Russland Wenig politische Muße zur Mülltrennung

01. Juli 2016, 12:02 Uhr

Schätzungen zufolge landen derzeit noch rund 95 Prozent des russischen Hausmülls ungetrennt und unsortiert auf Deponien - sehr zum Verdruss von Umweltaktivisten. Die meinen, dass sich das durchaus ändern lassen könnte. Aber wie?

Russland hat ein Müllproblem. Nach Angaben von Greenpeace sind die Müllhalden im Land flächenmäßig doppelt so groß wie die Schweiz. Und jedes Jahr erweitern sie sich um die Größe von Moskau und St. Petersburg zusammen. Also jährlich um fast 4.000 Quadratkilometer.

Der Großteil des Haushaltsmülls rottet auf diesen Halden vor sich hin. Verschiedenen Schätzungen zufolge werden lediglich drei bis fünf Prozent recycelt und weiterverarbeitet. Neben Glas, Papier und Bioabfall macht vor allem Plastikmüll einen großen Anteil aus. Dieser zersetzt sich sehr langsam und vergiftet dabei Boden und Grundwasser, ist also auch eine direkte Gefahr für die menschliche Gesundheit.

Politik will Hersteller stärker in die Pflicht nehmen

Die russische Regierung und das Parlament haben das Problem durchaus erkannt und im Dezember 2014 eine Novelle des "Gesetzes über den Abfall aus Produktion und Verbrauch" verabschiedet. Darin sind als Prioritäten staatlichen Handelns auch das Recyceln und die Weiterverarbeitung von Verpackungsmüll festgeschrieben. So sollen bei der Beseitigung von Verpackungen die Hersteller der Waren stärker in die Pflicht genommen werden. Sie haben künftig dafür zu sorgen, dass Verpackungen fachgerecht entsorgt werden. Die Infrastruktur hierfür müssen sie selbst aufbauen, oder durch entsprechende Dienstleister aufbauen lassen. Sind die Hersteller dazu nicht in der Lage, müssen sie eine Öko-Abgabe an den Staat entrichten, die sich nach der anfallenden Abfallmenge richtet. Das Geld soll dann für entsprechende Programme eingesetzt werden.

"Öko-Abgabe" bislang nur in der Theorie

Was zunächst positiv klingt, muss in der aktuellen wirtschaftlichen Situation des Landes mit Vorbehalt betrachtet werden. Beim "Direkten Draht" zwischen Putin und der Bevölkerung im April 2016 wurde dem russischen Präsidenten die Frage gestellt, warum es bis heute keine Mülltrennung und fachgerechte Entsorgung von Abfällen in Russland gebe. Dieser antwortete, dass das Gesetz zwar da ist, aber die dafür notwendigen Anlagen erst gebaut werden können, wenn das System der "Öko-Abgabe" in Funktion gesetzt wird. Dies sei jedoch aus Gründen allgemeiner wirtschaftlicher Schwierigkeiten auf 2017 verschoben worden, "damit auf die Hersteller keine zusätzliche Belastung zukommt und diese gezwungen wären, Personal oder Gehälter zu kürzen". Noch ist das Gesetz also gar nicht umgesetzt worden.

Umweltaktivist: Recyceln wird nicht belohnt

Dennoch ist es für Denis Stark, den Initiator des positiv-kreativen Umweltnetzwerks "Musora.Bolshe.net" ("kein Müll mehr") - eine richtungweisende Weichenstellung für die Zukunft. Er meint, dass der Staat dafür sorgen müsse, dass einfaches Abladen auf der Halde sich nicht mehr lohnt, und Recyceln dagegen profitabel werde. "Wenn in Deutschland die Entsorgung von einer Tonne Mischabfall auf der Deponie auch mal Tausend Euro kosten kann, so kostet das Gleiche bei uns in Russland 600 Rubel, das sind nicht einmal zehn Euro. In dieser Situation macht es keinen finanziellen Sinn in die Wiederverwertung zu investieren. Das Land ist groß, es gibt hier viel Platz, also ist es einfacher, irgendwo eine neue Halde zu bauen und den Müll dort zu lagern. Solange sich das nicht ändert, wird es keinen Durchbruch geben."

Ein Beiweis dafür sei ein Versuch der Moskauer Stadtverwaltung mit öffentlichen Pfandautomaten: Pfand beim Kauf von Getränken wurde dabei jedoch nicht erhoben. Man konnte Glasflaschen und Dosen abgeben, bekam dafür aber nur den Materialwert: 50 Kopeken (weniger als einen Cent). Das lohnte sich weder für die Konsumenten noch für die Betreiber der Automaten. Ergebnis: Die Automaten sind alle wieder verschwunden.

Fleißige Hände im Hintergrund

Umweltaktivist Denis Stark weiß aber auch, dass es durchaus den Wunsch in der Bevölkerung gibt, mehr Verantwortung beim Umgang mit Müll zu übernehmen. Seit der Gründung des Netzwerkes 2004 habe sich dieses rasch ausgebreitet. "Heute sind in 90 russischen Städten und insgesamt fünf Staaten der ehemaligen Sowjetunion etwa 120 unserer Koordinatoren aktiv. Allein in St. Petersburg gibt es etwa 8.000 Freiwillige, die sich an verschiedensten Aktionen beteiligen. Auch Projekte zur Mülltrennung, die wir vor Jahren in einzelnen Wohnkomplexen gestartet haben, sind lebensfähig und funktionieren bis heute."

Studenten als Trendsetter

Was sich Umweltaktivist Stark für die Zukunft wünschen würde? "Wir brauchen einen Informationsdurchbruch, damit die Leute mitbekommen, was sich direkt vor ihnen abspielt. Damit sie mehr über erfolgreiche Projekte im In- und Ausland erfahren.“ Positive Beispiele würden Mut geben und zum Handeln anregen. "Zu uns kommen viele Studenten, die etwa in Europa studiert und eine Weile gelebt haben. Sie sind zunächst ganz erschrocken: Wie leben wir hier, wir haben keine Altpapiertonne? Diese Leute bringen ein neues Bewusstsein mit und wollen etwas verändern. Noch ist es kein Massenphänomen, aber ich sehe einen wachsenden Trend."