Ungarn Hauptsache, die Kasse stimmt: Warum die Automobilindustrie auf Ungarn abfährt
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29. Januar 2019, 10:37 Uhr
Während auf der politischen Ebene Ungarn vor allem wegen seiner restriktiven Flüchtlingspolitik von den meisten EU-Mitgliedstaaten sehr kritisch beäugt wird, erlebt das Land wirtschaftlich einen bis dahin nie gekannten Aufstieg.
Hauptsache, die Kasse stimmt...
Die politischen Nachrichten aus Ungarn sind in diesen Tage wenig erfreulich: Die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán setzt ihren Kurs der Einschränkung von Wissenschafts- und Pressefreiheit ungebrochen fort: So wurde in einem in der EU beispiellosen Vorgang mit der Central European University (CEU) eine der besten Universitäten aus dem Land gedrängt.
Gleichzeitig geraten unabhängige Medien weiter unter Druck. Bereits Ende November 2018 wurde bekannt, dass knapp 500 regierungsfreundliche Medienunternehmen zu einer marktbeherrschenden Stiftung zusammengefasst wurden.
Gute Laune bei Investoren
Wiederum ist die Stimmung unter deutschen Investoren derzeit gut in Ungarn und auch die Investitionsbereitschaft ist hoch, wie Robert Ésik beim Jahrestreffen der Ungarischen-Deutschen Industrie und Handelskammer (DUIHK) berichtete.
Ésik ist Präsident der Hungarian Investment Promotion Agency (HIPA), einer staatlichen Agentur, die Investitionen nach Ungarn fördert. Ihm zufolge haben deutsche Unternehmen mit Hilfe der HIPA in den letzten dreieinhalb Jahren 17.000 neue Arbeitsplätze in Ungarn geschaffen – unter anderem in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Continental, Bosch, ThyssenKrupp oder Knorr-Bremse.
BWM baut neues Werk in Ungarn
Der prominenteste Fall: Im Juli 2018 gab der Münchener Autobauer BMW bekannt, rund eine Milliarde Euro in ein neues Werk in Debrecen investieren zu wollen. Am neuen Standort in Ostungarn sollen rund 1.000 Mitarbeiter jährlich 150.000 Fahrzeuge produzieren.
Nach hohen Investitionen in China, Mexiko und den USA stärken wir nun den Standort Europa und damit die globale Balance unserer Produktion zwischen Asien, Amerika und Europa.
Der ungarische Außenminister Péter Szijjartó freut sich über die Investition aus Bayern, da sie zum Ziel der Regierung beitragen soll, das ungarische Wirtschaftswachstum konstant über vier Prozent zu halten. Szijjartó ist davon überzeugt, dass die niedrigen Steuern, das flexible Arbeitsrecht sowie die gute Ausbildung der Arbeitskräfte für die Entscheidung der Münchener ausschlaggebend gewesen sei.
Die Regierung Orbán hatte die Körperschaftssteuer 2017 auf neun Prozent gesenkt - damit ist es der niedrigste Steuersatz innerhalb der EU. Dahinter steht offensichtlich das Bemühen, ein attraktiver Standort für Investitionen aus dem Ausland zu sein – offenbar mit Erfolg.
Westeuropa zu teuer für Autobauer
Der Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sah die Standortwahl von BMW auch vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen: "Es scheint, dass diese Entscheidung von Risikominimierung und Kostenoptimierung getragen wurde", sagte Pieper dem US-Wirtschaftsportal Bloomberg. "Westeuropa ist zu teuer, Mexico und Großbritannien bergen Zollrisiken, und das Werk in den USA ist bereits riesig."
Die Gründe für die Standortentscheidung liegen auf der Hand: Als Gründe nannte BMW einmal die Nähe zu etablierten Zulieferern und vor allem die gute Infrastruktur und logistische Anbindung vor Ort. Von Debrecen gibt es sogar eine direkte Flugverbindung nach München.
Dafür war die ungarische Regierung auch bereit, tief in die Tasche zu greifen. Wie das Internetportal napi.hu berichtet, will sie in den nächsten Jahren über 135 Milliarden Forint – rund 425 Millionen Euro – in genau diese Infrastruktur investieren.
Daimler, Audi und Co.
BMW ist bei weitem nicht der erste deutsche Autobauer, den es nach Ungarn zieht. So sind Opel und Audi bereits seit den 1990er-Jahren mit Werken in Szentgotthárd und Györ vertreten. 2012 errichtete auch Mercedes-Benz ein Werk mit 2.000 Beschäftigten in Kecskemét.
Dass sich Ungarn derart großer Beliebtheit nicht nur bei der deutschen Industrie erfreut, liegt auch daran, dass hierzulande lange Zeit gute Facharbeiter für wenig Geld zu haben waren: Die Arbeitnehmerkosten liegen verglichen mit Deutschland nur bei einem Viertel.
Fachkräfte zieht es ins Ausland
Doch gerade die begehrten Fachkräfte werden knapper, denn viele Ungarn zieht es wegen der schlechten Bezahlung in ihrer Heimat ins Ausland. Laut einer Umfrage der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) zeigten sich drei von vier Unternehmen mit dem Angebot an Fachkräften "unzufrieden". Gleichzeitig ist die ungarische Regierung, deren politisches Hauptthema der letzten Jahre die Bekämpfung von Migration war, eher zurückhaltend, qualifizierte Arbeitskräfte aus Ländern außerhalb der EU ins Land zu lassen.
Die ungarische Wirtschaft ist sehr exportorientiert und erwirtschaftet einen enormen Handelsüberschuss. In einer Publikation der DUIHK heißt es: "Die Ausfuhren von Waren und Leistungen entsprachen 2017 rund 90 Prozent des BIP – in Deutschland waren es nur 47 Prozent. Rund drei Viertel des Warenverkehrs wird mit den EU-Mitgliedsstaaten abgewickelt, mit Abstand bedeutendster Handelspartner ist Deutschland".
Vor diesem Hintergrund wirkt Viktor Orbáns stetige EU-feindliche Rhetorik reichlich absurd. Ungarn lebt von der EU – und das nicht gerade schlecht. Die deutschen Unternehmen scheint weder die spalterische und rassistische Rhetorik aus Budapest, noch der faktische Abbau von Demokratie, Rechtsstaat und bürgerlichen Freiheiten zu stören. So sagte der geschäftsführende Vorstand der DUIHK, Gabriel A. Brennauer der Wirtschaftswoche: "Die Direktinvestitionen nach Ungarn sind in den letzten Jahren etwa relativ konstant gewesen (…). Man sieht also, dass die Unternehmen keine ideologischen Kriterien anlegen, wo ihre Investitionen stattfinden." Hauptsache, die Kasse stimmt.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: MDR aktuell | 17.05.2017 | 19:30 Uhr