In Osteuropa Medizin studieren Arzt werden: Wie es auch ohne NC geht
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19. Dezember 2017, 14:01 Uhr
In Osteuropa haben einige Universitäten aus der deutschen Zulassungsbeschränkung für das Medizinstudium ein einträgliches Modell entwickelt: Sie heißen deutsche Studierende sehr willkommen - natürlich gegen eine Gebühr.
Als Dominic Schlottmann zum ersten Mal die grauen Plattenbauten am Stadtrand der rumänischen Universitätsstadt Cluj-Napoca sah, stiegen Zweifel in ihm auf. "Der Anblick hatte mich schockiert", erinnert sich der junge Mann an seine Ankunft 2015 in der siebenbürgischen Stadt, die man auf Deutsch Klausenburg nennt. Das sollte sein Studienort für die nächsten Jahre sein, um eines Tages seinen Traum als Arzt zu leben?
Medizin auf Englisch oder Französisch
Doch eine andere Möglichkeit, als ins Ausland zu gehen, blieb dem 22-Jährigen aus Oberhausen nicht. Mit einer Abiturnote von 2,2 hätte er in Deutschland jahrelang auf ein Medizinstudium warten müssen. Unzählige andere wären vor ihm an der Reihe gewesen. Doch zermürbendes Warten ist Schlottmanns Sache nicht. Der junge Mann ist einer von fast 1.600 ausländischen Studierenden an der Medizinfakultät der Iuliu-Hatieganu-Universität in Cluj-Napoca, kurz UMF genannt, an der man auch Zahnmedizin oder Pharmazie studieren kann - auf Rumänisch, Englisch oder Französisch.
Unterschiedliche Aufnahmebedingungen
Den deutschen Numerus Clausus in Medizin kann man an vielen Universitäten in Osteuropa umgehen. Die Auswahl ist groß: Man kann sich in Sofia zum Arzt ausbilden lassen, in Prag, im kroatischen Split, in Warschau oder im ungarischen Pecs, um nur einige Standorte zu nennen. Die Anbieter unterscheiden sich bei den Studiengebühren oder Aufnahmebedingungen. An der UMF in Cluj-Napoca reichen gute bis mittelmäßige Abiturnoten in Biologie und Chemie aus. Zudem müssen die Bewerber ein international anerkanntes Sprachzertifikat in Englisch oder Französisch vorweisen. Eine Garantie, dass die Anwärter auch tatsächlich genommen werden, gibt es nicht. Auf die jährlich ausgeschriebenen 350 Studienplätze in Cluj-Napoca kommen nach Uniangaben viermal mehr ausländische Bewerber.
Keine niedrigen Lebenshaltungskosten
Bei den Studiengebühren liegt die siebenbürgische Stadt im osteuropäischen Mittelfeld: 6.000 Euro muss man pro Studienjahr in Cluj-Napoca bezahlen, das gesamte Medizinstudium kostet damit an Grundgebühr allein 36.000 Euro.
Wer glaubt, die Ausgaben durch besonders billige Lebenshaltungskosten wieder wett zu machen, der irrt. Die fünf staatlichen Universitäten der Stadt gehören zu den besten Rumäniens, die fast 100.000 Studierenden machen rund ein Drittel aller Einwohner aus. Die Stadt boomt, ebenso die Mietpreise. Als Dominic Schlottmann vor zwei Jahren nach Rumänien zog, legte er seine Vorurteile schnell ad acta: Von wegen verarmte Stadt, in der es womöglich nicht ausreichend zu Essen oder kein warmes Wasser geben werde. Cluj-Napoca ist quirlig, multikulturell und im Zentrum sehr hipp. "Eine Stadt wie jede andere in Europa, in der man als Student gut 1.000 Euro monatlich zum Leben braucht", sagt Schlottmann.
Tausende Euro an jährlicher Studiengebühr
Dass die ausländischen Studierenden bei der Studiengebühr kräftig zur Kasse gebeten werden, hält die Dekanin der UMF-Medizinfakultät, Anca Buzoianu, nur für berechtigt. Ein deutscher Student zahlt übrigens jährlich so viel, wie manch rumänischer Unidozent im gesamten Jahr verdient. Man sei ständig dabei, die Uni zu modernisieren, begründet die Fakultätschefin die Kosten. Erst im vorigen Jahr habe man fünf Millionen Euro Eigenmittel in ein Simulationszentrum für die angehenden Ärzte investiert.
"Ostcharme" an vielen Stellen
Ein Teil der ausländischen Studenten, die lieber anonym bleiben wollen, klagt jedoch, dass man trotz der hohen Gebühren noch an vielen Stellen den "Ostcharme" an der Fakultät zu spüren bekommt: bei der jahrzehntealten Bestuhlung in den Hörsälen, bei der verschulten Lehre, bei der strengen Anwesenheitspflicht. Wer bei Vorlesungen fehlt, muss rund zwei Euro Strafgebühr pro Zeitstunde zahlen. Wer zu häufig fehlt, wird zur Prüfung erst gar nicht zugelassen. Die deutschen Studenten würde das weniger betreffen, meint Dekanin Buzoianu. Die seien hochmotiviert und diszipliniert und kämen nicht nach Cluj-Napoca, "um sich hier zu amüsieren, sondern um gute Ärzte zu werden".
Praxis am Krankenbett
Gern wirbt Buzoianu mit der Praxisnähe ihrer Fakultät. Ein Teil der Seminararbeit fände in kleinen Gruppen gleich neben dem Krankenbett statt: "Wir haben in Rumänien eine Tradition, dass die Studenten einen schnellen Zugang zum Patienten haben und die freuen sich, dass sie Teil des Unibetriebes sind."
In der Tat, wer sich in einem chronisch unterfinanzierten Krankenhaus in Rumänien behandeln lassen muss, ist froh über jede würdevolle Behandlung, erst recht, wenn man den ausländischen Studenten nicht noch eine Bestechungssumme in den Arztkittel stecken muss. Einzige Hürde in der Praxis ist die Sprache: Von Beginn an wird den ausländischen Studierenden deshalb auch gleich das Rumänische beigebracht.
Welcher Studienstandort ist der beste?
Doch warum ist Medizinstudent Dominic Schlottmann ausgerechnet nach Rumänien gegangen? Er hätte auch gern in Tschechien oder Polen studiert. Nur fallen dort die Studiengebühren doppelt so hoch aus wie in Rumänien. Ob die Ausbildung in Prag oder Warschau auch doppelt so gut gewesen wäre, konnte ihm keiner sagen.
Mit seiner Entscheidung, im entfernteren Rumänien zu studieren, ist Schlottmann aber nicht allein. Gab es 2012 nur insgesamt 120 deutsche Studenten an der gesamten UMF in Cluj-Napoca, sind es jetzt genauso viele allein im ersten Studienjahr. Dekanin Buzoianu verwundert der steigende Andrang nicht. Als sie Ende der 1980er-Jahre ihr eigenes Studium an der UMF beendete, hatte sie bereits deutsche Studienkollegen - aus der DDR und Westdeutschland. "Unsere Ausbildung hier wird seit vielen Jahrzehnten geschätzt - auch in Deutschland."
Mitleidsvolle Blicke geerntet
Mit seinem Arztstudium in Cluj-Napoca kann Dominic Schlottmann eines Tages EU-weit als Mediziner arbeiten. In diesen Sommerferien hat der junge Mann einen Teil seiner Famulatur in einem deutschen Krankenhaus absolviert. "Junge, wo studierst Du denn?", fragte ihn das medizinische Personal. Als er von Rumänien erzählte, bekam er mitleidsvolle Blicke, fühlte sich wie ein Medizinstudent zweiter Klasse. Deswegen aufhören oder an der Entscheidung zweifeln? Keinesfalls. Schlottmann sagt sich: "Wichtig ist, was man selbst aus dem Studium macht."
Numerus Clausus (NC) Das Wort steht für "beschränkte Anzahl". Über den NC für Medizin werden in Deutschland rund 20 Prozent der Studienplätze vergeben. Sie gehen an die besten Abiturienten, die meist eine 1,0 oder 1,1 im Abi-Zeugnis stehen haben. Weitere 20 Prozent der Medizinstudienplätze werden nach Wartezeit vergeben. 60 Prozent der Plätze verteilen die Unis nach eigenen Kriterien. Sie müssen jedoch die Abiturnote immer berücksichtigen.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im: Radio | 04.10.2017 | 03:30 Uhr