Rumänien Die Korruption ist das Hauptübel
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10. Februar 2017, 15:50 Uhr
Als die Regierung das Antikorruptionsgesetz per Dekret abmildern wollte, gingen die Rumänen auf die Straße. Ihnen reicht's jetzt, sie wollen ein anderes Rumänien, sagt die rumänische Politikwissenschaftlerin Ute Gabanyi.
In Rumänien gibt es dieser Tage die mächtigsten Demonstrationen seit 1989. Was unterscheidet die heutigen Proteste von den damaligen?
Was die heutigen Demonstrationen von früheren unterscheidet, ist der enorme Grad der Mobilisierung der Bevölkerung. Und das hat auch mit den neuen Kommunikationsmitteln zu tun, den neuen Medien. Und der Kombination mit dem Fernsehen. Es wird viel über die Proteste berichtet. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu 1989.
Rumänien hat seit 1989 eine aktive Bürgergesellschaft hervorgebracht. Und es gab auch nach 1989 große, landesweite Demonstrationen - beispielsweise in den Jahren 2012 und 2015 -, die immer auch etwas mit dem Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch zu tun hatten.
Ich würde auch darauf hinweisen wollen, dass es inzwischen eine neue Generation gibt, die zu den Demonstrationen gehen; das sind junge Leute, die nach 1989 geboren sind und sagen: Wir wollen Einiges anders machen als unsere Eltern und Großeltern. Wir wollen ein anderes Rumänien! Die den korrupten Eliten zurufen: Wir bleiben hier! Verschwinden sollt ihr!
Was war der Auslöser für die Proteste, die Ende Januar 2017 begonnen haben?
Auslöser war die Verabschiedung einer Eilverordnung durch die nach den Wahlen im Dezember 2016 an die Macht gekommene Regierung. Im öffentlichen Bewusstsein hatte sich ohnehin stark die Meinung verfestigt, dass wir es bei der neuen Regierungsmannschaft mit einer korrupten Politikerkaste zu tun haben; mit Politikern, die unverschämt ihre Pfründe sichern und ihre Machtpositionen verteidigen. Und die dann auch noch in einer Nacht- und Nebelaktion – während einer spätabendlichen Regierungssitzung, in der es eigentlich nur um Haushaltsfragen hatte gehen sollen - ein Gesetz per Eilverordnung durchgebracht haben. Richter und Staatsanwälte hätten es damit sehr viel schwieriger gehabt, Fälle von Korruption und Amtsmissbrauch anzuklagen und zu bestrafen. "Nachts kommen sie, wie die Diebe!" skandierten daher auch die ersten Demonstranten.
Die Strafen für Korruption und Amtsmissbrauch wären auch deutlich milder ausgefallen…
Amtsmissbrauch und Korruption hätten dann nur noch mit Haftstrafen belegt werden können, wenn der entstandene Schaden 200.000 Lei (etwa 50.000 Euro) überstiegen hätte. Zudem hätten viele korrupte Politiker und Beamte, die bereits im Gefängnis sitzen, wieder freigelassen werden müssen. Etliche laufende Verfahren hätten eingestellt werden müssen.
Wie virulent ist das Thema Korruption im Bewusstsein der Rumänen?
Das Thema Korruption spielt in Rumänien tatsächlich eine besondere Rolle. Für 91 Prozent der Rumänen ist die Korruption das Hauptübel der Gesellschaft. Dafür lassen sich im Wesentlichen zwei Gründe ausfindig machen. Zum einen gibt es den Aspekt, dass im Zuge des EU-Beitritts Rumänien von der EU-Kommission bezüglich der Korruption – wie Bulgarien auch - besonders streng behandelt wurde. So streng ist kein anderes osteuropäisches Beitrittsland behandelt worden ist. Rumänien hatte die schwierigsten Aufnahmebedingungen, schwierigere übrigens auch als Bulgarien, obwohl Rumänien in den Kontrollberichten der EU viel besser dastand und dasteht als das Nachbarland.
Hinzu kommt, dass die Rumänen eine ausgesprochene Kultur der Selbstbezichtigung haben. Und sofort von sich selbst sagen: Ja, wir sind das korrupteste Land der EU, eine Einschätzung, die sich weder beweisen noch entkräften lässt. Interessant ist ja: Der Korruptionsindex von Transparency International ist ein Wahrnehmungsindex. Auch fallen Urteile westlicher Investoren über den Grad der Korruption in Rumänien nicht selten weitaus günstiger aus als die Selbsteinschätzungen rumänischer Akteure.
Wie streng sind die rumänischen Antikorruptionsgesetze?
Ich glaube, Rumänien hat das strengste Antikorruptionssystem in der gesamten EU. Alle Inhaber öffentlicher Ämter – und das geht runter bis zu Amtsinhabern oder Beamten auf kommunaler Ebene – müssen jedes Jahr eine Einkommens- und Vermögenserklärung für sich und ihre Ehefrauen abgeben und im Internet veröffentlichen. Mit allem, was dazu gehört: Was für ein Auto er besitzt, wie groß seine Wohnung oder sein Haus ist, wie hoch sein Sparguthaben. Nun könnte man sagen: Da kann ja jeder angeben, was er will. Doch es gibt eine Behörde, die diese Angaben kontrolliert, die Nationale Integritätsbehörde. Und die ist in der EU tatsächlich einzigartig. Weiterhin gibt es in Rumänien seit 2002 die Nationale Antikorruptionsbehörde, die DNA. Sie ist eine unabhängige Sonderstaatsanwaltschaft, die seit ihrem Bestehen bereits Hunderte korrupte Bürgermeister, Minister und sogar einen ehemaligen Ministerpräsidenten hinter Gitter gebracht hat. Die DNA ist übrigens die in der Bevölkerung zweitbeliebteste Institution des Landes. Sie hat eine Zustimmungsrate von 69 Prozent, die beliebteste Institution, die orthodoxe Kirche, liegt bei 73 Prozent.
Welche Rolle spielt Präsident Klaus Johannis in der Korruptionsdebatte?
Bereits im Wahlkampf war der Kampf gegen Korruption sein Hauptthema. Und das war schon eines seiner wichtigsten Anliegen, als er noch Bürgermeister von Hermannstadt war. Sein Wahlprogramm war: "Der gesamten politischen Klasse muss ein Prinzip klar sein - für Rumänien gibt es keinen anderen Weg als den eines von Korruption befreiten Landes. Ich würde mir wünschen, dass am Ende meiner Amtszeit Korruption kein Thema mehr ist. Dass die Politiker im Dienste der Allgemeinheit stehen und nicht von ihren persönlichen Interessen geleitet werden." Daran hält er bis heute fest. Und er unterstreicht es, indem er bei den Demonstrationen gegen die Eilverordnungen in vorderster Reihe marschierte.
Wie steht es um die alltägliche kleine Korruption?
Es gibt tatsächlich immer noch Kleinkorruption. Dass man etwa zum Arzt oder ins Spital etwas mitnimmt oder der Arzt nach der Behandlung die Hand aufhält. So etwas gibt es auch in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens.
Andererseits können sie sich in Rumänien seit fünf oder sechs Jahren nicht mehr davor retten, dass ihnen der Gemüsehändler an der Ecke einen Bon in die Hand drückt, wenn sie zwei Äpfel kaufen. Ob im Taxi oder wenn sie eine Postkarte kaufen – sie bekommen immer einen Bon.
In welchen Bereichen ist die Korruption am stärksten?
Rumänien hatte nach dem Systemwechsel, dem Ende der Ära Ceauşescu, viele Jahre unter der Korruption in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu leiden. Seither hat sich die Korruption auf eine höhere Ebene - Ministerialbehörden, oberste Gerichte etc. – verlagert. Wie in westlichen Gesellschaften überwiegt nun die Korruption im Beschaffungswesen, an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Verwaltung.
Warum gerade jetzt diese massive Empörung der Rumänen?
Die Rumänen haben genug! Es empört sie, dass auf oberster Ebene gekungelt wird, dass es denen da oben völlig egal ist, was mit Rumänien passiert. Jetzt, mit diesen Demonstrationen, fühlen sich die Bürger stark und endlich ernst genommen. Und sie sagen: Wir wollen dieses Land nicht mehr. Wir wollen diese Politiker nicht mehr! Wir wollen ein anderes Rumänien.
Wie stehen die Rumänen zum Kontrollmechanismus der EU?
Die Rumänen sind mehrheitlich der Ansicht, dass dieser Mechanismus zu begrüßen ist. Laut Umfragen denken 73 Prozent der Rumänen so. Es gibt aber auch Politiker und Analysten, die dagegen sind, dass ein Instrument der EU-Kommission, das eigentlich nur auf drei Jahre angelegt war, nun unbegrenzt beibehalten wird und dazu auch noch mit dem Thema des Beitritts zum Schengenraum verknüpft wird. Ich stehe dieser Praxis der EU ebenfalls kritisch gegenüber. Ich finde es nicht fair, dass ein Land mit dem Makel belegt wird, auch zehn Jahre nach dem Beitritt zur EU ein korruptes Land zu sein, während das Thema Korruption weder vor noch nach dem Beitritt Rumäniens (und Bulgariens) eine Rolle gespielt hat. Ich befürchte auch, dass dieses Kontrollverfahren, sollte es weiterhin zeitlich unbegrenzt beibehalten werden, der hohen Beliebtheit der EU in Rumänien schaden könnte.
Wie wird es weitergehen? Was wird aus den Demonstrationen werden?
Diese Demonstrationen bergen in sich die Gefahr, dass die Bürger den Institutionen keine tragende Rolle mehr zutrauen. Dass das Parlament, die Regierung, die Gerichtsbarkeit endgültig diskreditiert werden und eine Haltung entsteht nach dem Motto: Wir ändern das System nur auf der Straße, außerparlamentarisch. Den Politikern ist nicht mehr zu trauen. Sie haben ausgedient. Diese Gefahr besteht. Und die Politiker haben auch alles dafür getan, dass diese Gefahr nicht nur illusorisch ist. Ich hoffe, dass bei allem Enthusiasmus der Zivilgesellschaft die Vernunft die Oberhand gewinnt. Erstens, dass die Regierung sich entschließt, mit dieser Verordnung ein für alle Mal Schluss zu machen und nicht darauf hofft, dieses fragwürdige Gesetz irgendwie doch noch durchs Parlament zu bringen. Dann nämlich könnte die Situation vollends eskalieren. Auf der anderen Seite hoffe ich, dass die Rumänen irgendwann einsehen, dass sie mit ihrem mutigen Eintreten für eine saubere Politik viel erreicht haben, dass sie aber letztlich nicht alles auf der Straße entscheiden können. Man muss, so meine ich, die demokratischen Institutionen auch schützen und schonen, denn sonst öffnet man möglicherweise dem Populismus Tür und Tor. Und auch die Staaten der EU sollten vielleicht versuchen, in diesem Sinne auf die Akteure in Rumänien einzuwirken und nicht nur zu jubeln: Ach wie schön, jetzt protestiert ihr endlich!
Anneli Ute Gabanyi 1942 in Bukarest geboren, ist Politikwissenschaftlerin, Philologin und Journalistin; sie lebt in Berlin