Sankt Petersburg Kathedrale zu verschenken

27. Januar 2017, 19:10 Uhr

In Sankt Petersburg streitet man über die schönste Kathedrale der Stadt – die Isaakskathedrale. Stadtgouverneur Georgi Poltawtschenko will sie an die Russisch-Orthodoxe Kirche übergeben. Viele Bürger sind empört. Am Samstag soll es wiederholt einen Protest dagegen geben. Mindestens 5.000 Demonstranten werden erwartet.

Die zwischen 1818 und 1858 erbaute Kathedrale bedeutet viel für die Bewohner der Stadt. Sie ist eines ihrer bekanntesten Wahrzeichen und wird jährlich von mehr als drei Millionen Touristen aus aller Herren Länder besucht. Wie das gesamte historische Zentrum Sankt Petersburgs steht die Kathedrale unter UNESCO-Schutz.

Kathedrale trägt sich selbst

Sie zählt auch zu den meistbesuchten Baudenkmälern der Stadt – und ist dabei das einzige, das sich seinen Unterhalt selbst "verdienen" kann. Nach Angaben von Museumsdirektor Nikolai Burow werden durchschnittlich pro Jahr rund 650 Millionen Rubel Eintrittsgelder eingenommen, umgerechnet gut zehn Millionen Euro. Das reicht aus, um die notwendigen Restaurierungsarbeiten zu finanzieren und sogar einen kleinen Überschuss an den städtischen Haushalt abzuführen.

Experten kritisieren Übernahme

Kommt der Bau in kirchliche Trägerschaft, wird es damit vorbei sein, fürchten viele. Denn die Kirche darf und will keine Eintrittsgelder kassieren – derzeit rund 250 Rubel pro Person, also knapp vier Euro. Und so werden Staat und Stadt einspringen müssen, um den Unterhalt der Kathedrale zu sichern.

Außerdem fürchten viele, dass das Museum, das sich derzeit in der Kathedrale befindet, geschlossen wird, und dass sich um die Kathedrale nicht ausreichend gekümmert wird. Tatjana Tschumakowa, gebürtige Petersburgerin und Professorin am Lehrstuhl "Philosophie und Religion" an der Staatlichen Universität, führt andere Objekte, die in der Vergangenheit bereits an die Kirche übergeben worden sind, als Beleg an: "Schauen Sie die Kirchen in der Wladimirskaja Oblast an, die Stadtgouverneur Georgi Poltawtschenko alle an die Russisch-Orthodoxe Kirche übergeben hat. Sie verfallen alle!"

Viele Kritiker sind außerdem der Meinung, es gehe hier ohnehin nicht um Spiritualität, sondern ums Geld. Für die Kirche werde die Isaakskathedrale zu einer "Melkkuh", die fortlaufend Gewinne abwerfe. Zwar würden keine Eintrittsgelder mehr kassiert, aber die Kirche werde dort einen schwunghaften Handel mit Devotionalien, Kerzen, kirchlicher Architektur und ähnlichen Dingen starten, ist die Philosophin überzeugt. "Das Unangenehmste daran ist, wie habgierig sich die Kirche zeigt", sagt Tschumakowa.

Befürworter sehen Wiedergutmachung

Doch es gibt auch Befürworter der geplanten Übergabe. Die Kirche sei in der Sowjetunion verfolgt worden, argumentieren sie. Nun werde das wiedergutgemacht, die Übergabe der Isaakskathedrale sei ein Akt historischer Gerechtigkeit. Dazu gibt es auch ein spezielles Gesetz von 2010. Damals beschloss die russische Staatsduma die Rückgabe nach der Oktoberrevolution enteigneter kirchlicher Immobilien. Doch – dieses gilt für die Isaakskathedrale nicht. Denn die hat noch nie der Kirche gehört: Auch in der Zarenzeit war sie als "erste Kirche des Landes" im staatlichen Besitz und wurde von diesem finanziert. Seit 1871 war das Innenministerium für den imposanten Bau zuständig.

Schon damals gab es übrigens Begehrlichkeiten seitens der Kirche: Bereits 1861 stritt man darüber, wem das Gotteshaus gehören soll. Damals zog die Kirche den Kürzeren, die Isaakskathedrale blieb Staatseigentum. Die Begründung damals: Der Unterhalt einer so einzigartigen Kathedrale sei für die Kirche viel zu teuer. Diesmal aber scheint die Kirche gewonnen zu haben. Trotz aller Gegenargumente und Proteste soll die Kathedrale der Kirche gehören. Genauer gesagt: für 49 Jahre in ihre kostenlose Nutzung übergehen.

Kirche und Staat wird als Einheit wahrgenommen

Alexei Solomin, Journalist von "Echo von Moskau"
Journalist Solomin: Kirche ist konservative Kraft. Bildrechte: Alexei Solomin

1918 erließ Lenin ein Dekret über die Trennung von Staat und Kirche. Doch nun scheint sich ein neues Bündnis zwischen Thron und Altar abzuzeichnen. "Die meisten Menschen in Russland nehmen gar nicht wahr, dass Kirche und Staat voneinander getrennt sind. Sie werden als eine Einheit wahrgenommen. Deswegen ist die Übergabe der Kathedrale nichts besonders Aufregendes, so als würde man etwas aus einer Tasche nehmen, um es in die andere zu stecken",  meint der Journalist von "Echo Moskwy" Alexej Solomin.

Der Konflikt um die Isaakskathedrale stehe symptomatisch für die wachsende Rolle der Kirche im russischen Staat, der ihren Segen bekomme und in ihrem Namen agiere. Der Journalist findet das verheerend: "Die Kirche ist eine konservative Kraft, die für eine progressive demokratische Gesellschaft selbstverständlich eine Gefahr darstellt", sagt Solomin.