Denkmal-Streit in Polen Denkmal-Sanierer Jerzy Tyc: Diese Politik gefährdet den Frieden
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06. Oktober 2017, 16:00 Uhr
Jerzy Tyc hat einen Verein gegründet, der sich um die Denkmale zu Ehren der Roten Armee in Polen kümmert. 230 gibt es noch Schätzungen zufolge, an vielen hat der Zahn der Zeit genagt. Tyc und Mitstreiter haben bislang 27 solche Denkmale saniert. Doch nun tritt ein Gesetz in Kraft, dass deren Entfernung vorschreibt – spätestens bis Oktober 2018.
Woher kam die Idee, sowjetische Ehrenmale zu erneuern?
Meine Familie hat im Zweiten Weltkrieg sehr unter der deutschen Besatzung gelitten. Der Bruder meiner Mutter wurde von den Deutschen erschossen, meine Mutter und eigentlich das ganze Dorf wurden von sowjetischen Soldaten gerettet. Deshalb versuche ich, um den guten Ruf der Roten Armee zu kämpfen.
Wie sieht die Arbeit in der Praxis aus?
Der Verein selbst, als juristische Person, hat nur drei Mitglieder, es gibt aber polenweit etwa 100 bis 150 Personen, auf die ich mich jederzeit verlassen kann. Einige Denkmäler habe ich selbst mit eigenen Händen innerhalb von wenigen Tagen renoviert. Ich bin gut organisiert und habe eine starke Motivation, habe das ja für meine Mutter getan, um den russischen Soldaten zu danken, die meine Mutter im Krieg gerettet haben. Und oft braucht man dafür kein großes Kapital, sondern man muss da hinfahren, Geld für Sprit auftreiben, Werkzeug organisieren. Da ich Erfahrung auf dem Bau habe, kann ich vieles selbst machen, und überall helfen mir Anwohner. Nicht immer bedarf es großer Geldmittel, manchmal reicht es, das Denkmal zu säubern und neu zu streichen. Und wenn wir vor Ort sind, schlafen wir in unseren Autos oder Zelten, geben kein Geld für unnötige Dinge aus. Und so haben wir bis jetzt 27 Denkmale und 5 Friedhöfe saniert.
Was halten Sie von der Idee, solche Denkmäler abzureißen?
Meiner Meinung nach ist das nur ein weiterer Schritt im Kampf gegen Russland. Es gibt überhaupt keine historische Begründung dafür. Die historischen Tatsachen sind ganz anders: Die Rote Armee und auch polnische Soldaten, die mit der Roten Armee zusammen kämpften, haben unser Land vom Faschismus befreit und Polen als eigenständigen Staat wiederhergestellt.
Viele Polen und auch die Regierung sind aber der Meinung, dass solche Ehrenmale Symbole einer Fremdherrschaft sind …
Ich bin 50 Jahre alt, Jahrgang 1967. Ich bin in diesem Land aufgewachsen, zur Schule gegangen und war ein glücklicher Mensch. Ich hatte nie das Gefühl, unter einer Besatzung zu leben. Das ist ein Mythos, der im politischen Kampf genutzt wird. Ich war damals Soldat innerhalb des Warschauer Vertrags, unser Land war damals so sicher wie zu keiner anderen Zeit in seiner ganzen Geschichte, wir waren in einem starken Militärbündnis, hatten eine schlagkräftige Armee und niemand hat uns bedroht.
Es ist aber auch Tatsache, dass unmittelbar nach dem Krieg der durchziehenden Front NKWD-Einheiten folgten und eine Zeit von Verhaftungen und Repressionen folgte, mit politisch motivierten Schauprozessen und regelrechten Gerichtsmorden …
Man kann den Soldaten nicht die Dinge anlasten, die nach dem Krieg passiert sind. Man kann ihnen nicht die Verbrechen des NKWD und anderer Sondereinheiten anlasten. Diese Soldaten haben genauso einen Leidensweg hinter sich gebracht wie die Zivilbevölkerung. Man kann also überhaupt nicht sagen, die sowjetischen Soldaten würden keine solche Würdigung durch ein Ehrenmal verdienen. Und in der Roten Armee haben nicht nur russische Soldaten gedient, sondern auch Soldaten aus der Ukraine, Tadschikistan, Kasachstan, verschiedene Nationalitäten. Und sie sind jetzt alle durch die Politik der polnischen Regierung, die zu einem Abriss dieser Objekte führt, gewissermaßen geschädigt. Diese Politik gefährdet den Frieden, und ich bin der Meinung, unsere Arbeit ist Arbeit für den Frieden – zwischen Polen und Russland, und auch anderen Ländern.
Da erübrigt es sich fast zu fragen, wie Sie die derzeitigen polnisch-russischen Beziehungen einschätzen …
Polen lebt momentan in zwei Parallelwelten. Es gibt die Welt der Regierung und die Welt der normalen Menschen. Die Regierung nimmt die Meinung des Volkes nicht zur Kenntnis, macht sich nichts aus Menschen, die andere Meinungen vertreten. Die Regierenden sind überzeugt, dass sie die Klügsten sind und alles richtig machen. Doch da sie in Warschau bleiben, haben sie keine Ahnung, wie die Stimmung draußen im Land ist und wie die Menschen über die Zerstörung der sowjetischen Ehrenmale wirklich denken. Wir haben vor Kurzem das Denkmal in Mikolin wieder eingeweiht und da habe ich gesehen, was die Menschen wirklich denken: Es kamen Vertreter der Verwaltung, Anwohner, Angehörige der russischen und der deutschen Minderheit. Alle haben eindeutig gesagt, bitte lassen Sie das Denkmal in Ruhe.
Über dieses Thema berichtet HEUTE IM OSTEN auch im TV : MDR Aktuell | 06.10.2017 | 17.45 Uhr