Korruption in der Ukraine Gekaufte Macht
Hauptinhalt
10. Dezember 2018, 17:20 Uhr
In wenigen Monaten wählt die Ukraine. Eines der Top-Themen im Wahlkampf: Korruptionsbekämpfung. Doch trotz vieler Reformen, bestimmen alte Mechanismen Macht und Einfluss. Wählerstimmen und Parlamentsplätze sind käuflich, die Aufklärung bei der Korruptionsbekämpfung stockt. Eine Bilanz.
"Korruption bekämpfen": Dieses Wahlversprechen hat dem ukrainischen Oligarchen Petro Poroschenko im Mai 2014 zum Präsidentenamt verholfen. Seitdem gab es etliche Reformen, neue Behörden wurden geschaffen und die Korruption ist zurückgegangen. "Doch noch immer gibt es große Probleme", bilanziert Vitali Shabunin vom Aktionszentrum gegen Korruption an einem verregneten Wintertag in Kiew. Denn alles sei käuflich, sogar ein Platz im Parlament.
Gekaufte Stimmen und gekaufte Parlamentsplätze
Wie sich Oligarchen politischen Einfluss sichern, das erklärt der 33-jährige Anti-Korruptions-Aktivist HEUTE IM OSTEN bei einem Besuch an zwei Beispielen der letzten Wahl: Die erste Möglichkeit sei es, sich einfach Wählerstimmen zu kaufen, indem man einen Wähler als Kampagnenführer anstelle und ihm Geld dafür gebe, für einen bestimmten Kandidaten zu werben und zu wählen. "Und bei einem Sieg bekommt man sogar noch 20 Prozent mehr Geld oben drauf. Das ist schon eine sehr gute Motivation. Und von solchen Vereinbarungen gab es Tausende beim letzten Wahlkampf", so der Aktivist.
Die zweite Option sei es, sich über einen Listenplatz einzukaufen. So werden in der Ukraine die Hälfte der mehr als 400 Sitze über eine Listenwahl vergeben. "Und wer ganz oben auf der Liste steht, bekommt garantiert einen Platz im Parlament", sagt Shabunin.
Es gibt viele, die ihre Plätze im Parlament einfach gekauft haben. Sie haben noch nicht einmal einen Kampagne gemacht. Das zieht sich über fast alle Parteien hinweg.
Dem Aktivisten zufolge lagen die Preise für einen Listenplatz bei der letzten Wahl "zwischen drei und fünf Millionen Euro". Belegen will er diese Behauptung nicht, schließlich müsse er seine Quellen schützen. Nur soviel: Er kenne die Leute, die das Geld gegeben und auch die, die das Geld genommen haben. "Sie bezahlen immer in bar", so Shabunin. Ziel sei es, sich damit entweder Einfluss im Parlament oder Immunität zu erkaufen, um unrechtmäßiges erworbenes Geld zu verschleiern.
Korruption - "ein systematisches Problem"
"Solche informellen Praktiken untergraben die Politik", kritisiert auch der Politikwissenschaftler und Ukraine-Experte Andreas Umland. Er lebt seit Jahren in Kiew, forscht zu den Reformen im Land und sieht ein Problem darin, dass das Wahlrecht nicht reformiert wurde:
"Damit haben sich heutige Abgeordnete Stimmen oder Listenplätze für Millionen von Dollar gekauft. Das ist weit verbreitet und betrifft vor allem die zweite Reihe, entweder direkt Geschäftsleute oder indirekt Strohmänner. Das war Poroschenkos Hauptfehler und ist sein prominentestes Erbe."
Umland schlägt vor, das Wahlrecht zu reformieren, die Listen zu öffnen, mehr Macht auf die lokalen Regierungen zu verteilen und härter gegen korrupte Politiker vorzugehen. "Es dürfte keine Garantie mehr dafür geben, dass man mit Geld ins Parlament kommt", so der Politikwissenschaftler.
Korruption im Alltag
Doch Korruption ist kein reines Phänomen staatlicher Eliten. Sie ist auch im ukrainischen Alltag zu beobachten.
Das fange schon bei der Geburt an, erzählt die Anwältin und Aktivistin Iryna Shyba zu Beginn ihrer "Anti-Korruptions-Tour" durch die Kiewer Innenstadt: Wer eine gute Behandlung für sein Kind im Krankenhaus wolle, der müsse dem Arzt dafür auch entsprechendes Geld zuschieben. Gleiches gilt, wenn man selbst einmal krank werden sollte: So helfe eine Schokolade oder ein guter Cognac beim Arztbesuch, so die 26-Jährige.
Auf staatlicher Ebene hat sich etwas getan, zum Beispiel wurde eine neues System eingeführt, das Ausschreibungen transparenter machen soll. Doch Korruptionsskandale gibt es weiterhin, das weiß auch die junge Anwältin: So habe das Kiewer Krebszentrum vor zwei Jahren 30 überteuerte Wischmops für 100 Euro das Stück gekauft. Von dem Deal profitierte ein Verwandter aus dem Umfeld des stellvertretenden Gesundheitsministers, erklärt Shyba.
Aufklärung nur stockend
In solchen Fällen zu ermitteln und aktiv Korruption aufzuspüren, das ist die Aufgabe des neu geschaffenen Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU). Für viele, wie den Politikwissenschaftler Umland oder den Aktivisten Shabunin, ist die Arbeit dieser Behörde eine Erfolgsgeschichte. Doch es gibt einen Haken: Denn die Ermittlungsbehörde entscheidet nicht, ob es zu einem Prozess kommt. Das ist Aufgabe der ebenfalls neu installierten Speziellen Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (SAPO). Sie hat am Ende das Sagen. Wenn sich NABU und SAPO nicht einig sind, kommt es auch nicht zu einem Prozess.
Nicht selten ist das der Fall. Erst kürzlich machte das Aktionszentrum um Vitali Shabunin 13 Fälle öffentlich, die trotz Ermittlungen des Antikorruptions-Büros fallen gelassen wurden oder kurz davor stehen. Sie machen den Chef der Antikorruptions-Staatsanwaltschaft, Nazar Kholodnytskyi, persönlich dafür verantwortlich und fordern dessen Absetzung: "Kholodnytskyi ist der beste Freund korrupter Politiker", so das Aktionszentrum in einem Statement.
Neue Behörden, alte Mechanismen
Bis Mitte nächsten Jahres soll ein spezielles Antikorruptionsgericht seine Arbeit aufnehmen. Doch auch da gebe es die Angst, dass es durch informelle Praktiken unterwandert würde, so der Wissenschaftler Umland.
Mangelnde Aufklärung, alte Strukturen und der Einfluss von Oligarchen erschweren den Kampf gegen die Korruption im Land - trotz zahlreicher Reformen. Das Ergebnis ist Vertrauensverlust und Resignation in der Bevölkerung. Korruptionsbekämpfung bleibt also auch bei der kommenden Wahl eines der großen Themen.
Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im TV: MDR | 06.04.2018 | 17:45 Uhr