Desinformation. Niemand wusste so richtig, wie das Leben nach dem Brexit aussehen wird.
Haben Sie den Brexit kommen sehen?
Ehrlich gesagt, habe ich damit gerechnet, dass es zum Brexit kommen wird. Warum? Weil ich die Absichten und schmutzigen Spielchen der britischen Medien gut einschätzen kann. Sie haben vor dem Brexit regelrechte Schlammschlachten gegen Migranten geführt, sie haben Migranten als Quelle aller Probleme ausgemacht: Arbeitslosigkeit, fehlende Berufsperspektiven. Britische Medien haben schon seit Monaten Stimmung gegen polnische Migranten gemacht, die angeblich nur deshalb hierher kämen, um Sozialleistungen zu kassieren. Ich denke, das war hier eindeutiges Ziel der Medien.
Wir sind selbst vor wenigen Monaten Opfer solcher Manipulationen geworden. Im Rahmen einer größeren Serie haben wir einen Ratgeber herausgegeben, welche Sozialleistungen einem jeden Einwohner Großbritanniens zustehen. Viele Zeitungen, die zu einem bestimmten Verlag gehören, darunter "The Sun", haben dann Artikel veröffentlicht, in denen sie unserer Zeitschrift vorgeworfen haben, Polen zum Erschleichen von Sozialleistungen anzustacheln. Also den Staat zu beklauen! Man muss sich überhaupt nicht wundern, dass sich die Gesellschaft so leicht gegen polnische Zuwanderer anstacheln lässt. Die britischen Boulevardzeitungen haben millionenstarke Auflagen.
Übergriffe gegen Polen gehören in den vergangenen Tagen zu den täglichen Meldungen: Ist mit dem Brexit nun ein Tabu gebrochen worden?
Ja, erst vor kurzem gab es widerliche Schmierereien an der Tür des ältesten polnischen Zentrums in London. Aber wir erhalten auch doppelt so viele Reaktionen von gebürtigen Briten, die sich für solche Übergriffe ihrer Landsleute bei uns entschuldigen und sich bei den Polen in Großbritannien bedanken. Manche schreiben auch, dass sie zwar für den Brexit gestimmt haben, aber niemals gegen Migranten insbesondere polnische Migranten seien. So viele Äußerungen von Zuspruch und Sympathie auf einen Schlag haben wir wohl noch nie erhalten! Wir versuchen diese Briefe ins Polnische zu übersetzen und zu publizieren, damit unsere Leser verstehen, dass die tätlichen und verbalen Übergriffe nur von frustrierten manipulierten Menschen stammen, die nur wenig verstehen.
In manchen Orten Großbritanniens hat man das Gefühl, dass sich tatsächlich Parallelgesellschaften gebildet haben, eine Integration ist vielerorts nicht sichtbar. Welche "Fehler" wurden von polnischer Seite gemacht?
Die Polen sind ein sehr stolzes Volk und gleichzeitig eine Nation, die sehr sensibel ist. Wir schämen uns manchmal für unsere mangelnden Sprachkenntnisse. Polen, die nicht gut genug Englisch sprechen, um mit ihren Nachbarn und Kollegen zu kommunizieren, haben Probleme mit der Integration. Außerdem arbeiten sehr viele Polen wirklich sehr, sehr hart. Wir nehmen Arbeit sehr ernst und die Mehrheit von uns gibt wirklich immer mindestens hundert Prozent, deshalb reicht die Zeit oft nicht, Anschluss in der Nachbarschaft zu suchen.
Welche Fragen treiben die Polen in Großbritannien zurzeit am meisten um?
Die meisten Fragen betreffen Regelungen dazu, wie man sich um einen dauerhaften Aufenthalt in Großbritannien bewerben kann. Ist meine Rente nach dem Brexit sicher? Wo kann ich mich einbürgern lassen? Welche Fragen muss man beim Einbürgerungstest beantworten? Die hier lebenden Polen wollen, trotz der angespannten Lage nach dem Brexit, zum überwiegenden Teil weiter hier leben, weil sie hier Familien gegründet haben, dauerhafte Jobs, ihr Lieblingslokal, ihre Lieblingsgeschäfte hier finden. Da fällt es schwer, an eine erneute Kehrtwende im Leben zu denken.
"Polish Express" ist eine Wochenzeitung, die seit 13 Jahren auf dem britischen Markt ist. Mit einer wöchentlichen Auflage von 75.000 wird das Blatt größtenteils in polnischen Geschäften in London vertrieben. "Polish Express" bezeichnet sich als Sprachrohr der Polen auf der Insel. "Wir helfen Polen in Großbritannien in schwierigen Lebenslagen, kämpfen gegen Diskriminierung und setzen uns für Ihre Angelegenheiten ein", sagt die Chefredakteurin Ilona Korzeniowska.