Gefangene des Systems: Korruptionsjäger in der Ukraine
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07. Dezember 2018, 15:02 Uhr
Unter Präsident Petro Poroschenko hat sich die Ukraine die Bekämpfung der allgegenwärtigen Korruption auf die Fahne geschrieben. Doch selbst die eigens dafür geschaffene Behörde bekommt Gegenwind vom Staat.
Geübt steuert Maxim Proporenko seine Kameradrohne über das Häusergewirr mitten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Das Ziel des 28-jährigen ist ein luxuriöser mehrstöckiger Neubau. Darin residiert ein ukrainischer Staatsanwalt mit seiner Familie. Von seinem Gehalt alleine hätte dieser das Gebäude aber niemals bezahlen können, ist sich Proporenko sicher.
Hier sieht man nur das Haus. Doch dieser Staatsanwalt besitzt noch mehr, einen regelrechten Fuhrpark. Zum Beispiel Motorräder von Harley Davidson und BMW.
Das haben Proporenko und seine Mitstreiter von der Nichtregierungsorganisation "AutoMaidan" vorab recherchiert. Ehrenamtlich "jagen" die Aktivisten korrupte Politiker und andere Staatsbedienstete. Finanziert wird ihre Arbeit durch Spendengelder. Die Recherchequellen der Aktivisten: Anonyme Tipps, öffentlich zugängliche Einkommenssteuererklärungen und ihre Kameradrohnen.
Korruption in allen Lebensbereichen
"Wir schauen, ob die Daten aus den Steuererklärungen mit der Qualität der Häuser übereinstimmen", erklärt Olexej Grisenko, der AutoMaidan leitet: "Dann recherchieren wir, wo sich die Grundstücke befinden, fahren hin und starten die Drohnen." Diese enthüllen dann Außergewöhnliches, wie dutzende YouTube-Videos der Aktivsten beweisen. Zu sehen sind darauf gigantische Anwesen, protzige Villen und ganze Fuhrparks an Edelkarossen.
Die tausendfach geklickten Videos sind eine bildstarker Beleg für die landesweit grassierende Korruption, die sich durch alle Lebensbereiche zieht. Staatsanwälte, Ärzte, Hochschullehrer: alle nehmen mehr oder minder hohe Bestechungssummen an. Selbst der stellvertretende Verteidigungsminister wurde jüngst wegen Bestechlichkeit festgenommen.
Bis heute gilt die Ukraine als eines der korruptesten Länder Europas. Auf dem weltweiten Korruptionsindex der Nichtregierungsorganisation "Transparency International" belegt das Land Platz 130 von 180 - gleichauf mit Sierra Leone. Das sollte sich längst geändert haben.
Behörde mit Sondereinsatzkommando
Ein Jahr nach seinem Wahlsieg 2014 ließ der neue Präsident Petro Poroschenko das "Nationale Antikorruptionsbüro" (NABU) gründen, auch weil die Europäische Union das Land dazu drängte. 250 Ermittler beschäftigt die Behörde, alle wurden von der amerikanischen Bundespolizei FBI geschult. Insgesamt arbeiten 650 Menschen für das NABU, darunter ein eigenes Spezialeinsatzkommando für die Festnahmen von Verdächtigen. Die vermummten Beamten haben sogar ein Panzerfahrzeug für besonders schwierige Einsätze.
Wie schnell es ernst werden kann, dokumentieren Videoaufnahmen des NABU von einer Hausdurchsuchung bei einem Richter. Aus dem Obergeschoss schießt dieser auf die hereinstürmenden Beamten und versucht dann über ein Seitenfenster zu fliehen. In seinem Büro finden die NABU-Männer 500.000 Hriwna Schmiergeld, umgerechnet etwa 15.000 Euro. Das entspricht dem Fünffachen eines durchschnittlichen ukrainischen Jahreseinkommens.
"Leider ist unter den gegenwärtigen ukrainischen Bedingungen diese Abteilung notwendig. Ohne diese Sondereinheit kommen wir nicht aus", sagt der NABU-Leiter Artjom Sytnik. Doch der Widerstand kommt nicht nur von den korrupten Staatsbediensteten, die die Behörde direkt verfolgt, sondern von einflussreicher Stelle.
Machtkampf mit Generalstaatsanwaltschaft
Denn bis zur Gründung des NABU ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft gegen korrupte Beamte – auffallend oft endete das ergebnislos. Laut Angaben von der Nichtregierungsorganisation "Transparency International" gibt es Beweise, dass Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft Beamte vorwarnen, wenn dieses ins Visier des NABU geraten.
Auch zur direkten Konfrontation der beiden Behörden kam es bereits. Im vergangenen Winter nahmen Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft mehrere NABU-Detektive in deren Büro ohne Erklärung fest. Daraufhin riefen Mitarbeiter des NABU ihre Sondereinsatzkräfte zu Hilfe. Es kam zu einem Handgemenge vor dem Gebäude, das von Überwachungskameras dokumentiert ist.
Schützende Hand von höchster Stelle?
Als Folge wurde ein Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft entlassen. Deren Leiter Jurij Luzenko ist jedoch weiterhin im Amt. Er gilt pikanterweise als enger Freund des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Der geriet jüngst selbst durch Enthüllungen eines Investigativjournalisten in Bedrängnis. Zum Jahreswechsel hatte der Präsident mit seiner Familie einen geheimen Luxusurlaub auf den Malediven verbracht. Dafür sollen Staatsbedienstete die Poroschenkos mit gefälschten Pässen versorgt haben. Der Skandal sorgte wochenlang für öffentliche Empörung.
Auch die Ermittlungen des NABU gefallen nicht allen im Staatsapparat: Anfang des Jahres wollte das Parlament die Antikorruptionsbehörde per Gesetz entmachten. Erst Interventionen der Europäischen Union stoppten das Vorhaben. Doch die Folgen der NABU-Ermittlungen bleiben überschaubar. Endgültig verurteilt werden gerade einmal zehn Prozent der beschuldigten Beamten, schätzen die Aktivisten von Automaidan.
Selbstbewusstsein korrupter Beamter
Daher würden sich viele weiterhin sicher fühlen und ihren illegal angehäuften Protz ungeniert zur Schau stellen, zeigen die Aufnahmen der Antikorruptionsorganisation aus Kiew. Deren Aktivist Maxim Proporenko wird auch seine neuesten Drohnenaufnahmen des Anwesens vom Staatsanwalt mit der stattlichen Motorradsammlung bald online stellen. Doch selbst Proporenko ist skeptisch, ob er auf diese Art und Weise das System grundlegend verändern kann:
Die meisten dieser korrupten Personen wissen, dass sie Immunität besitzen und unantastbar sind. Sie haben keine Angst vor Aktivisten und Journalisten wie uns. Denn sie können nur vom Präsidenten entlassen werden.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 06.04.2018 | 17:45 Uhr