20. Jahrestag NATO-Einsatz in Jugoslawien: Der Sündenfall?
Hauptinhalt
27. März 2019, 11:10 Uhr
Vor 20 Jahren begann die NATO mit der Bombardierung Jugoslawiens, offiziell zum Schutz der Kosovo-Albaner. Mit dabei: die Bundeswehr. Bis heute gibt es Zweifel an der Legitimität des Einsatzes. Zu Recht, meinen Völkerrechtler.
Am 24. März 1999 begannen 19 NATO-Mitgliedsstaaten mit 200 Flugzeugen, militärische und zivile Ziele in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien zu bombardieren. Zuvor waren Friedensverhandlung zwischen der jugoslawischen Führung, Vertretern der Kosovo-Albaner, westlichen und russischen Unterhändlern gescheitert. Die NATO-Vertreter wollten die Regierung in Belgrad dazu zwingen, ihren Einsatz in der abtrünnigen Provinz Kosovo zu beenden und internationale Truppen ins Land zu lassen. Die geforderten Zugeständnisse, wie eine freie Bewegung von NATO-Truppen in Jugoslawien, sah die Führung in Belgrad als unzumutbar an.
Hintergrund der Verhandlungen war der blutige Konflikt zwischen jugoslawischer Armee und Untergrundkämpfern der kosovarischen Freiheitsbewegung UÇK. Dabei soll es vonseiten jugoslawischer Truppen auch zu ethnischen Säuberungen an den Kosovo-Albanern gekommen sein. Diese wollten die westlichen Unterhändler durch ein Abkommen stoppen, um ein "zweites Srebrenica" zu verhindern. In dem gleichnamigen Ort in Bosnien hatten im Juli 1995 ethnisch serbische Polizei- und Militäreinheiten einen heute gerichtlich bewiesenen Völkermord an bis zu 8.000 muslimischen Männern und Jungen begangen, ohne dass die in der Nähe stationierten UN-Blauhelmsoldaten eingegriffen hatten.
Einen erneuten Genozid zu verhindern war auch die Begründung der rot-grünen Bundesregierung für den Einsatz gegen Jugoslawien. Die Bundeswehr beteiligt sich im Rahmen der NATO-Angriffe zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges an einem Kampfeinsatz. Jedoch hatte die NATO kein Mandat der Vereinten Nationen und es bestand auch kein Bündnisfall im Sinne der NATO-Verträge. Völkerrechtlich ist der Einsatz in Jugoslawien deshalb höchst umstritten, sagt der Jurist Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg. Er lehrt unter anderem Europa- und Völkerrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).
Heute im Osten: Die Bombardierung Jugoslawiens war die erste NATO-Operation ohne UN-Mandat. Das war damals bereits rechtlich umstritten. Wie fällt die Einschätzung heute aus?
Wolff Heintschel von Heinegg: An der Einschätzung hat sich nicht allzu viel geändert. Denn die vorherrschende Auffassung unter Völkerrechtlern und auch in der Politik ist die, dass eine humanitäre Intervention keine anerkannte Ausnahme vom Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen sei.
Es gibt aber immer wieder mal Ansätze, zum Beispiel auch der britischen Regierung mit Blick auf Syrien, bei denen dann die humanitäre Intervention wieder ins Spiel gebracht wird. Da sind einige der Auffassung, es sei mittlerweile hinreichend Staatenpraxis vorhanden, so dass man von einer gewohnheitsrechtlichen Ausnahme ausgehen könne. Das ist aber eine Minderheitenmeinung.
Das heißt, dass die NATO und damit auch die Bundeswehr völkerrechtswidrig einen Angriffskrieg durchgeführt haben?
Das wäre die Mehrheitsmeinung, das stimmt. Allerdings müssen wir folgendes bedenken: Die Situation im ehemaligen Jugoslawien war ja wirklich dergestalt, dass wir hier von systematischen ethnischen Säuberungen ausgehen mussten und das war ja auch damals unumstritten. Hätte man auf diese Situation nicht reagiert, dann wäre es wahrscheinlich zu schlimmeren Ausschreitungen gekommen und möglicherweise wären dann die Kosovo-Albaner zumindest im Überleben gefährdet gewesen.
Das ist ja auch der Grund, warum viele dann versucht haben, den Einsatz über Legitimitätsüberlegungen zu rechtfertigen. Sie müssen sich aber eins vor Augen halten: Wenn man Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz schickt und die Regierung sich nicht einmal ein kleines bisschen Mühe gibt, um eine völkerrechtliche Grundlage für einen solchen Einsatz anzubieten, dann ist das natürlich höchst bedenklich.
Der damalige Außenminister Joschka Fischer hat genauso wie der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping immer wieder den Begriff der "humanitären Katastrophe" benutzt. Fischer bezog sich in seiner berühmten Kosovo-Rede sogar auf das Konzentrationslager Auschwitz. Hat man sich damit auch moralisch angreifbar gemacht, weil man in einem historischen Kontext argumentierte und nicht nur im speziellen Kontext des Kosovo?
Das hat man ja versucht. Man hat immer wieder betont, es handele sich um einen Einzelfall und nicht um einen Präzedenzfall. Allerdings haben wir dann zum Beispiel mit Blick auf die Russische Föderation gesehen, dass deren Regierung sich die Argumente des Kosovo-Einsatzes später zu Eigen gemacht hat und dann beispielsweise die Krim annektiert hat und sich sehr stark an den Feindseligkeiten in der Südostukraine beteiligt hat.
Das heißt, wenn man so etwas macht, dann muss man sich Klaren sein, dass andere Staaten das aufgreifen und auch für ihre Zwecke und Interessen verwenden. Und das hat man damals einfach nicht bedacht. Man war zu kurzsichtig und hat sich letztlich nicht allzu viel darum gekümmert.
Kann man aus dem Fall Jugoslawien heute dennoch etwas Positives ableiten? Etwa wie man künftig in ähnlichen Konflikten rechtlich und moralisch korrekt eingreifen könnte?
Daran glaube ich nicht. Wenn Sie mich das mal so salopp sagen lassen: Der Zug ist abgefahren, spätestens seit dem Libyeneinsatz. (internationaler Militäreinsatz in Libyen zur Einrichtung einer Flugverbotszone im Jahr 2011, Deutschland hat sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthalten. Anm. d. Red.). Damals gab es zwar eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, aber einige beteiligte Staaten haben davon sehr extensiv Gebrauch gemacht. Wir werden jedenfalls in absehbarer Zeit keine einheitliche Staatenpraxis haben, die auch die Russische Föderation oder die Volksrepublik China mit einbeziehen wird.
(ahe)
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 22.03.2019 | 17:45 Uhr