Die Krim - ewiger Zankapfel
Hauptinhalt
20. Februar 2017, 09:17 Uhr
Erst "verschenkt", dann annektiert: Die Krim ist der Zankapfel zwischen Russland und der Ukraine. Denn sie hat eine ganz besondere Symbolkraft. Welche, hat Gwendolyn Sasse in ihrem Buch "Die Krim-Frage" aufgearbeitet.
Die Krim hat in ihrer wechselvollen Geschichte viele Herrscher gehabt. Warum ist die Halbinsel so wichtig?
Die Krim ist durch ihre geografische Lage eine sehr prägnante Halbinsel, die durch einen kleinen Landteil mit der Ukraine verbunden ist. Und so haben sich geschichtlich viele Völker über verschiedene Zeiträume dort aufgehalten. Dadurch stoßen dort heute verschiedene territoriale Ansprüche aufeinander, die sich aus der Geschichte speisen.
Im Zuge der Diskussionen um die Annexion der Krim durch Russland dominiert das Narrativ von der historisch "russischen Krim". Ist es so einfach?
Es ist auf jeden Fall das Narrativ, von dem wir am meisten hören. 1783 ist die Krim unter Katharina der Großen ins russische Reich eingegliedert worden. Aber vorher gab es jahrhundertelang eine Tatarenherrschaft. Zum Teil auch unter dem osmanischen Reich. Davon hören wir sehr viel weniger. Daraus werden auch Ansprüche der Tataren abgeleitet. Und dann kommt natürlich der Anspruch der Ukraine hinzu. Seit 1954 gehört die Krim zur ukrainischen Sowjetrepublik und damit seit dem Zusammenfall der Sowjetunion zur Ukraine.
Die "Schenkung" war 2014 ein Hauptargument Moskaus, die Krim wieder "heimzuholen". Veranlasst hatte die Schenkung 60 Jahre zuvor Nikita Chrustschow. Was weiß man über seine Motive? Es gibt unterschiedliche Sichtweisen und die Archivlage ist dünn.
Dass die Krim von Chruschtschow "verschenkt" wurde, gehört genau zu dem Narrativ der "russischen Krim". Man darf das aber nicht zu sehr personalisieren. An dieser Entscheidung waren mehrere Leute beteiligt. Was man aber sehen kann ist, dass Chrustschow die Idee schon früh in den Diskurs eingebracht hatte. Schon 1944 schlug er Stalin vor, die Krim der ukrainischen Sowjetrepublik zuzuschlagen. Und im Gegenzug dazu wollte man Ukrainer in russischen Gebieten ansiedeln. Daraus ist dann aber nichts geworden. Dann gibt es auch Berichte, dass Chruschtschow Anfang der Fünfziger Jahre auf die Krim gereist ist und gesehen hat, dass sie wirtschaftlich in desolatem Zustand war. So kam das wirtschaftliche Argument hinzu, dass man aus Kiew wesentlich effektiver den Wiederaufbau betreiben könnte.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb die Krim Teil der Ukraine. Zwischendurch hatte sich Russland mit diesem Zustand arrangiert. Warum hat sich das wieder geändert?
In den Neunziger Jahren gab es schon einmal einen Moment, 1993/94, als es auf der Krim zu einem Konflikt hätte kommen können. Das ist aber entschärft worden. Und das hat in großem Maße damit zu tun, dass Russland unter Boris Jelzin diesen Anspruch nicht formuliert hat und sich auf Verhandlungen eingelassen hat. Man hat die Unabhängigkeitsbewegung auf der Krim nicht aktiv unterstützt. Aber das ist 2014 sehr anders gewesen.
Wieso spielte die Krim-Frage in Russland auf einmal wieder eine so große Rolle?
Die Krim hat eine große Symbolkraft für die russische Politik, aber auch für die russische Kulturgeschichte. Daran haben auch viele russische Schriftsteller mitgewirkt. Puschkin und Tschechow zum Beispiel haben das Bild der Krim eng an ein russisches Nationalverständnis gebunden. Das sind zum Teil romantisierende Vorstellungen der Völkervielfalt auf der Krim. Das ist als Symbol der Krim tief verankert im russischen Bewusstsein. Dann brauchte es aber trotzdem noch einen politischen Schritt, um das zu aktivieren.
Nun ist die Krim nur eine von mehreren ehemals sowjetischen Regionen, die Russland als "russisch" ansieht. Warum hat es hier aber die Annexion riskiert aber woanders nicht, etwa in den baltischen Staaten?
Die baltischen Länder sind von Anfang an einen anderen Weg gegangen. Und das hat Moskau schon zu späten Sowjetzeiten anerkannt und sich früher von seinen Ansprüchen verabschiedet. Wir dürfen allerding nicht vergessen, dass es natürlich auch große russischsprachige Minderheiten im Baltikum gibt. Und da bleibt immer Potential, diese Themen wieder ins Gespräch zu bringen und so zu einer destabilisierenden Lage zu führen. Das heißt aber auf keinen Fall, dass Putin militärisch im Baltikum ähnliche Dinge versuchen wird wie im Donbass oder auf der Krim.
Man muss aber ganz klar sagen, dass die Mobilisierung der Krimbevölkerung in Moskau begann. Wir hören manchmal, dass es auf der Krim das Bestreben nach einer sogenannten Wiedervereinigung mit Russland gab. Dafür gab es 2014 auf der Krim politisch überhaupt keine Anzeichen. Die Krim war unter Janukowitsch genau wie der Rest des Südostens der Ukraine gut integriert. Russland hatte aber unter Putin, wie er später selbst gesagt hat, sehr konkrete Pläne. Und das hat man in der Umsetzung auch gesehen. Das ist gut vorbereitet gewesen. Man hat eine politische Gelegenheit genutzt, als Kiew nicht auf die Krim geschaut hat, weil die Ukraine durch den Euromaidan im Umbruch war.
Denken Sie, dass es auch andernorts zu ähnlichen Entwicklungen kommen kann?
Ich glaube, die Krim hat da eine einzigartige Rolle. In anderen Gebieten reicht es aus russischer Perspektive, Einfluss zu haben. Einfluss kann man entweder militärisch über Separatisten ausüben, wirtschaftlich oder durch Medien. Dem territorialen Anspruch auf die Krim kommt aber eine singuläre Rolle zu.
Die Krim ist nun verwaltungstechnisch - wenn auch international nicht anerkannt - ein Teil der Russischen Föderation. Wird sich das Ihres Erachtens auf absehbare Zeit ändern?
Auf absehbare Zeit wird sich da nichts verändern. Das wird natürlich aus westlicher Perspektive nicht akzeptiert werden und die Sanktionen bestehen ja auch noch. Die knüpfen sich ja unter anderem an die Krim, nicht nur an den Donbass. Aber an der Lage auf der Krim wird sich erst einmal in der Praxis nichts ändern. Dafür müsste sich meines Erachtens erst einmal in Russland die politische Lage ändern. Erst dann ist vielleicht eine Konstellation möglich, die eine Neuverhandlung des Status der Krim möglich machen könnte.
Gwendolyn Sasse lehrt Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Universität Oxford und ist seit 2016 Direktorin des neu gegründeten Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin. In ihrem 2007 erschienenem Buch "Die Krim-Frage" erforscht sie die wechselhafte Geschichte der Halbinsel und die Hintergründe der umstrittenen "Schenkung" der Krim an die Ukrainische Sowjetrepublik im Jahre 1954.