Artur Zawadka, Historiker vom Polnischen Institut für Nationales Gedenken, Warschau
Artur Zawadka, Historiker vom Polnischen Institut für Nationales Gedenken Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Denkmal-Streit in Polen Abriss-Befürworter Artur Zawadka: Die Denkmäler sind ein Herrschaftssymbol

06. Oktober 2017, 16:18 Uhr

Artur Zawadka ist Historiker am Polnischen Institut für Nationales Gedenken in Warschau. Er ist der Meinung, dass die sowjetischen Ehrenmale in Polen nach dem Krieg als Symbol des Herrschaftsanspruches der Sowjetunion über sein Land errichtet wurden und deswegen entfernt werden müssen.

Warum reagieren die Russen so emotional auf das Gesetz, das den Abriss der sowjetischen Ehrenmale vorschreibt? Russland hat mit Wirtschaftssanktionen und Einreiseverboten für Politiker gedroht …

Die Russen reagieren deshalb so, weil sie dieses Thema für ihre Innenpolitik nutzen. Die Nation wird nach wie vor vom Mythos des Großen Vaterländischen Krieges zusammengehalten. Und gemäß diesem Mythos hat die Rote Armee Europa vom Faschismus befreit. Allerdings vergessen die Russen allzu gern, dass die Sowjetunion und das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg mit einem gemeinsamen Angriff auf Polen begannen. Deutschland hat Polen am 1. September überfallen und Sowjetrussland griff Polen dann am 17. September an – ohne Kriegserklärung, unter Missachtung aller Regeln des internationalen Rechts. Die Hälfte des polnischen Territoriums hat sich die Sowjetunion einverleibt und die polnische Bevölkerung hatte die ganze Kriegszeit hindurch zu leiden. Tausende wurden nach Sibirien deportiert und einige Tausend polnische Offiziere in Katyn und Miednoje ermordet.

Kann man das auch so deuten, dass Russland versucht, seinen Einfluss in Polen zurückzugewinnen oder zumindest das, was vom einstigen Einfluss noch sichtbar ist, um jeden Preis zu erhalten?

Ich denke schon. Denkmäler sind immer auch ein Symbol der Herrschaft über ein bestimmtes Territorium. Es ist kennzeichnend, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zuallererst eben diese sowjetischen Ehrenmale gebaut wurden, und zwar aus guten, höherwertigen Materialien wie Beton und Ziegelsteinen, die Gedenkorte für Polen, die von deutschen Besatzern ermordet wurden, dagegen erst später und mit schlichten Holzkreuzen versehen wurden. Das war eine Vereinnahmung des öffentlichen Raumes, sie sollte zeigen, wir sind die neuen Herrscher des Landes, ihr sollt uns lebenslänglich dankbar sein dafür, dass wir euch von der deutschen Besatzung befreit haben.

War das keine Befreiung?

Die Rote Armee hat Polen nicht deshalb befreit, um einen unabhängigen polnischen Staat wiederherzustellen, sondern um Polen Moskau zu unterwerfen. Deshalb muss man diese Denkmäler entfernen, denn sie sind eben ein Herrschaftssymbol.

Wäre es aber nicht schlauer, zu sagen, es sind so viele Jahrzehnte inzwischen vergangen, warum sollte man jetzt darüber noch mit Russland streiten, wir lassen die Geschichte Geschichte sein?

Wir streiten nicht mit Russland, wir setzen unsere eigene Geschichtspolitik um. Wir stellen die Ehre von echten Helden wieder her, die um die Freiheit Polens gekämpft haben. Das richtet sich in keinster Weise gegen Russland. Russland setzt ebenfalls seine eigene Geschichtspolitik um, die auf Unverständnis in allen Ländern Mitteleuropas stößt, denn Russland versucht seine Sicht der Dinge aufzuzwingen, was den Zweiten Weltkrieg betrifft. Die Russen stellen das so dar, dass alle von der Roten Armee befreit wurden. Sie verschweigen aber die grundlegende Tatsache, dass es keine Befreiung war, sondern eine erneute Unterwerfung, eine Erweiterung des sowjetischen Einflussbereichs. Die eine Besatzung wurde gegen eine andere getauscht. Und jetzt versucht Russland uns dazu zu bringen, dass wir dankbar sein sollen.

Vielleicht hat der kleine Soldat, der in Polen gefallen ist und mit der großen Politik nichts zu tun hatte, aber doch ein wenig Dankbarkeit verdient?

Polen ist den konkreten Soldaten, die gefallen sind, dankbar und kümmert sich um die Soldatenfriedhöfe. Denn wir sind der Meinung, dass diese einfachen Soldaten ebenfalls Opfer eines totalitären Regimes sind, sie wurden zwangsweise in die Rote Armee eingezogen und viele von ihnen hatten überhaupt nichts zu sagen, als sie nach Polen kamen, sie befolgten nur den Stalin-Befehl, Berlin zu erobern. Wir kümmern uns um diese Friedhöfe, bringen so unsere Dankbarkeit diesen konkreten Soldaten, die ihr Blut auf polnischem Territorium vergossen haben, zum Ausdruck. Aber wir wollen keine Propaganda-Denkmäler.

Wie bewerten Sie die Arbeit des Vereins "Kursk", der die sowjetischen Denkmäler restauriert?

Diese Verein arbeitet im Rahmen der geltenden Gesetze, ist also legal. Aber unsere Einstellung dazu ist negativ. Denn der Verein wiederholt einfach Formulierungen der sowjetischen Propaganda. Zum Beispiel in Dabrowa Górnicza "Frieden für die Welt, die Welt für den Frieden".

Weiß man etwas über die Verbindungen dieses Vereins nach Russland?

Die Verbindungen sind offenkundig. Der Vereinsvorsitzende wurde auf die Datscha der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Zacharowa, eingeladen. Also die Verbindungen sind offenkundig, aber es steht uns nicht zu, zu bewerten, welcher Art diese Verbindungen sind.

Über dieses Thema berichtet HEUTE IM OSTEN auch im TV: MDR Aktuell | 06.10.2017 | 17:45 Uhr